Traumhafter Dempster Highway: Keine Fähre
dafür Begegnungen mit Bär, Fuchs und Wolf
Es ist 7 Uhr, als ich aufwache. Schnell ab ins winzige Bad und dann nach draußen, um einen Blick auf das Geschehen an der Fähre zu werfen. Es ist noch dunkel, aber die Trucker sind bereits auf den Beinen und versammeln sich vorne am Fluss. Drüben steht die Fähre, und ein paar Männer sind darauf zu sehen. Bereiten sie sich auf die Abfahrt vor?

Vorne am Ufer herrscht diese spezielle, koffeindurchtränkte Ruhe vor dem (hoffentlich) baldigen Start. Jemand meint, es gehe „gegen neun“ los. Klingt gut – zurück in den Camper: Frühstück, Heizung auf „kuschelig“, und durch die Scheibe die ersten rosa Streifen über dem Fluss.
Nach dem Kaffee schnappen wir die Kamera und schlendern wieder hinunter zum Peel River. Das Wasser liegt glatt wie poliert, die Uferbüsche glühen in Herbstgelb. Die Wartenden stehen in kleinen Grüppchen, große Thermobecher in der Hand, und sagen Dinge wie „Any minute now“ – was hier oben bekanntlich alles zwischen „gleich“ und „irgendwann“ bedeuten kann. Ab und zu surrt ein kleines Boot herüber; offenbar setzen Mitarbeiter und Fahrer von der Gegenseite zu ihren Fahrzeugen über. (Perfekter Moment für deine ruhigen Ufer-/Spiegelungsfotos.)

Und dann kippt die Idylle kurz in Comedy: Ein alter Pickup rollt vor, am Steuer eine Frau mittleren Alters mit Energie für drei. Sie hupt, winkt, ruft über den Fluss, als könnte sie die Fähre per Stimmgewalt in Gang setzen. Die Trucker grinsen, einer hebt die Tasse zum Salut. Ich schwanke zwischen Mitleid und Standing Ovations.
Endlich bewegt sich die Fähre. Sehr langsam. Auf dem Deck stehen Männer mit langen Stangen und stochern ins Wasser wie hyperaktive Gondoliere – offenbar wird der Fluss „abgetastet“. Wir halten die Luft an … Halbzeit … und dann dreht der Kahn um. Einfach so. Ein kollektives „Ooooooh“ geht durch die Reihe, synchron mit meinem inneren „Nicht euer Ernst!“.
Gerüchte wabern wie Morgennebel: Motorzicken? Sandbank? Treibholz? „A bit of everything“, sagt einer und zuckt nordkanadisch gelassen mit den Schultern. Gut, dann eben Plan B: Warten in schön. Stefan brüht noch einen Kaffee, ich fotografiere Spiegelungen, goldene Uferstreifen und ein zutraulicher Hund, der prüft, ob wir vielleicht Wurst dabeihaben.
Gegen Mittag wird es wieder lebhaft. Ein Arbeitsboot bringt Leute und Kisten – Ersatzteile, Werkzeug, die halbe Hoffnung. Auf der Fähre wird geschraubt, gefunkt und erneut gestochert. Die Frau im Pickup dreht eine Ehrenrunde Hup-Yoga, dann, wie von Zauberhand: Die Fähre legt ab. Diesmal wirkt alles entschlossener, die Stangen gehen nur noch pro forma ins Wasser.

Sie kommt näher. NÄHER. Sie dreht um. Hier ist KEIN Handyempfang weit und breit – Funkstille im wahrsten Sinne. Doch auf einem kleinen Hügel sammeln sich plötzlich immer mehr Leute wie Motten ums Licht. Sie stehen da, alle mit gesenktem Kopf, als würden sie heimlich einen Schatz suchen. Natürlich werde ich neugierig. Also stapfe ich rüber, und siehe da: Oben auf dem unscheinbaren Erdhügel kitzelt ein winziger Balken Empfang das Display. Willkommen auf „Telegraph Hill“, dem inoffiziellen Kommunikationszentrum des Peel Rivers!
Hier werden die wahren Nachrichten ausgetauscht. Einer der Männer hält sein Handy hoch wie den heiligen Gral und ruft den neuesten Stand der Dinge in die wartende Menge: „It takes another couple of hours.“ Ein Raunen geht durch die Runde, gefolgt von kollektiven Seufzern.

