
Abschied von New Orleans: Paddeln für Anfänger in den Bayous von Louisiana
Guten Morgen aus New Orleans! Ein letztes Mal öffnet sich unser Fenster mit Blick auf die Stadt, die niemals wirklich schläft – zumindest nicht in den letzten Tagen. Doch heute ist es soweit: Wir müssen uns verabschieden. Ein Abschied, der schwerfällt, denn wenn man eine Stadt erst richtig ins Herz geschlossen hat, will man eigentlich nicht gehen. Aber, seien wir ehrlich: Wir kommen sowieso wieder.
Unser Kofferchaos ist schnell beseitigt – schließlich sind wir inzwischen geübte Packprofis. Während ich mich heldenhaft dazu bereit erkläre, auf unser Gepäck aufzupassen, macht sich Stefan auf den Weg, um unseren Mustang abzuholen. Ihr erinnert euch? Unser treues Gefährt steht noch am St. Louis Cemetery No. 1, wo wir es strategisch geparkt hatten. Und auch wenn dieser Friedhof für Besucher ohne Tour nicht zugänglich ist – unser Auto sollte man uns hoffentlich trotzdem ohne Buchung wieder aushändigen.
Während ich also geduldig in der Lobby des Wyndham French Quarter sitze und darauf warte, dass Stefan unseren fahrbaren Untersatz zurückbringt, nutze ich die Zeit, um all die Momente der letzten Tage noch einmal Revue passieren zu lassen. Mardi Gras, endlose Paraden, schillernde Masken, laute Musik, eine Stadt im Ausnahmezustand – und mittendrin wir. Und jetzt? Jetzt ist plötzlich alles wieder ruhig. Fast schon gespenstisch ruhig.
Nach etwa einer halben Stunde brummt es draußen vor der Tür – da ist er, unser Mustang! Wir verstauen unser Gepäck, werfen einen letzten Blick auf unser Hotel und steuern nun unser erstes und wichtigstes Ziel für heute an: Frühstück!
Die Wahl fällt auf das charmante Another Broken Egg Café, eine Kette, die sich auf üppige Frühstücksgerichte spezialisiert hat. Und was könnte New Orleans besser gerecht werden als ein richtiges, ausgedehntes Frühstück?
Ich entscheide mich für das Blackberry Stuffed French Toast – eine sündhaft leckere Kombination aus knusprigem Toast, gefüllt mit süßer Brombeercreme und getoppt mit einer großzügigen Ladung Puderzucker. Ein absolutes Meisterwerk! Stefan bleibt klassisch und bestellt sich den Traditional Day Starter, mit Eiern, Speck und Toast – nichts kann mit einem soliden Frühstück schiefgehen.
BILDERGALERIE: Another Broken Egg Cafe
Nach dem Frühstück haben wir noch einen besonderen Punkt auf unserer To-Do-Liste: Den berühmten Lafayette Friedhof Nr. 1. Und wir wären nicht wir, wenn wir nicht einen kleinen Trick parat hätten.
Denn während der bekannte St. Louis Cemetery No. 1 inzwischen nur noch mit offiziellen Touren betreten werden darf – Schuld daran sind unverbesserliche Touristen, die meinten, sie müssten die LSD-geschwängerte Szene aus Easy Ridernachstellen – ist der Lafayette Friedhof noch frei zugänglich. Vorausgesetzt, man ist früh genug da. Unser Plan? 8 Uhr morgens, bevor die Touristenströme und die geschäftstüchtigen Guides auftauchen.
Dieser Friedhof ist nicht nur für Geschichtsinteressierte ein faszinierender Ort – er ist auch eine beliebte Filmkulisse. Schon mal von Interview mit einem Vampir, The Originals oder Doppelmord mit Tommy Lee Jones gehört? All diese Filme und Serien haben Szenen, die hier zwischen den beeindruckenden Mausoleen gedreht wurden. Während der St. Louis Friedhof für Filmaufnahmen inzwischen tabu ist – aus nachvollziehbaren Gründen – bleibt der Lafayette Friedhof ein Hotspot für Hollywood-Produktionen. Und jetzt stehen wir selbst mitten in diesem filmreifen Szenario.

