Mit der Fähre von Skagway nach Haines
Auf der Suche nach Bären & einem Schlafplatz
Guten Morgen, Abenteuerfreunde! Der Tangish Lake liegt still da, als hätte er die ganze Nacht nur darauf gewartet, uns einen ordentlichen Sonnenaufgang hinzulegen – und wir fühlen uns, als hätten wir die Hauptrolle in einem Naturdokumentarfilm ergattert.

Die erste Nacht im Truckcamper? Ein Volltreffer. Ehrlich, ich habe in schicken Hotels schon schlechter geschlafen – und das ganz ohne das Gefühl, dass jederzeit ein Elch durchs Fenster spähen könnte. Das Bett über der Fahrerkabine entpuppt sich als echtes Raumwunder: 150 Zentimeter pure Gemütlichkeit, mit genug Höhe, um im Sitzen noch über die nächste Etappe zu philosophieren. Wer braucht schon King-Size, wenn man das Abenteuer im Dachgeschoss hat?
Während Stefan den Frühstückszauberer gibt – was in unserem Fall bedeutet, dass Toast, Kaffee und Schinken in greifbarer Nähe liegen –, wühle ich mich durch den Mini-Multifunktionsraum: Dusche, WC und Waschbecken auf drei Quadratmetern. Ikea würde sagen: „Platzsparend!“ Ich sage: „Akrobatik für Fortgeschrittene.“
Die Heizung hat ihren Job gemacht, drinnen ist’s kuschelig warm. Einweg-Geschirr sei Dank muss hier niemand mit Spülhänden kämpfen – Teller in den Müll, Tassen hinterher, fertig ist das Urlaubsfeeling. Der Planet mag das nicht, aber wir schon.
Bevor wir die Kutsche satteln, gönnen wir uns noch ein paar Minuten am See. Und da ist er: ein Sonnenaufgang, der selbst kitschige Postkarten erblassen lässt. Pink, orange, golden – als hätte der Himmel beschlossen, heute mal alles rauszuhauen, was die Farbpalette hergibt.
Um 7:15 Uhr sitzen wir wieder im Camper, bereit für alles, was der South Klondike Highway uns vorsetzt. Kaum ein paar Kilometer gefahren, reißt uns der Tutshi Lake zu unserem ersten Fotostopp. Hinter den Gipfeln klettert die Sonne über die Berge, und wir stehen da wie zwei Statisten in einem Western, die gerade Zeuge des großen Showdowns werden. Nur dass wir statt Colts eine Kamera zücken.
Abenteuer, wir sind bereit.

Die Szenerie könnte kaum kitschiger sein: glitzernde Seen, majestätische Berge, ein Himmel, der gerade beschlossen hat, in Pastellfarben zu malen – und mittendrin wir, die frischgebackenen Camper-Abenteurer. Am Grenzposten von Fraser begrüßt uns nicht nur die kanadische Grenzkontrolle mit einem freundlichen Nicken, sondern auch ein Schild, das uns auffordert, die Uhr eine Stunde zurückzustellen. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer für unsere innere Zeitplanung.
Dann geht’s hoch auf den Whitepass, den mythischen Übergang zwischen Kanada und Alaska. Angeblich türkisfarbene Seen, angeblich grandiose Panoramen – nur leider hat sich die Natur für die „Mysterium Deluxe“-Variante entschieden: Nebel, dichter als jede Festival-Nebelmaschine. Statt Postkartenidylle gibt’s die „Silent Hill“-Edition. Wenigstens steht da das berühmte Alaska-Schild im Dunst, und natürlich posieren wir brav davor. Wenn schon kein Panorama, dann wenigstens ein Foto-Beweis: Wir waren hier!

Der Grenzübertritt selbst läuft schneller als jede Fast-Food-Bestellung. Fingerabdrücke hier, ein Foto dort, ein paar Dollar Eintritt – fertig. Unser Camper wird nicht mal mit einem Blick gewürdigt. Offenbar sehen wir nicht aus wie internationale Schmuggler. In weniger als zehn Minuten haben wir den Alaska-Stempel im Pass und rollen stolz weiter.

Und gleich hinter der Grenze? Laut Reiseführer warten dort die Bridal Veil Falls. Laut Realität… warten wir noch. Vielleicht sind sie ja auch gerade im Nebel eingehüllt. Alaska macht es spannend.
Am Ende des Klondike Highways landen wir schließlich in Skagway – einem Ort, der aussieht, als hätte jemand einen alten Westernfilm mit einem Goldgräber-Remake gekreuzt. Am Himmel hängen noch ein paar hartnäckige Wolken, aber der blaue Himmel schiebt sich schon mal durch wie ein ungeduldiger Statist, der endlich ins Bild will.