Währenddessen regt sich drüben am Ufer wieder etwas. Ein Bagger tuckert heran und beginnt, im Flussbett herumzugraben. Staub, Schlamm und Fragezeichen liegen in der Luft. Neben mir steht ein Mann, der das Spektakel genauso aufmerksam verfolgt wie ich. Ich will die Situation mit etwas Humor auflockern und frage ihn: „Do you think they’re digging a tunnel?“ Er legt die Hand ans Kinn, starrt ernsthaft auf den Bagger und meint nach kurzem Überlegen völlig trocken: „I think that’s impossible.“ Ich schwöre, in diesem Moment hörte ich innerlich ein Pling! – wie in einer Sitcom, wenn der Gag nicht gezündet hat. Ach ja, da war doch was: Amerikaner und Sarkasmus … manchmal keine Liebesgeschichte.
Die Stunden ziehen dahin. Wir fotografieren das goldgelbe Herbstlaub, nippen an endlosen Kaffeebechern und führen Smalltalk mit allen, die genauso planlos warten wie wir. Der Himmel zieht zu, die Zeit vergeht, aber die Fähre bleibt bockig. Es ist inzwischen Mittag, und die Stimmung kippt von „Wir schaffen das schon“ zu „Das schaffen wir nie“.
Schließlich sehen wir uns an und wissen beide: Das wird heute nichts mehr. Schweren Herzens beschließen wir, die Mission Peel River abzubrechen und den Rückzug anzutreten. Kein Nordpol-Roadtrip ohne kleine Dramen – aber manchmal ist Aufgeben eben die mutigste Entscheidung.

Die Rückfahrt nach Eagle Plains fühlt sich an wie ein Geschenk, das uns Mutter Natur persönlich überreicht – und zwar nicht in langweiligem Geschenkpapier, sondern in einer atemberaubenden 360-Grad-Panoramaverpackung mit Schleifchen aus Herbstfarben.

Der Himmel, der uns am Vortag noch mit grauem Nieselregen verhöhnt hat, strahlt jetzt im satten Blau. Die Sonne bricht golden über die Richardson Mountains, und die Landschaft wirkt wie frisch für einen Kinofilm ausgeleuchtet – irgendwo zwischen „Der mit dem Wolf tanzt“ und „Into the Wild“. Wir rollen gemächlich über den Schotter, jeder Kilometer ein Postkartenmotiv. Gelb leuchtende Birken, rote Sträucher, rostbraune Gräser – Indian Summer deluxe. Man müsste eigentlich alle zehn Meter anhalten.
Dempster Highway / Northwest Teretorries
Unser erster Star des Tages: ein Fuchs, der wie bestellt am Straßenrand posiert. Elegant, mit rot-schwarzem Fell und neugierigem Blick, als hätte er das Shooting im Terminkalender stehen. Wir bleiben stehen, und ich halte die Kamera drauf. Klick, klick – er trabt weiter, als wollte er sagen: „So, das war mein Beitrag für eure Reise-Diashow. Kein Applaus nötig.“

Doch dann der Moment, der mich im Nachhinein schaudern lässt. Ein großes, helles Tier taucht am Rand der Straße auf. Mein erster Gedanke: „Oh, da ist ja ein Husky!“ Und weil man bei einem vermeintlichen Hund nicht lange fackelt, steige ich kurzerhand aus dem Camper, gehe ein paar Schritte näher und fange an zu fotografieren – aus nächster Nähe, versteht sich. Das Tier bleibt ruhig stehen, beobachtet mich mit durchdringenden Augen, und ich knipse wie verrückt. Nach ein paar Minuten gehe ich zurück in den Camper, ganz zufrieden mit meiner kleinen „Süßer-zahmer-Hunde-Story“.

Später, als wir endlich wieder Netz haben, google ich die Hunderasse. Und dann trifft es mich wie ein Schlag: Das war kein Hund. Das war ein Polarwolf! Ich hatte mich seelenruhig einem wilden Wolf genähert – und er hat mich einfach machen lassen. Vermutlich hat er sich gedacht: „Ach, die seltsame Zweibeinerin da – lass sie ruhig, sie ist sowieso nicht schnell genug zum Jagen.“
Und dann, als Krönung, taucht er endlich auf: der lang ersehnte Grizzly. Breit wie ein Kleintransporter, gemütlich grast er im braunen Tundra-Gras, als wären wir unsichtbar. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, aber die Kamera läuft heiß. Doch diesmal bleibe ich brav im Camper sitzen. Immerhin erkenne ich den Bären als Bären – und nicht als übergewichtigen Collie. Kleine Fortschritte im Wildlife-Training muss man schließlich würdigen!