Sobald wir das Haupttor passieren, tauchen wir in eine andere Welt ein. Die Gräber sind hier keine schlichten Steinplatten auf grünen Wiesen, sondern kleine Marmor- und Steinhäuser, die sich wie Reihenhäuser aneinanderreihen. Manche sind eng gedrängt, andere stehen etwas abseits und wirken wie prächtige Villen – wenn auch für Gäste mit unbegrenztem Aufenthalt. Verzierte gusseiserne Zäune, kunstvolle Statuen, bröckelnder Putz und moosbewachsene Engel, deren Gesichter der Zahn der Zeit ausgelöscht hat – das alles gibt dem Ort einen fast mystischen Charakter. Hier scheint die Geschichte selbst zwischen den Mauern zu flüstern.
BILDERGALERIE: Lafayette Cemetery
Die „Cities of the Dead“ – Friedhöfe, wie sie nur New Orleans kennt
In New Orleans haben Friedhöfe eine ganz besondere Bedeutung. Hier gibt es keine stillen, tristen Begräbnisstätten – hier sind sie “Cities of the Dead”, ganze Totenstädte mit engen Straßen und einer Architektur, die fast lebendig wirkt.
Und dann gibt es natürlich noch das berühmteste Begräbnisritual der Stadt: Das Jazz Funeral.
Ein typisches Jazz-Begräbnis beginnt mit einem feierlichen Marsch. Die Brass Band spielt zuerst traurige, klagende Melodien, während Familie und Freunde dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen. Doch dann ändert sich die Stimmung: Die Musik wird lebhafter, ausgelassen, voller Energie. Das ist der Moment, in dem der Verstorbene verabschiedet und das Leben gefeiert wird.
Der „offizielle“ Teil des Umzugs wird “Main Line” genannt, während diejenigen, die einfach mitfeiern, zur “Second Line” gehören. Es wird getanzt, bunte Sonnenschirme geschwungen, Taschentücher in die Luft geworfen – und wer will, kann sich einfach anschließen und mitfeiern. Denn in New Orleans geht es nicht darum, das Ende zu betrauern, sondern das Leben zu feiern.
Warum werden die Toten in Mausoleen beigesetzt?
Ein weiterer Grund, warum die Friedhöfe hier so einzigartig sind, liegt in der Geografie der Stadt. New Orleans liegt im sumpfigen Mississippi-Delta und größtenteils unter dem Meeresspiegel. Früher kam es daher immer wieder vor, dass nach schweren Regenfällen oder Überschwemmungen die Särge unschön wieder an die Oberfläche befördert wurden. Die Lösung? Überirdische Mausoleen.
Die Familiengräber hier sind nicht nur imposant, sondern auch praktisch. Sie sind oft mehrere Etagen hoch, sodass sich mehrere Generationen eine Krypta „teilen“. Der Verstorbene wird zunächst in die oberste Etage gelegt, und nach einem Jahr und einem Tag – denn das heiße Klima von Louisiana sorgt für eine natürliche Kremation – wird der Sarg nach hinten geschoben, um Platz für den nächsten zu machen. Stirbt innerhalb dieser Zeit jemand anderes aus der Familie, dann wird das vorherige Familienmitglied eine Etage nach unten verfrachtet. Praktisch, effizient und typisch New Orleans.
Nach etwa einer Stunde Erkundung fühlen wir uns, als hätten wir ein halbes Geschichtsbuch durchlebt. Und als wir das Haupttor verlassen, bemerken wir, dass sich inzwischen einige Tourguides mit interessierten Gruppen versammelt haben. Gutes Timing!
Ein Guide, der sich besonders gewieft gibt, spricht uns direkt an:
“Hey, ihr habt Glück! Ich biete heute eine spezielle Friedhofstour an – mit anschließendem Mittagessen in Begleitung von Sandra Bullock!”
Nun, Sandra Bullock lebt tatsächlich zeitweise in New Orleans, und es ist bekannt, dass sie die Stadt liebt. Aber ob sie sich tatsächlich auf ein Mittagessen mit zufälligen Touristen einlässt, erscheint uns doch sehr fraglich. Wir lachen, lehnen höflich ab und lassen uns stattdessen von der nächsten Verlockung treiben: ein letztes, richtig gutes Essen in dieser unglaublichen Stadt.