Es ist früh, sehr früh. Exakt 8 Uhr. Die Stadt gähnt noch verschlafen, und außer uns und ein paar streunenden Möwen scheint hier noch niemand wach zu sein. Wir parken den Camper in einer Seitenstraße und schlendern über den Broadway bis zum Hafen – und da stehen sie: drei Kreuzfahrtriesen, so groß, dass sie den kleinen Ort fast optisch plattdrücken.
Noch haben wir Skagway für uns allein. Die historischen Gebäude wirken wie frisch herausgeputzt, die Schaufensterläden reiben sich gedanklich die Hände, und die Straßen sind so leer, dass man problemlos einen Zimtkringel drauf ablegen könnte. Doch Punkt 9 Uhr ändert sich das Spiel: Die Kreuzfahrtschiffe spucken ihre Ladungen aus. Hunderte, nein tausende Passagiere ergießen sich in die Stadt, und die Idylle ist dahin.
Gut, dass wir vorher noch in einer Seitenstraße ein kleines Café entdeckt haben, das „Doughboys“ verkauft. Keine Ahnung, was das ist – aber mein Bauch sagt: her damit! Was wir bekommen, ist ein gigantischer Hefeteigfladen, übergossen mit einer Lawine aus Zucker und Zimt. Eine Art goldgräbertauglicher Donut in Übergröße. Wir sitzen mit unserem Schatz auf einer Bank, und nach wenigen Bissen ziehen wir Blicke an wie ein Straßenkünstler in New York. Kaum jemand geht vorbei, ohne das Ding neugierig zu mustern – und schwupps, schon füllt sich der kleine Laden mit neugierigen Nachahmern. Marketing à la Gabi.
Klondike Doughboy
Gestärkt geht’s weiter durch die kleine Stadt. Der Fairway Market liefert Schinken und Kaffee für den Camper, beim Harley-Davidson-Store packen wir uns natürlich ein paar Shirts ein – man kann schließlich nicht in Alaska gewesen sein, ohne mindestens ein Kleidungsstück mit Harley-Logo im Gepäck. Broadway, Souvenirläden, Andenken: Kein Geschäft ist vor uns sicher, und für die Daheimgebliebenen fallen auch ein paar Kleinigkeiten ab.
Eine Pause bei Starbucks bringt uns den dringend nötigen Koffeinkick und – Bonus! – schnelles WLAN. Ein paar Grüße nach Hause, ein paar Bilder ins Netz – und zack, die Daheimgebliebenen wissen, dass wir weder im Nebel noch im Doughboy erstickt sind. Doch kaum ist der Akku wieder halbvoll, meldet sich auch schon der Magen: „Hallo? Ich hätte gern etwas Herzhaftes nach all dem Zucker.“
Schon bei der Planung stand fest: Skagway Brewing Company – das wird unser kulinarischer Pflichtstopp. Und siehe da, wir stehen vor der Tür, die Vorfreude so groß wie der Hunger. Das Lokal ist gut gefüllt, aber wir haben Glück und warten nur kurz, bis ein Tisch frei wird.
Kaum sitzen wir, haben wir die Speisekarte schon in den Händen – und ehrlich gesagt, wir hätten sie uns auch sparen können. Die Entscheidung war längst gefallen: Burger und Sandwich, dazu das hauseigene Bier. Schließlich sind wir nicht zum Spaß hier, sondern auf einer ernsthaften Forschungsmission in Sachen „Hopfen trifft auf Goldgräbergeschichte“.