Am Ende des Tages haben wir alles gesehen: Fuchs, Wolf und Grizzly – die goldene Dreifaltigkeit der Wildnis. Der Dempster Highway hat uns nicht nur spektakuläre Landschaften serviert, sondern auch Begegnungen, die man nicht plant, sondern geschenkt bekommt. Und ich? Ich schwöre mir, nie wieder vorschnell „Hund“ zu denken, wenn ein großes Tier in der Wildnis auftaucht.
Gestern Abend, kurz bevor mir die Augen zufielen, habe ich übrigens noch ein wenig in der Milepost geblättert – der Straßenbibel für alle, die meinen, im hohen Norden mal eben entspannt eine Runde „spazieren zu fahren“. Und siehe da: schwarz auf weiß prangt dort genau die Warnung für den Straßenabschnitt, auf dem wir uns unsere beiden Plattfüße eingefangen haben:
“CAUTION: Slow for shale road surfacing. Save your tires by driving slowly and not stopping too fast on sharp-edge shale.”
(Milepost 2017)
Na klasse. Hätte ich das mal vorher gelesen – oder wenigstens nach der ersten Reifenpanne –, vielleicht wären uns die beiden Schlappen erspart geblieben. Aber wie sagt man so schön: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Und auf dem Dempster Highway sowieso immer einen Reifen zu spät.

Und dann, als ob das Schicksal noch eins draufsetzen wollte, sehen wir am nächsten Tag an exakt der Stelle, wo wir unsere beiden Pannen eingefahren haben, einen Camper am Straßenrand. Davor steht ein Paar mittleren Alters, das ziemlich ratlos auf ihre plattgedrückten Reifen starrt.
Ich werfe Stefan einen Blick zu: „Na, wenn das nicht nach einer Live-Demonstration unserer neu erworbenen Fähigkeiten schreit…“ Also halten wir an. Fenster runter, freundliches Lächeln, und ich frage, ob wir helfen sollen.
Der Mann, offenbar aus der „Wir schaffen das schon irgendwie“-Fraktion, lehnt höflich ab: „No, thanks.“ Die Frau hingegen, deutlich pragmatischer, schaut ihn an und sagt auf Englisch: „Du hast doch noch nie in deinem Leben einen Reifen gewechselt. Warum lässt du dir nicht helfen?“
Darauf er, schon leicht genervt: „Doch, das krieg ich hin.“
Sie: „Ach komm, lass sie doch helfen, wenn sie schon anbieten!“
Er: „Nein, das geht schon.“
Sie: „Ja, aber schneller geht’s bestimmt mit Hilfe!“
Er: „NEIN.“
Das Ganze hätte locker als Sketch bei „Loriot“ durchgehen können. Nach ein paar Minuten dieses Ehekabaretts meinten die beiden dann fast im Chor, dass wir ruhig weiterfahren sollen.
Also gut – dann eben nicht. Wir sind schließlich keine Pannenengel auf Bestellung. Mit einem kleinen Schmunzeln starten wir den Motor, lassen die Szene hinter uns und denken uns: Manchmal ist Hilfe wohl genauso unerwünscht wie eine zweite Reifenpanne.
Eagle Plains
Um 14:45 Uhr rollen wir wieder in Eagle Plains ein. Unser erster Halt ist – wie sollte es anders sein – die Werkstatt. Mit einem Grinsen sage ich zum Mechaniker: „The same package as yesterday: Fill up Diesel and fix the tire.“ Der Mann, derselbe wie am Vortag, zuckt mit den Schultern und meint trocken: „This is Dempster Highway.“ Und dann macht er sich ans Werk, als wäre das hier sein ganz normales Tagesgeschäft – was es vermutlich auch ist.

Kurz darauf präsentiert er uns den Übeltäter unseres zweiten Plattens: ein Stein, groß wie eine kleine Pfeilspitze, der sich tief in den Reifen gebohrt hat. Ich starre das Ding an und frage mich, ob es aus einer längst vergessenen Indianerzeit stammt und wir nicht nur einen platten Reifen, sondern gleich ein archäologisches Artefakt entdeckt haben. Leider hat es aber nicht den Weg ins Museum, sondern in unsere Sammlung „Dempster-Souvenirs“ gefunden.