Bevor wir New Orleans endgültig hinter uns lassen, gibt es noch eine wichtige Mission zu erfüllen – Walmart!Schließlich müssen wir sicherstellen, dass unser Getränkevorrat für die kommenden Tage ausreichend bestückt ist. Und wie könnte es anders sein, landet neben Wasser und Cola auch ein 6er-Pack Purple Haze in unserem Einkaufswagen. Dieses fruchtige Weizenbier mit Himbeernote hat sich in kürzester Zeit zu meinem absoluten Favoriten entwickelt– und wenn es so gut schmeckt, warum nicht gleich für die nächsten Abende vorsorgen?
Mit vollgepacktem Kofferraum geht es weiter. Wir werfen einen letzten Blick auf die Skyline, auf die alten Straßenbahnen, die durch die Canal Street gleiten, auf die verwinkelten Gassen des French Quarters, die in den letzten Tagen unser Zuhause waren. Ich atme tief ein, um die Atmosphäre ein letztes Mal einzusaugen. Und während Stefan den Blinker setzt und wir auf die Schnellstraße abbiegen, weiß ich: Wir werden irgenwann zurückkommen.
New Orleans verschwindet langsam im Rückspiegel, während wir auf den Highway 182 einbiegen – eine Route, die uns durch die ländliche Schönheit Louisianas führt. Statt eintöniger Highways erwartet uns eine Straße voller Charme: verwilderte Bayous, kleine Holzhäuser auf Stelzen, vereinzelte Dörfer, in denen die Zeit stillzustehen scheint.
Während Stefan entspannt fährt, beobachte ich, wie sich das Stadtleben immer weiter hinter uns auflöst und von einer Szenerie ersetzt wird, die direkt aus einem Südstaaten-Roman stammen könnte. Unterwegs sehen wir vereinzelt kleine Fischerboote, die an den ruhigen Gewässern ankern – wahrscheinlich auf der Jagd nach Shrimps und Crawfish. Es hat etwas Beruhigendes, diesen Männern bei der Arbeit zuzusehen, als wäre die Zeit hier ein bisschen langsamer.
Nach etwa anderthalb Stunden Fahrt erreichen wir New Iberia, eine kleine Stadt mit überraschend viel Geschichte. Unser Ziel? Die Conrad Rice Mill, die älteste unabhängige Reismühle in den gesamten Vereinigten Staaten.
Seit 1912 werden hier Reiskörner verarbeitet, und das Besondere? Sie tun es noch immer mit Maschinen, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Heute wäre eine Führung sicherlich spannend gewesen, aber unser Zeitplan ist straff. Zum Glück gibt es aber den angrenzenden Reis-Shop!


Kaum betreten wir den kleinen, rustikalen Laden, strömt uns ein unverkennbarer Duft entgegen – eine Mischung aus frisch verpacktem Reis, süßen Gewürzen und dem Aroma von geröstetem Kaffee. Regale voller Cajun-Gewürze, Jambalaya-Mischungen und hausgemachten Saucen lassen mein Feinschmecker-Herz höherschlagen.
„Macht’s euch bequem und probiert mal!“, ruft uns die Dame hinter der Theke freundlich zu und deutet auf eine kleine Verkostungsstation. Natürlich lasse ich mir das nicht zweimal sagen. Besonders spannend finde ich den „Wild Pecan Rice“ – ein Langkornreis mit einer feinen, nussigen Note, der tatsächlich entfernt an Pekannüsse erinnert. Perfekt für ein Cajun-Gumbo, oder?
Mit vollgepackten Taschen verabschieden wir uns von der kleinen, charmanten Mühle und setzen unsere Fahrt fort – Richtung Texas.
Paddeln? Kein Problem! Das haben wir auf YouTube gelernt!
Die Theorie? Glasklar. Das Paddel ist dein Freund, das Boot bleibt im Wasser, und der Mensch bleibt trocken. Klingt doch idiotensicher, oder? Das dachten wir auch – bis wir tatsächlich in einem Kanu saßen.
