
Gelato, Gassen und eine Schifffahrt – Ein Tag zwischen Sirmione und Bardolino
9:00 Uhr: Frühstück am Camper – stilvoller kann ein Tag kaum beginnen. Wir saßen gemütlich unter freiem Himmel, als hätte jemand das perfekte Postkartenmotiv für Camperfreunde entworfen. Der Duft von frischen, italienischen Panini, die wir aus dem überraschend gut sortierten Campingplatz-Store geholt hatten, lag in der Luft. Dieser kleine Laden war eine wahre Schatzkammer: eine üppige Theke mit knusprigem Gebäck, daneben verführerische Cannoli, Croissants und andere süße Sünden, die einem schon beim Anblick einen Zuckerschock versprachen. Gleich daneben eine Metzgerei-Theke, die aussah, als würde sie direkt ein italienisches Festmahl ausstatten – mit riesigen, marmorierten Schinkenkeulen und ein riesiger Mortadella, bei deren Anblick selbst überzeugte Vegetarier leicht ins Wanken geraten könnten.
Was ist denn eigentlich Mortadella? (Kleine Wissenspause für alle Nicht-Italienurlauber)
Mortadella ist viel mehr als nur „irgendeine Wurst“. Sie stammt ursprünglich aus Bologna – daher wird sie manchmal auch “Mortadella di Bologna” genannt – und ist eine echte italienische Delikatesse.
Das Besondere: Mortadella wird aus fein zerkleinertem Schweinefleisch hergestellt, das so lange verarbeitet wird, bis eine fast cremige Masse entsteht. Dazu kommen kleine weiße Speckwürfel, die der Mortadella ihr typisches marmoriertes Aussehen verleihen. Gewürzt wird oft mit Pfeffer, manchmal auch mit Pistazien oder Myrtenbeeren. Anschließend wird sie sanft gegart – nicht geräuchert, wie viele andere Würste.
Das Ergebnis? Milde, feine Scheiben, die auf der Zunge zergehen und nach Sonne, Sommer und einem Hauch italienischer Marktstände schmecken.
Kurz gesagt: Wer in Italien ist und keine Mortadella probiert, verpasst ein kleines Stück Lebensfreude auf dem Teller.
Da saßen wir also in dieser besonderen Atmosphäre: das leise Rascheln der Bäume, das sachte Klappern von Geschirr am Nachbarcamper, ein vereinzeltes Krähen vom Hahn des Platzes (oder war es doch nur ein schlecht gelaunter Spatz?) – und die noch leicht kühle Morgenluft, die uns daran erinnerte, dass selbst der Gardasee seine Frischephasen kennt.
Über allem schwebte diese schwer zu beschreibende, aber umso wohltuendere Stimmung: eine stille, angenehme Vorfreude. Nicht die hibbelige „Was machen wir heute alles?“-Aufregung, sondern dieses wohlige Gefühl, dass der Tag noch unbeschrieben vor uns liegt – und alles passieren kann, solange der Himmel nicht schon wieder alles von oben nass macht.
Es war ein Tag, der sich zumindest wie ein Kompromiss mit dem Wettergott anfühlte. Keine Sonne, aber immerhin trocken. Und das war nach den letzten Tagen schon fast ein Grund zur Feier – oder zumindest für vorsichtige Hoffnung.
Ein Tag, der eher nach grauem Himmel als nach Postkarte aussah, aber trotzdem dieses kleine, leise Versprechen in sich trug: Vielleicht das beste Eis des Urlaubs. Vielleicht einfach ein paar schöne Stunden ohne Regenjacke.
Ein Tag, der nicht wie ein strahlender Italo-Song klang – eher wie die B-Seite einer Adriano-Celentano-Platte, ein bisschen melancholisch, aber mit Potenzial. Und genau das muss manchmal eben genügen.
Unser Plan für heute: Mit dem Schiff nach Sirmione – diesem zauberhaften Landzipfel, der sich wie ein schmaler Finger (oder sagen wir lieber: ein italienisches Pfötchen mit Gelatospur) in den südlichen Gardasee schiebt. Historisch, hübsch, halbinselig – und ganz eindeutig ein Fall von: Muss man gesehen haben.