Ich mache mir Sorgen – das Loch im Reifen ist kein süßes Löchlein wie nach einem Reißnagel, sondern eher die Größe eines Miniatur-Kratersees. Also frage ich vorsichtig, ob es nicht sicherer sei, mit dem Ersatzrad weiterzufahren statt mit diesem notdürftig geflickten Pneu. Seine Antwort: „Your choice – I am just the guy that fixing the tires.“Großartig. Das ist ungefähr so hilfreich wie ein Arzt, der nach einer OP sagt: „Na ja, ob Sie das überleben, weiß ich auch nicht. Bin nur fürs Schneiden zuständig.“
Also gut, wir nehmen den geflickten Reifen, hängen das Ersatzrad wieder an seinen Platz und beschließen, uns spätestens in Whitehorse bei Fraserway nochmal beraten zu lassen. Bis dahin wird der Reifen hoffentlich durchhalten.
Nachdem der finanzielle Schaden beglichen ist – erneut 52 Dollar fürs Reifenflicken, fast schon ein Rabattabo – parken wir unseren graubraun eingesauten Truck Camper vor dem Restaurant. Vor zwei Tagen noch stolz in glänzender Herstellerlackierung unterwegs, ist unser Gefährt inzwischen in der offiziellen Dempster-Highway-Editionlackiert: Einheitston „Schotterstaub-Matt“. Nicht mal Regen hat daran etwas geändert, im Gegenteil: Die Feuchtigkeit hat die Dreckschicht zementartig fixiert. Unsere Eingangstür geht nur noch mit Gewalt auf, und die Scharniere kreischen so erbarmungswürdig, als würden sie im nächsten Moment um Gnade betteln. Eine Wagenwäsche wäre jetzt dringend fällig – aber wir sind schließlich mitten in der Wildnis und nicht an einer Shell-Tankstelle.

Das Arctic Circle Restaurant hat heute geschlossen – vermutlich Reifenpause. Aber gleich daneben hat die Millen Lodge geöffnet. Stefan gönnt sich einen Hamburger, ich entscheide mich für Chicken Tenders. Beides solide, beides heiß, und beides vor allem ohne Schiefersteineinlage. Mehr Luxus braucht man nach zwei Tagen voller Reifenabenteuer nicht.
Eagle Planis – Mittagspause
Gerade als wir wieder in unseren Truck Camper steigen wollen, fährt ein PKW auf den Hof. Und wer steigt aus? Das Paar mit der Reifenpanne, das unsere Hilfe so vehement abgelehnt hatte. Die Szene könnte direkt aus einer Sitcom stammen: Sie marschiert mit zusammengekniffenen Lippen und dem Blick einer Frau, die gerade ihre innere Kettensäge aktiviert hat, schnurstracks Richtung Werkstatt. Er dagegen trottet hinterher, die Schultern hängend, als würde er am liebsten gleich in die Einsamkeit der Tundra verschwinden. Ganz ehrlich: hier hängt der Ehe-Segen schiefer als jede Bretterbude in Dawson City. Offenbar hat er den Reifenwechsel dann doch nicht hingekriegt. Tja – und jetzt wird’s für den armen Kerl ungemütlich. Lektion des Tages: Liebe Männer, widersprecht eurer Frau niemals, wenn sie sagt: „Lass dir helfen!“
Um 14:30 Uhr rollen wir schließlich wieder auf die Straße hinaus. Und wie anders sich die Welt zeigt! Hatten wir gestern auf diesem Abschnitt wegen des Regens kaum Sicht, so strahlt heute alles in herrlich klarer Luft. Wir halten immer wieder an, machen Fotos, Fotos und noch mehr Fotos – als würden wir versuchen, die Landschaft auf unseren SD-Karten für die Ewigkeit einzufrieren.

Ein besonders magischer Stopp ist der Ogilvie Ridge View Point. Von hier aus schweift der Blick über ein Meer aus goldgelben und roten Sträuchern hinab ins herbstliche Peel River Valley. Unten im Tal schlängelt sich der Peel River, eingefasst von leuchtenden Aspen, wie ein glänzendes Band durch die Landschaft. Hinweistafeln erklären, was wo zu sehen ist – als würde die Natur hier nicht schon genug Geschichten erzählen.