Nach einer amüsanten 45-minütigen Fahrt erreichen wir McGee’s Swamp Tours, tief im Herzen des Atchafalaya Basin – einem der wildesten und gleichzeitig beeindruckendsten Sümpfe der USA. Ich hatte irgendwo mal gelesen, dass es nichts Authentischeres gibt, als sich selbst durch die mystischen Bayous zu paddeln. Ein Abenteuer, ganz nah an der Natur! Also zeigte ich damals Stefan voller Begeisterung diesen Artikel und fragte: „Meinst du, das schaffen wir?“ „Klar!“, sagte er, ohne eine Sekunde zu zögern. „Ich schau mir einfach ein YouTube-Video an.“
Ja, genau. Ein YouTube-Video. Damit hatte Stefan quasi ein Paddel-Diplom. Zwei Minuten später war er selbsternannter Kajak-Experte, und ich war so naiv, ihm zu glauben. Also buchte ich die 2-stündige Paddeltour, in der festen Überzeugung, dass das alles ein Kinderspiel wird.
Der unangefochtene König Stefan der Bayous – oder auch: Ein Paddel, null Plan!
Wir kamen pünktlich bei McGee’s Swamp Tours an und wurden direkt von einer sympathischen Dame begrüßt. Das lief ja schon mal gut. Doch wenn wir dachten, dass jetzt noch ein kleiner Crash-Kurs im Paddeln auf uns wartete – weit gefehlt.
Statt einer kurzen Einweisung bekamen wir ein Paddel, zwei Schwimmwesten und eine laminierte „Paddel-Karte“ in die Hand gedrückt. Dann folgte eine denkbar knappe Erklärung: „Folgt einfach den roten Markierungen an den Bäumen – alles ganz easy!“
Ach so. Klar. Dann kam noch der entscheidende Satz: „Geht einfach hinter zum Fluss – da liegen die Boote. Nehmt euch eins weg.“
Das kann ja heiter werden! Mit einem leicht hysterischen Lächeln und der Karte in der Hand – die vermutlich auch eine Schatzkarte hätte sein können, so wenig sagte sie uns – marschierten wir in Richtung Wasser. Jetzt gab es kein Zurück mehr.


Auf dem Trockenen klappte es ja schon mal ganz gut, wie man auf dem Bild sieht – da sitze ich, mit dem Kanu fest verankert im Gras, Schwimmweste korrekt angelegt und bereit, jede Herausforderung des Bayous zu meistern. Doch dieser Moment der scheinbaren Ruhe war natürlich nur die trügerische Ruhe vor dem Sturm.
Nachdem ich mich kurz in meine imaginäre Rolle als Profi-Paddlerin hineingefühlt hatte, steige ich wieder aus und überlasse dem echten Abenteuer den Vortritt. Mit vereinten Kräften schieben wir das Boot zur Hälfte ins Wasser. Der Moment ist gekommen – Kapitän Stefan nimmt mutig seinen Platz im hinteren Teil des Kanus ein, mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen Entschlossenheit und Skepsis pendelt.
Ich hingegen stehe da, mit einem Fuß noch sicher auf festem Boden und dem anderen bereits unsicher in der wackelnden Nussschale, die sich sofort bedrohlich hin und her bewegt. Meine Hände klammern sich an den Bootsrand, und ich verkünde mutig: „Alles unter Kontrolle!“ Natürlich glaubte mir das niemand, am allerwenigsten ich selbst.
Stefan, der in seiner Kapitänsposition sicher thront, schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Soll ich wirklich einsteigen?“ Seine Stimme klingt genauso misstrauisch wie sein Blick. Und ehrlich gesagt, ich kann ihn verstehen. Unsere Chancen, das Ganze heil zu überstehen, wirken von hier aus eher überschaubar.
Doch ich bin Optimistin durch und durch. „Natürlich!“, rufe ich mit einem Selbstbewusstsein, das ich selbst beeindruckend finde. „Ich bin bereit! Mit einem kraftvollen Stoß manövriere ich uns ins Wasser – wie eine echte Sumpfkönigin!“
Und tatsächlich – mein Plan geht auf! Mit einem einzigen meisterhaften Paddelstoß gleitet unser Boot elegant ins Wasser. Ich bin ein Naturtalent! Ich bin die Königin der Bayous! Ich sollte ein Buch darüber schreiben, wie man als blutiger Anfänger binnen Sekunden zur Profi-Paddlerin wird.
Doch dann höre ich ein missmutiges Murmeln von hinten: “Das ist echt unbequem! Wer hatte diese verrückte Idee? Ich habe überhaupt keine Lust, hier zwei Stunden lang herumzupaddeln.”
“Ach komm schon, Stefan,” rufe ich fröhlich nach hinten. “Wir sind noch nicht mal losgefahren! Das wird sicher super, vertrau mir! – außerdem hat Du doch Dein YouTube-Paddel-Diplom!”