Das Essen? Ein Volltreffer. Saftige Burger, Sandwiches, die man am liebsten in Zeitlupe essen würde, damit sie nie enden, und dazu Biere, die sich anfühlen wie ein flüssiges High-Five für die Geschmacksknospen. Jeder Schluck, jeder Bissen – ein kleines Fest.
Satt, glücklich und leicht beschwipst machen wir uns noch auf den Weg in den Shop nebenan. Klar, dass wir nicht mit leeren Händen rausgehen. Ein T-Shirt wandert in die Tasche, das obligatorische Souvenir-Bierglas gleich dazu. Schließlich wollen wir auch zu Hause stilecht anstoßen können und beim nächsten Schluck Yukon-Gefühl im Wohnzimmer haben.
Skagway Brewing Company
Es wird Zeit, Kurs auf die Fähre nach Haines zu nehmen. Die Tickets hatten wir clevererweise schon online gebucht – für schlanke 160 Dollar. Im Büro läuft alles reibungslos: Dokumente abholen, Fahrspur zugewiesen bekommen, und schon steht unser Truckcamper artig in der Reihe wie ein Schüler vor der großen Klassenfahrt.
Wir haben noch etwas Zeit und schlendern durch den Hafenbereich. Am Horizont erscheint schließlich unsere Fähre. Erst dachten wir: „Nett, aber ein bisschen mickrig, oder?“ Zwischen den Kreuzfahrtriesen wirkt das Teil wie ein Beiboot mit Größenkomplexen. Doch der Eindruck täuscht – spätestens als ein ausgewachsener Sattelschlepper elegant von Bord rollt, wird klar: Dieses „Schifflein“ ist ein Wolf im Schafspelz.
Skagway Haines Ferry
Die Vorfreude steigt, als sich die wartenden Fahrzeuge in Bewegung setzen. 20 Minuten später sind wir an der Reihe. Das Prozedere: Unten an den Holzbojen wenden und rückwärts auf die Fähre fahren. Klingt simpel, sieht aber bei einigen Mitstreitern aus wie eine Casting-Show für „Dancing with the Trucks“.
Doch bevor wir überhaupt zum großen Rückwärtsball antreten dürfen, gibt’s noch die Sicherheitskontrolle: Eine Mitarbeiterin prüft gewissenhaft unsere Gasleitungen. Erst wenn die Gaszufuhr wirklich getrennt ist, gibt’s den begehrten Aufkleber aufs Fach – unser offizielles Ticket ins Abenteuer.
Dann sind wir dran. Als vorletztes Fahrzeug rangiert Stefan unseren Camper rückwärts in den Bauch des Schiffes. Eng ist gar kein Ausdruck – das ist eher Tetris auf hohem Niveau. Aber die Einweiser sind echte Profis und winken uns so präzise ein, dass Stefan fast wie im Autokino parkt. Nur dass unser Kino gleich losschippert. Abschließen ist übrigens streng verboten – die Bewegungen auf dem Wasser würden sofort die Alarmanlagen auslösen. Also bleibt der Camper offen, während wir selbst an Deck klettern, bereit für die nächste Etappe: Haines, wir kommen!

Kaum sind wir oben auf dem Passagierdeck, sichern wir uns einen Platz mit Blick nach draußen. Punkt 15:30 Uhr setzt sich die „LeConte“ in Bewegung, und im Schritttempo gleitet sie durch das Taiya Inlet. Hinter uns werden die drei Kreuzfahrtriesen immer kleiner, und Skagway verschwindet langsam wie eine Filmkulisse nach Drehschluss. Vor uns? Neue Abenteuer, frische Eindrücke, und das verheißungsvolle Ziel Haines.
Natürlich reicht es mir nicht, einfach nur am Fenster zu sitzen. Ich will mehr – und finde es: ein Außendeck! Und nicht irgendeins, sondern ein beheiztes Sonnendeck mit Liegestühlen. In Alaska! Ich schnappe Stefan, und wir machen es uns oben gemütlich. Herrlich absurd: eingepackt wie Polarforscher, aber stilecht im Liegestuhl fläzend, als wären wir irgendwo an der Adria.

Ein paar junge Leute haben es noch konsequenter gelöst und sich gleich in Schlafsäcke gewickelt. Das Bild: eine Mischung aus Campingplatz, Wellnesshotel und Expeditionsschiff. Währenddessen gleiten wir vorbei an schneebedeckten Bergen, die sich majestätisch im klaren, blauen Himmel abzeichnen. Eine fast unwirkliche Ruhe liegt über dem Deck, nur das leise Brummen der Maschine begleitet uns.
Wir lehnen uns zurück, atmen tief durch und lassen den Moment wirken. Kein Handy, kein Lärm, nur Wasser, Berge und diese entspannte Gewissheit: Das hier ist Urlaub pur.
Haines, Alaska

Nach nur einer Stunde gleiten wir in den Hafen von Haines ein. Fasziniert beobachten wir die Decksmänner, wie sie mit der Präzision von Zirkusartisten ihre schweren Trossen werfen – und die Kollegen am Land fangen sie so locker auf, als wäre es ein kleiner Jonglierball. Ein paar Handgriffe später liegt die „LeConte“ fest vertäut, und für uns heißt es: runter in den Bauch des Schiffes, unser rollendes Zuhause abholen. Vorteil des Spät-Boardings in Skagway: Jetzt dürfen wir fast als Erste wieder raus. Zack, Motor an, Rampe runter – und schon rollen wir als zweite Karawane von Bord.
Unser Ziel? Der legendäre Chilkoot River, berühmt für seine Bären. Grizzlys, Schwarzbären – das volle Programm, so versprachen es die Reiseführer. Wir also voller Erwartung hin, Kamera im Anschlag, Puls leicht erhöht. Doch was sehen wir? Lachse. Unmengen davon, die sich mit letzter Kraft den Fluss hinaufschleppen. Nur: die Hauptdarsteller fehlen. Offenbar hatten die Bären schon ihr Mittagsmenü und dachten sich: „Ach, die Touristen schaffen wir auch morgen noch.“