Es ist einer dieser Momente, in denen man einfach nur dasteht, die Luft tief einatmet und denkt: „Ja, dafür lohnt sich jede Reifenpanne.“
Für die Nacht ist klarer Himmel angesagt – und das bedeutet: Nordlicht-Alarm! Unsere Hoffnung steigt wie der Adrenalinspiegel beim ersten Schritt aufs Gaspedal nach zwei Reifenpannen. Wir beschließen, uns nicht länger vom Staub des Dempster durchschütteln zu lassen, sondern einen Platz für die Nacht zu suchen, an dem wir freie Sicht in alle Richtungen haben.
Nach rund 250 Kilometern seit Eagle Plains taucht er auf wie eine Postkartenkulisse: der Lake Chapman. Ein glasklarer See, eingerahmt von sanften Hügeln, mit einer kleinen Insel mitten drin – als hätte jemand beim Landschaftsbasteln gedacht: „Ach komm, da setze ich noch ein i-Tüpfelchen drauf.“
In einer kleinen Haltebucht entdecken wir unseren persönlichen Logenplatz. Der Truck Camper wird eingeparkt, als wollten wir hier gleich ein Hotel eröffnen. Wir haben freie Sicht in alle Himmelsrichtungen – perfekt, falls die Nordlichter tatsächlich heute Nacht auftauchen.

Die Stimmung ist schwer zu beschreiben: absolute Stille, nur durchbrochen vom leisen Rauschen des Windes und dem entfernten Ruf eines Vogels, der sich vermutlich fragt, was diese beiden Verrückten mitten im Nirgendwo machen. Der See liegt spiegelglatt vor uns und reflektiert die goldene Abendsonne, die langsam hinter den Bergen verschwindet.
Nachdem wir uns ein kleines Vesper gegönnt haben – Brot, Käse, alles schön improvisiert wie im besten Camper-Feinschmecker-Restaurant – ziehen wir uns nach hinten in unseren Truck Camper zurück. Draußen ist es inzwischen stockdunkel, und drinnen surrt Stefans Laptop leise, während er sich durch die Flut an Fotos klickt, die wir heute geschossen haben. Der Mann ist quasi unser hauseigener Archivar, der jede Aufnahme behandelt, als wäre es ein UNESCO-Weltkulturerbe.
Ich hingegen kann nicht stillsitzen. Um 23 Uhr krieche ich nach vorne in die Fahrerkabine – mit dem festen Vorsatz, die Nordlichter auf keinen Fall zu verpassen. Sollte der Himmel tatsächlich Feuerwerk bieten, dann bitte nicht ohne mich! Um 23:30 Uhr kommt Stefan dazu, bewaffnet mit einem müden Lächeln und dem Angebot, ein bisschen Musik oder Podcasts einzuschalten. Gesagt, getan. Wir sitzen da wie zwei Nachtwächter im Pyjama und warten auf das Spektakel des Jahrhunderts.
Und dann … ziehen Wolken auf. Einfach so. Kein dramatischer Sturm, kein Unwetter, nein – einfach diese hinterlistigen, unspektakulären Dinger, die den ganzen Himmel zudecken. „So etwas Blödes“, denke ich. Das war’s dann wohl mit den Nordlichtern. Wir geben uns geschlagen und beschließen, ins Bett zu gehen.
Doch statt selig zu schlummern, rutschen wir beim Schlafen ständig nach rechts. Offenbar steht unser RV leicht schief – wir liegen wie zwei Murmeln in einer Schale und kugeln immer wieder in dieselbe Ecke. Erst nervt es, dann fangen wir mitten in der Nacht an zu lachen. Dieses Gekicher hört gar nicht mehr auf. Schlaf? Unmöglich.
Also fassen wir einen verrückten Plan: Wir fahren einfach weiter. Es ist 1:00 Uhr, Stefan schlüpft in eine Jeans, ich bleibe im Schlafanzug – man muss ja Prioritäten setzen. Noch immer kichernd wie Teenager auf Klassenfahrt rollen wir 45 Minuten durch die Dunkelheit, bis wir am Tombstone Campground ankommen. Dort nehmen wir uns den ersten freien Platz, schalten den Motor aus und fallen wieder ins Bett.
Umziehen muss ich mich nicht mehr – ich bin schließlich schon im passenden Outfit. Schlafanzug-Roadtrip approved.