Ja, genau. Vertrau mir. Zwei Worte, die in der Geschichte der Menschheit schon so einige Katastrophen eingeleitet haben.

Nun gut, wir paddeln. Oder besser gesagt: Stefan paddelt und schimpft, als würde er gegen die Strömung des Lebens anrudern. Ich habe mir vorgenommen, die Navigation zu übernehmen – denn irgendjemand muss hier ja den Überblick behalten.
“Geradeaus!” verkünde ich selbstbewusst und blicke auf unsere laminierte Karte.
Doch bereits nach wenigen Minuten dämmert mir: Entweder hat jemand die Sumpflandschaft über Nacht umgebaut, oder ich bin komplett auf dem falschen Kurs.
“Stefan, ähm… das sieht hier ein bisschen… wild aus.”
Wild ist nett ausgedrückt. Wir sind mitten im Dickicht gelandet. Ich hatte wohl die Karte ein kleines bisschen zu kreativ interpretiert. Die Zypressen stehen enger beieinander als Betrunkene an einer Hotelbar um 4 Uhr morgens, und unser Kanu kämpft sich durch ein kleines Labyrinth aus Ästen und herabhängendem Moos.
BILDERGALERIE: McGee Swamp Paddeling Tour
“Sag mal, wo sind eigentlich diese roten Markierungen?” fragt Stefan misstrauisch.
Ich kneife die Augen zusammen. Gute Frage. Sehr gute Frage.
“Komm schon, Stefan,” rufe ich motivierend. “Wir paddeln einfach weiter – das wird schon klappen!”
“VERTRAU MIR!”
Stefan seufzt. Ich bin mir sicher, dass er genau in diesem Moment die Liste all meiner bisherigen “Vertrau mir”-Momente in seinem Kopf durchgeht. Wahrscheinlich steht da sowas wie:
- “Vertrau mir, diese Abkürzung spart uns eine Menge Zeit!” (Spoiler: Wir kamen zwei Stunden später an.)
- “Vertrau mir, wir schaffen es ohne Navi!” (Wir haben eine neue Stadt entdeckt – nur nicht die, die wir wollten.)
- “Vertrau mir, das ist der richtige Weg” (Spoiler: War es nicht)
Und genau das scheint sich nun zu wiederholen.
Die Ruhe um uns herum ist eigentlich wunderschön. Überall das beruhigende Plätschern des Wassers, das Zwitschern der Vögel, das Rascheln des Windes in den Zypressen – eine perfekte Naturidylle.
Wäre da nicht die kleine Tatsache, dass wir keine Ahnung haben, wo wir sind.

Ich schaue auf die Karte. Ich schaue auf die Landschaft. Ich schaue wieder auf die Karte. Sie hilft gar nicht.
“Stefan, ich glaube, wir sind nicht auf der Route.”
“Ach, was du nicht sagst!” Seine Stimme trieft vor Ironie.
Ich drehe mich grinsend zu ihm um. “Das ist doch auch ein Abenteuer, oder? Stell dir vor, wir wären einfach nur langweilig geradeaus gepaddelt!”
Stefan verdreht die Augen, paddelt weiter und murmelt irgendwas von “Ich lass dich nie wieder was buchen.”
Ich werfe einen Blick auf die Uhr – es wird Zeit, den Rückweg anzutreten. Oder zumindest das, was wir für den Rückweg halten.
“Schau mal, Stefan, gleich da vorne ist McGee’s.” Hmmm. Vielleicht doch nicht.
“Okay, dann eben da hinten?” Nope. Auch nicht.
“Oh, warte, vielleicht hier links?” Definitiv nicht.
Stefan hebt nur noch schweigend die Augenbrauen.
Ich kann es nicht länger leugnen: Wir haben uns verfahren. Oder verpaddelt.

Zeit für Plan B: Mein Handy! Zum Glück speichert mein iPhone immer den Standort unseres Autos – und wo das Auto steht, da ist auch McGee’s!
Also öffne ich schnell die Navigation. „Hey Stefan, gute Nachricht! Wir sind gar nicht soooo verloren. Es sind nur noch… äh…” Ich stoppe.
“Noch wie viele Kilometer?” fragt Stefan misstrauisch.
“Sagen wir’s mal so… noch ein kleines Stückchen.”
