
Zweiradliebe auf neuen Wegen
2009 war es so weit. Ein Traum, der seit meinem sechzehnten Lebensjahr in mir brummte wie ein ungedrosselter V2-Motor, wurde endlich Wirklichkeit: Wir kauften unsere erste Harley. Eine gebrauchte Harley-Davidson Sportster XL883 Custom – wunderschön, tiefschwarz, glänzend, ein echtes Schmuckstück auf zwei Rädern. Doch es dauerte keine vier Wochen, da war ich es satt, auf dem Sozius zu sitzen wie ein angeklebtes Rücklicht.

Ich hatte damals nur den alten 1B-Führerschein – gut für Mopeds, schlecht für große Maschinen. Aber davon ließ ich mich nicht aufhalten. Führerschein gemacht, Helm aufgesetzt, Harley gesattelt – und mit einem süffisanten Grinsen zu Stefan gesagt: „Wenn du selbst fahren willst, kauf dir ein eigenes Motorrad. Diese gehört jetzt mir.“
2011 kam dann tatsächlich Verstärkung in den Fuhrpark: Eine Dyna Super Glide Custom FXDC. Jetzt waren wir ein echtes Harley-Pärchen. Wochenendtouren zum Bodensee, spontane Abendausfahrten auf die Alb, Sonntagmorgenrunden nach dem Frühstück – es war eine wunderbare Zeit, mit Lederjacke, Wind im Gesicht und dem Gefühl absoluter Freiheit.

Dann kamen die Enkel. Und seien wir ehrlich: Kinderwagen lassen sich nur schwer auf einem Chopper verzurren. Als stolze Oma und Opa rückten unsere Harleys ein Stück nach hinten im Lebenskarussell. Und als später noch mein Job als Lokführerin dazukam, wurden auch die Sonn(en)tage – im doppelten Wortsinn – spärlicher. Stefan fuhr zwar tapfer weiter, mal mit seiner, mal mit meiner Harley, einfach damit die Maschinen nicht vor lauter Standzeit beleidigt den Vergaser zusetzten. Aber wir beide wussten: Allein fahren ist halt nicht dasselbe.
Und dann kam der Camper. Erst war er nur ein neues Kapitel – dann wurde er zum Lieblingsbuch. Kurz mal nach Paris, ein paar Tage an den Gardasee – unsere Zeit war plötzlich voll mit neuen Abenteuern auf vier Rädern. Der Gedanke, die Harleys zu verkaufen, klopfte immer mal wieder an, aber wir schoben ihn mit einem „Ach, noch nicht jetzt“ zur Seite.
BILDERGALERIE: Unsere Harleys 2009-2025
Jetzt, viele „Ach, noch nicht jetzt“, „Vielleicht im Herbst“, „Mal schauen, wie der Sommer wird“ und ein paar „Lass uns noch eine Saison drüber schlafen“ später – war es dann doch so weit. Der Moment der Wahrheit. Der große, unausweichliche, leicht schwitzige Schritt ins Motorrad-Loslassen.
Der Entschluss war gefasst. Keine halben Sachen mehr, kein romantisches Herumstreicheln am Tankdeckel, kein prüfender Blick mehr auf den Zündschlüssel in der Schublade. Wir hatten einen Händler gefunden. Seriös, freundlich, vermutlich völlig immun gegen Tränen auf dem Lenker. Das Angebot war gut – also im Sinne von: Schmerzhaft, aber irgendwie fair. Und dann, zack: Vertrag unterschrieben.
Die Harleys? Stehen noch in der Garage. Noch! Diese Woche dürfen sie noch so tun, als sei alles wie immer. Aber wir wissen es. Sie wissen es. Bye, bye ihr zwei Hübschen. Wir vermissen sie jetzt schon – obwohl sie noch nicht mal abgeholt wurden. Rational völlig unlogisch. Emotional vollkommen nachvollziehbar.
Also was tut man, wenn das Herz schmerzt und die Garage bald leer ist? Richtig. Man kauft ein Trostpflaster. Ein heißes. Ein kleines. Eins, das nicht donnert, sondern schnurrt.
Wir haben heute ganz spontan eine Vespa GTS 310 gekauft.
Knallrot. So rot, dass selbst italienische Tomaten vor Scham erblassen würden. Elegant wie ein Aperol bei Sonnenuntergang. Spritzig wie eine Verfolgungsjagd im Innenhof von Rom.
Sie macht nicht „WROARR“, sie macht eher so ein charmantes „brr-brr-brrr“. Aber sie ist sexy. Auf ihre eigene, mediterran-verschmitzte Art. Sie braucht kein Chrom, um zu glänzen – sie ist das Gelato unter den Zweirädern. Und sie tröstet. Wirklich.

Jetzt wetten wir – aber diesmal ohne doppelten Boden. Denn selbst wir wissen nicht, wie diese Nummer ausgeht. Drei Szenarien stehen zur Auswahl – und jedes davon ist absolut realistisch:
Option A: In einem Jahr stehen wir in der Garage, schauen die knallrote Vespa an … und stellen fest, dass sie da genau so traurig herumsteht wie einst die Harleys. Der Reifendruck mault, die Batterie ist beleidigt – und wir überlegen ernsthaft, ob wir sie wieder verkaufen. Ciao bella. (Und ganz ehrlich: Was wird dann diesmal der emotionale Trost? Ein Rasenmähroboter?)
Option B: Wir kaufen eine zweite Vespa. Weil dieses „Hinten sitzen“ spätestens nach der dritten Ausfahrt in einem erbitterten Streit um Helmfarben und Fahrtrichtungen endet. Niemand will den Hinterkopf des anderen anstarren. Niemand will bei jeder Kurve wie ein Rucksack gegen den Fahrer prallen. Hinten ist keine Option. Hinten ist Strafe.
Option C: Wir bleiben bei dieser einen Vespa. Fahren sie regelmäßig. Teilen sie. Friedlich. Vielleicht sogar abwechselnd. Vielleicht – und das ist das gewagteste Szenario – sitze ich hinten und bin tatsächlich froh, mal nicht selbst fahren zu müssen. Man wird ja älter. Weiser. Diplomatischer. (Sagt man.)
Die Wette steht. 33/33/33. Oder ein Drittel/Drittel/Drittel. Oder totale Eskalation.
Wie auch immer – wer steigt ein? Einsätze in Aperol, Tiramisu oder einem neuen Satz Blinker willkommen.
Und falls es doch aufs Sozius-Bänkchen hinausläuft – dann mit Stil, Würde und einem verdammt bequemen Rückenpolster (haben wir schon mit bestellt).