Ganz ohne Action bleibt es aber nicht. Statt Bären gibt’s Bald Eagles, die mit ihrer majestätischen Präsenz über dem Fluss thronen, Flussotter, die wie Akrobaten durchs Wasser schießen, und eine bunte Schar von Vögeln, die ihre ganz eigene Show abliefern. Nicht der geplante Grizzly-Blockbuster, aber trotzdem ein beeindruckendes Naturkino.
Nach einer Stunde geben wir auf. Wir haben genug gewartet, und die Bären offensichtlich auch. Also zurück nach Haines. Unser Plan: ein kleines, nettes Restaurant. Die Realität: geschlossen. Oder besser gesagt – nicht mehr existent. Kein Problem, wir haben ja einen Camper, der Kühlschrank ist gefüllt und die Küche reist mit. Improvisation ist schließlich die wahre Kunst des Roadtrips.
Und doch bleibt ein kleiner Haken: Zum gemütlichen Abend im Camper gehört nun mal auch ein Stellplatz. Eigentlich hatten wir da was im Auge – eigentlich. Doch das Schicksal hatte offenbar andere Pläne.
Chilkoot River
Wir rollen also weiter – nicht, weil wir so viel Energie hätten, sondern weil wir den verdammten Campground schlicht nicht finden. Seit unserer Ankunft mit der Fähre in Haines scheint sich eine kleine Pannenserie gegen uns verschworen zu haben: keine Bären, kein Restaurant, und jetzt auch noch ein Campground, der sich offenbar in die Parallelwelt verabschiedet hat. Wenn es einen Drehbuchautor für unseren Trip gäbe, er hätte gerade einen Riesenspaß.
Aber hey, wir lassen uns nicht unterkriegen. Stattdessen erfreuen wir uns an der untergehenden Sonne, die die Landschaft in ein goldenes Licht taucht – fast so, als wolle sie sagen: „Leute, entspannt euch, ich rette euch die Bildergalerie.“ Und das stimmt: Die Fotos sehen später so traumhaft aus, dass man glatt vergisst, wie planlos wir über die Highways geirrt sind.
Also Plan B: Wildcampen oder weiterfahren, bis uns ein offizieller Campground über den Weg läuft. Wir haben ja Zeit, wir haben ja Sprit, und wir haben ein rollendes Hotelzimmer – alles easy. Nach rund 35 Minuten steht die nächste Episode an: die Rückkehr nach Kanada. Der Grenzer wirft einen müden Blick in unsere Pässe, nickt, und schon sind wir wieder drin.
Noch eine Stunde später taucht wie eine rettende Oase der Million Dollar Falls Campground vor uns auf. Jackpot! Es ist inzwischen 22 Uhr – Alaska-Zeit – doch die Dunkelheit traut sich nicht so recht, den Vorhang zu schließen. Stattdessen hängen noch Reste von Tageslicht in der Luft, als wolle selbst die Sonne sehen, ob wir es diesmal endlich schaffen, unser Lager aufzuschlagen.
Und ja – geschafft! Unser rollendes Zuhause steht, die Natur ist um uns herum, und wir haben das Gefühl, trotz aller kleinen Pannen genau da angekommen zu sein, wo wir hingehören. Der Million Dollar Falls Campground? Ein echter Volltreffer – auch wenn er uns heute Abend wohl eher wegen der Rettung unserer Nerven in Erinnerung bleiben wird als wegen seiner Ausstattung.

Wir nehmen den erstbesten Stellplatz, als hätten wir ihn uns schon immer ausgesucht, und parken unseren Truckcamper so souverän ein, als wäre das genau der Masterplan gewesen. Den Umschlag mit der Campground-Gebühr? Den schmeißen wir morgen in den Kasten – wenn es wieder hell ist und wir sicher sind, dass wir nicht versehentlich auf einem Parkplatz für Elche campen.
Ein kleines Vesper im Camper rundet den Tag ab. Kein Fünf-Gänge-Menü, keine spektakuläre Restaurant-Story – einfach Brot, Aufschnitt und das gute Gefühl, überhaupt angekommen zu sein. Und ehrlich: Genau das macht es aus.
Schon witzig, wie Pläne manchmal eine eigene Persönlichkeit entwickeln. Wir wollten in Haines schlafen, sind aber irgendwo im Nirgendwo bei den Million Dollar Falls gelandet. Klingt chaotisch, fühlt sich aber großartig an. Denn mal ehrlich – was wären Roadtrips ohne diese Umwege, die später die besten Geschichten abgeben? Zweite Nacht on the road, zweiter ungeplanter Schlafplatz. Und trotzdem – oder gerade deshalb – fühlt sich das Abenteuer jetzt erst so richtig echt an.