Kleine Notiz an mich selbst: Ich sollte niemals Poker spielen.
Während wir weiterpaddeln, entdecken wir plötzlich blaue Markierungen auf den Bäumen. Moment mal – sollten die nicht rot sein?
“Egal!” rufe ich. “Wir vertrauen jetzt dem Handy!”
Und siehe da – nach einer gefühlten Ewigkeit und mit schmerzenden Armen erreichen wir nach exakt zwei Stunden Paddeln endlich wieder McGee’s.
Mit einem letzten Schubser schieben wir unser Kanu ans Ufer. Ich steige elegant aus – also, so elegant, wie es nach zwei Stunden Chaos-Paddeln möglich ist.
Dann reiche ich Stefan die Hand. Er schaut mich an. Er schaut das Kanu an. Er schaut wieder mich an.
„Vertrau mir!“ sage ich mit meinem breitesten Grinsen. Er rollt mit den Augen. Aber er nimmt meine Hand.
Wir haben es geschafft. Wir sind echte Bayou-Paddler.

Und vielleicht – ganz vielleicht – machen wir das irgendwann wieder. Aber nur, wenn Stefan sich vorher mindestens zwei YouTube-Videos anschaut!
Während wir unsere Ausrüstung aufräumen und uns innerlich feiern – weil wir tatsächlich ohne größere Verluste oder unfreiwillige Badeeinlagen zurückgekehrt sind – nähert sich uns ein junges Paar. Sie tragen Schwimmwesten und Paddel, wirken aber leicht orientierungslos.
“Hey, how does this work?” fragt der junge Mann und sieht uns mit einer Mischung aus Neugier und Unsicherheit an. Ich nicke wissend, setze mein bestes Experten-Gesicht auf – schließlich haben wir jetzt ZWEI STUNDEN Erfahrung im Sumpf gesammelt! – und antworte völlig selbstverständlich:
“Also, pass auf… einfach geradeaus paddeln und den roten Markierungen folgen. Die existieren zwar nicht, aber keine Sorge, du wirst stattdessen wunderschöne blaue finden.” Der junge Mann sieht mich verwirrt an. Die junge Frau kichert. Dann kommt mir ein Gedanke. Der Akzent… das kann doch nicht…? “Woher kommt ihr eigentlich?” frage ich neugierig.
“Österreich!” Na, das gibt’s doch nicht! Inmitten des tiefsten amerikanischen Bayous treffen wir auf (fast) Landsleute. Ich wechsle sofort auf Deutsch, was die beiden hörbar erleichtert. Die Herausforderung, sich in einer fremden Sprache über ein Paddel-Dilemma zu verständigen, fällt nun also weg. Das Kajak-Abenteuer wird chaotisch genug, das wissen wir ja jetzt aus erster Hand.
“Und? Schon mal gepaddelt?” frage ich grinsend. “Äh… nein.” Ich nicke verständnisvoll. “Keine Sorge, wir auch nicht. Aber nach zwei Stunden Paddeln sind wir jetzt quasi Profis. Soll ich euch helfen?”
Das Angebot wird dankbar angenommen. Ich helfe den beiden, ins Kanu zu steigen – mit einer gewissen Genugtuung, dass es diesmal nicht ich bin, die in diesem wackeligen Ding balancieren muss. Mit einem sanften Stoß gleitet ihr Boot ins Wasser. “Viel Spaß!” rufe ich ihnen hinterher.
In der Ferne hören wir noch den jungen Mann schimpfen: “Worauf haben wir uns da nur eingelassen? Wo zum Teufel sollen wir überhaupt hin paddeln?” Stefan und ich schauen uns an. Ich grinse. “Klingt irgendwie vertraut, oder?”
Zurück bei McGee’s geben wir unsere Schwimmwesten und Paddel ab. Die nette Dame vom Bootsverleih strahlt uns freundlich an. “Hat alles geklappt? Hattet ihr Spaß?”
Ich nicke begeistert. “Ja, wir haben überlebt! Also, das würde ich als Erfolg verbuchen!” Sie lacht.
“Nur eine Sache…” sage ich nachdenklich. “Wir haben keinen einzigen roten Marker gefunden. Aber dafür viele blaue.” Aber ihr seid ja wieder hier – also hat’s doch geklappt!” “Definitiv! Und wir haben unser nächstes Abenteuer schon gefunden!”