Doch bevor wir überhaupt an Deck gehen konnten, hieß es: Wanderschuhe an und los. Denn der nächstgelegene Hafen mit Schiffverbindung lag in Garda, rund zwei Kilometer entfernt – direkt am Wasser entlang, ein Spaziergang zwischen Sonnencreme und Sehnsucht, mit dem See zur Linken und blühenden Oleanderbüschen zur Rechten.
Fast alle waren Feuer und Flamme. Fast. Stefan, unser sonst so unermüdlicher Kapitän der Landstraße, deutete an, dass sein Bein heute mehr auf „Couch“ als auf „Küstenwanderung“ eingestellt war. Und Nadine ließ keinen Zweifel daran, dass sie aktuell alles lieber tat als „am See entlanglaufen“. Also entschied sich das Trio – Stefan, Nadine und Emilia – für den vermeintlich bequemeren Plan B: den Bus nach Garda. Emilia war begeistert.
Sie hatte sich innerlich längst als kleine italienische Principessa auf dem Vordersitz positioniert, bereit, elegant am Hafen vorzufahren und den Fußmarsch mit einem verächtlichen Wimpernschlag zu überspringen.
Oli, Noah und ich machten uns unterdessen zu Fuß auf den Weg. Und ehrlich gesagt: Es war wunderschön. Die Promenade zwischen Bardolino und Garda schlängelte sich direkt am See entlang, flankiert von Palmen, Zypressen und weiten Blicken übers Wasser. Fischerboote dümpelten im Wasser, Möwen segelten träge im Wind, und ab und zu roch es nach Sonnenöl, Espresso und einem Hauch von Dolce Vita.
BILDERGALERIE: Garda
Die Hafengegend von Garda empfing uns mit dem Charme eines Bilderbuch-Italien-Motivs: Weiße Boote, ein kleiner Leuchtturm, schaukelnde Masten und pastellfarbene Häuser, die sich im Wasser spiegelten wie in einem Aquarell. Es war lebendig, aber nicht überlaufen – genau richtig für einen Moment zwischen Ankommen und Aufbruch.
Mehr haben wir von Garda nicht gesehen – aber allein diese Ecke hat gereicht, um sich ein bisschen zu verlieben. Während wir also flanierten, erreichte uns ein Anruf von Stefan – hörbar unbeeindruckt:
Der Bus kam nicht. Gar nicht. Statt königlicher Vorfahrt also: Regentschaft zu Fuß. Emilia war – sagen wir – nur mäßig erfreut.
Statt auf dem Vordersitz zu thronen wie eine adlige Mini-Version von Sophia Loren, musste sie jetzt selbst laufen. Ihre Laune schwankte irgendwo zwischen „beleidigter Hofstaat“ und „aufstandswillige Kleinkind-Revolution“.

Oli und Noah, voller Ritterehre (oder taktischer Besänftigung der kleinen Prinzessin?), liefen dem angeschlagenen Trio entgegen. Ich nutzte die Gunst der Stunde und tat, was kluge Frauen mit Überblick eben tun: Ich kaufte die Tickets.
Tageskarten für die Schifffahrt auf dem südlichen Gardasee – ein kleiner Akt der Planung, die uns später noch viel Nerven sparen sollte. Keine Preisvergleiche an Bord, kein Schlangestehen mit Kindern in Eis-Laune – einfach einsteigen, losschippern und genießen.
Mit den Tickets in der Tasche, der Familie auf dem Anmarsch und dem Gardasee vor uns, war klar: Das kleine Abenteuer Sirmione kann beginnen. Und wenn der Tag so weitergeht wie er begonnen hat – mit Glitzern auf dem Wasser und ein bisschen Improvisation im Gepäck – dann kann er eigentlich nur gut werden.
12:38 Uhr: Wir bestiegen unser Schiff – nicht dramatisch wie in einem Piratenfilm, sondern eher in der sanften, ferienreifen Variante eines mediterranen Tagtraums. Kein Entern, kein Kanonendonner – nur ein sanftes Schaukeln und ein freundlicher Matrose der unsere Tickets kontrollierte.
Das Wasser glitzerte und Möwen zogen kreischend ihre Kreise. Die Sonne ließ sich heute nicht blicken, wahrscheinlich hatte auch sie frei genommen. Aber: Es regnete nicht. Und das allein war für diesen Apriltag schon ein Grund zur Dankbarkeit und stiller Feierlaune.
Wir ließen uns auf den Bänken nieder, zogen die Jacken enger und genossen das gleichmäßige Summen des Motors und den Blick über den See. Das Schiff schob sich durch das Wasser wie ein träger, entspannter Wal – los gehts – auf nach Sirmione.

13:40 Uhr liefen wir in Sirmione ein – eine kleine, schmale Halbinsel mit großer Wirkung. Sobald man den Fuß auf die Insel setzt, hat man das Gefühl, in eine Mischung aus Postkarte, Filmkulisse und Urlaubsträumerei geraten zu sein.
Wir starteten mit einer Ehrenrunde um die beeindruckende Scaligerburg, die da stand, als hätte sie sich vor Jahrhunderten selbst zum Wahrzeichen ernannt – und sich seitdem nicht eine Sekunde aus der Ruhe bringen lassen. Türmchen, Zugbrücke, Zinnen und Mauern, so fotogen, dass selbst der Kameramuffel in der Familie kurz über ein Selfie nachdenkt.

Die Kinder hielten inne – für exakt fünf Sekunden – dann ging’s wieder um wichtigere Dinge: Eis, Waffeln und Gummibärchen in Sichtweite. Wir schlenderten durch den großen, gepflegten Burggarten, vorbei an uralten Olivenbäumen, grünen Rasenflächen und kleinen Mauerresten, die Geschichten aus anderen Jahrhunderten zu erzählen schienen.
Danach ließen wir uns treiben. Ohne Plan, ohne Google Maps, einfach hinein in das verwinkelte Herz von Sirmione, wo sich die Gassen winden wie Spaghetti auf der Gabel und man hinter jeder Ecke entweder auf ein kleines Café, ein Katzenposter oder einen Keramikladen stößt, der garantiert “handbemalt” ist – mit ganz viel Liebe und mindestens ebenso viel Touristenpreisaufschlag.
BILDERGALERIE: Sirmione
Wir schlenderten vorbei an kleinen Plätzen, über deren Pflaster schon Generationen von Flipflops, Espadrilles und Wandersandalen getrippelt sind, vorbei an eleganten Boutiquen mit sonnengebleichten Hüten, luftigen Leinenkleidern und Seidentüchern, die im Wind wehten wie Filmrequisiten.
Und dann kamen sie. Die Eisdielen. Nicht eine. Nicht zwei. Gefühlt jeder zweite Eingang führte in ein Tempel der Tiefkühlkreativität. Man konnte keine zehn Meter gehen, ohne dass einem die nächste Auslage mit gigantischen Gelato-Bergen ins Gesicht sprang – farbenfroh, glänzend, dramatisch beleuchtet, dekoriert mit Obst, Pralinen, Sahneschichten und Waffelstückchen, als stünde ein Fotowettbewerb an.
Die Sorten? Jenseits von Vanille und Erdbeere. Hier wurde Kunst in Eisform serviert.
- Schokoladeneis mit Chili? Scharf, cremig, unwiderstehlich.
- Limette-Basilikum? Frisch wie ein Garten im Frühling, mit dem gewissen „Ich-bin-jetzt-Gourmet“-Effekt.
- Tiramisu mit Amaretto? Lavendelhonig? Salziges Karamell mit gerösteten Haselnüssen?
Wir kamen uns vor wie Testesser in einem geheimen Finalistenfeld für den Welt-Eispreis.

Zwischen all den raffinierten Sorten mit edlen Namen und aromatischen Versprechungen fiel mir ein Eis aus der Kategorie „Kindheit trifft Chemie-Labor“ ins Auge: Schlumpfeis. Grellblau. Unnatürlich leuchtend. Verdächtig fröhlich.
Ob das wohl wirklich aus Schlümpfen gemacht ist? Werden sie püriert? In kleinen Gruppen? Fragen, die man besser nicht zu Ende denkt – schon gar nicht, wenn man in die kindlichen Augen blickt, die dieses Eis mit der gleichen Hingabe anschauen wie andere eine Diamantvitrine.
Ich bekam eine Kostprobe von dem knallblauen Rätsel auf der Waffel – und was soll ich sagen? Gar nicht mal so schlecht. Süß, irgendwie undefinierbar, ein bisschen wie Kaugummi in Eisform mit einem Hauch Nostalgie. Und vor allem: Schlumpfblau in Perfektion.

Ein weiterer Beweis dafür, dass Sirmione nicht nur die Heimat von Pizza und Boutiquen ist, sondern auch der Ort, an dem man den Geschmack seiner Kindheit wiederfindet – löffelweise.
Natürlich wehrten wir uns keine Sekunde. Jeder von uns hatte irgendwann einen Becher oder eine Waffel in der Hand – und die war so voll, dass man schnell essen oder einen Löffel als Rettungsgerät improvisieren musste. Eis tropfte, Hände klebten, Kinder lachten – es war ein Wettlauf gegen die Sonne und gleichzeitig ein Hochgenuss, bei dem man mit jeder Sorte ein kleines bisschen glücklicher wurde.
Sirmione hatte sich seinen Platz in unseren Herzen in Nullkommanichts erobert – nicht nur mit seinen romantischen Gassen, dem Blick auf den See und der märchenhaften Burg, sondern vor allem mit seiner süßen Offensive in Waffelform.
Bis 15:25 Uhr ließen wir uns durch die Altstadt treiben. Wir entdeckten hübsche Aussichtspunkte, die sich wie Postkartenmotive am Wegrand versteckten. Wir lachten, staunten, schüttelten den Kopf – und ich gebe zu: Ein Zitronenmagnet war meiner Tasche schon sehr nah. Aber die größte Herausforderung waren – weiterhin – die Eisdielen. Nach dem ersten Becher Eis ist man ja innerlich noch überzeugt: „Das war’s. Jetzt ist Schluss.“
Aber dann… kommt da diese neue Eisdiele. Mit anderen Sorten. Besserer Deko. Frischeren Waffeln. Und plötzlich steht man wieder da. Einige von uns – ich nenne absichtlich keine Namen, aber es fängt mit „G“ an und hört mit „-abi“ auf – behaupteten steif und fest, sie würden „nur mal schauen“.
Fünf Minuten später standen sie (ich) mit einem Gelato-Becher in der Hand am Wegesrand, so unschuldig lächelnd, als hätte ihnen der Papst persönlich das Eis empfohlen. Gar nicht so einfach, Sirmione. Gar nicht so einfach. Aber genau das macht dich so unwiderstehlich.

Doch irgendwann war auch der schönste Spaziergang vollgelaufen, und es hieß wieder: Schiff ahoi! Ziel: Bardolino. Um 16:05 Uhr liefen wir im Hafen ein, ein bisschen müde, aber glücklich und in Gedanken schon beim Abendessen.

Der Plan: Essen gehen in Bardolino – einem dieser Orte, der so charmant ist, dass man am liebsten sofort ein kleines Altstadt-Häuschen kaufen und dort Gelato-Verkostungen als Lebensaufgabe starten möchte.
Wir schlenderten durch die gepflegten Straßen von Bardolino. Einladende Cafés reihten sich aneinander, die Gäste mit dem ersten Aperol des Abends in der Hand, dazu das leise Klirren von Gläsern, das Knistern kleiner Gespräche und dieses ganz besondere Urlaubsrauschen, das zwischen den Mauern hängt. Wir kamen vorbei an Weinbars mit hängenden Lichterketten, und an liebevoll dekorierten Läden, in denen man Olivenöl, Schals, Sonnenhüte und gute Laune kaufen konnte
BILDERGALERIE: Bardolino
Und dann entdeckten wir das „2Torre“ – eine Trattoria, wie man sie sich nur wünschen kann.
Kleine Tische mit hübschen Tischdecken, warm schimmerndes Licht unter einem rustikalen Holzbalken, und dieser ganz bestimmte Duft aus der Küche, der einen sofort hungrig macht, selbst wenn man fünf Minuten vorher noch behauptet hat, man bräuchte heute „nur einen Salat“.
Es roch nach Pizza. Nach geschmolzenem Käse. Nach gutem Olivenöl, frischem Knoblauch und Tomaten, die mehr Sonne gesehen haben als wir den ganzen Frühling. Kurz gesagt: Wir wussten, hier bleiben wir.

Das Abendessen? Soooo lecker.
Pizza und Pasta, alles, was das italienische Herz höherschlagen lässt – serviert mit einem Lächeln, das vermutlich schon im Preis inbegriffen war. Die Kinder bestellten natürlich wieder mit großer Überzeugung und ebensolcher Eigenverantwortung – was sie aber nicht davon abhielt, am Ende wieder Olis Teller leerzuessen. Denn wie sollte es anders sein: Oli gab wieder sein Essen ab.
Diesmal war es eine herrlich duftende Pizza, auf die sich Noah und Emilia mit der Inbrunst zweier kleiner Gourmetkritiker stürzten, nachdem ihre eigene Wahl – sagen wir mal – nicht ganz die erhoffte Geschmacksexplosion ausgelöst hatte. Und Oli? Wieder der stille Held am Tisch.
Er sah es mit Fassung, griff zu den Resten, die ihm übrig blieben, und zuckte nur leicht mit den Schultern, als wolle er sagen: „Ich ess halt das, was die Familie übriglässt – wie immer.“
Nach dem essen teilte sich die Truppe auf: Oli, Noah und ich entschieden uns für den Rückweg zu Fuß – ein gemütlicher Spaziergang entlang der Promenade, mit Seegrasduft in der Nase und leichtem Abendrot über dem Wasser.


Stefan, Nadine und Emilia hingegen setzten auf den Bus – der zwar verspätet, aber immerhin irgendwann um 18:05 Uhr eintrudelte (geplant war 17:52 Uhr – aber, na ja, italienische Pünktlichkeit und so). Nach zwei kurzen Stationen waren sie fast am Ziel, nur noch vier Minuten Fußweg bis zum Campingplatz.
Als wir alle wieder bei unseren Campern beisammen waren, wurde noch schnell das Frühstücksgeschirr gespült (das echte Camperleben lässt grüßen), alle sprangen unter die Dusche, und dann… Dann begann der Regen. Nicht ein bisschen Nieselregen. Nicht so ein schüchternes Tröpfeln. Es regnete wieder wie aus Eimern.
Aber was soll’s – wir waren satt, zufrieden, und selbst der stärkste Wolkenbruch konnte an diesem Abend unsere Laune nicht mehr auswaschen.
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