Sie sieht uns neugierig an. “Wir fahren jetzt nach Texas. Und da gibt’s bestimmt auch Dinge, die schiefgehen können!” Sie lacht und winkt uns zum Abschied. “Dann wünsche ich euch viel Glück! Und falls ihr nochmal paddeln wollt – jetzt wisst ihr ja, wie’s geht!”
Ja, genau. Vertrau mir.
Nach unserer abenteuerlichen Paddeltour fühlen sich unsere Arme an, als hätten wir eine olympische Disziplin absolviert – nur leider ohne Goldmedaille. Die einzige logische Konsequenz? Essen! Viel Essen!
Also steuern wir Lafayette an. Die Stadt ist mit ihren knapp 120.000 Einwohnern die viertgrößte in Louisiana und das kulturelle Zentrum der Cajuns. Das bedeutet in erster Linie: Hervorragendes Essen! Leider haben wir keine Zeit für eine ausführliche Erkundungstour, denn Texas ruft. Doch zumindest für eine kleine Stärkung muss Zeit sein.

Wir entscheiden uns für Mel’s Diner, ein klassisches amerikanisches Restaurant mit glänzenden Chromstühlen, roten Polsterbänken und einer Neonreklame, die so grell leuchtet, dass man sie vermutlich noch aus dem All sehen kann. Ein Hauch von „Grease“ und Rock’n’Roll liegt in der Luft.
Die Speisekarte bietet alles, was das Diner-Herz begehrt: Pancakes, Burger, Shrimps, frittierte Köstlichkeiten, die vermutlich mehr Kalorien haben, als ein Mensch täglich zu sich nehmen sollte – aber wen interessiert das schon?
Wir entscheiden uns für ein B.L.T. – Bacon, Lettuce, Tomato. Einfach. Klassisch. Perfekt. Das Sandwich kommt mit einem riesigen Berg Pommes, der locker für eine ganze Football-Mannschaft reichen würde. Stefan strahlt. Ich nehme einen Bissen – der Bacon ist so knusprig, dass er fast von selbst zerbricht, der Salat knackig, die Tomate saftig. In Kombination mit der Mayo auf getoastetem Weißbrot eine Geschmacksexplosion der einfachen, aber genialen Art.


Nach dieser wohlverdienten Pause steigen wir zurück in unseren Mustang. Nächstes Ziel: Lake Charles.
Nach etwa einer Stunde Fahrt erreichen wir Lake Charles, eine Stadt, die für ihre malerische Uferpromenade, zahlreiche Kasinos und eine entspannte Südstaaten-Atmosphäre bekannt ist. Klingt perfekt für einen Abend mit schönen Fotos, oder? Falsch. Denn es regnet in Strömen.
Nicht nur ein bisschen Nieselregen, den man ignorieren kann – nein, es schüttet wie aus Eimern. Ein Blick auf den Wetterbericht zeigt: Es wird heute Abend nicht mehr besser. Tja, das war’s dann wohl mit romantischen Sonnenuntergangsbildern am See. Die einzige Reflexion, die wir jetzt fotografieren könnten, ist unser eigenes Gesicht in der Fensterscheibe unseres Autos.

Wir halten kurz an und werfen trotz des Regens einen Blick auf die Umgebung. Palmengesäumte Wege, eine wunderschöne Promenade – man kann sich richtig vorstellen, wie es hier bei Sonnenschein aussehen würde.
Wir bleiben noch ein paar Minuten im Auto sitzen, beobachten die Regenströme, die an den Fenstern hinunterlaufen, und überlegen, wie unser Plan B aussehen könnte. Aber erstmal fahren wir weiter zum Hotel.
Statt den romantischen Sonnenuntergang über Lake Charles zu bewundern und die sanften Wellen des Sees in warmes Licht getaucht zu sehen, treiben wir uns nun zwischen Kleiderständern, riesigen Chipstüten und unfassbar großen Cola-Flaschen herum. Wir haben auf dem Weg zum Hotel einen ROSS – Dress for Less gesehen
Nach einer ausgiebigen Runde durch den Laden landen wir natürlich auch noch bei Target, weil es unmöglich ist, nicht zu Target zu gehen, wenn man in den USA ist. Wir kaufen nichts Dringendes, aber dennoch haben wir am Ende eine Tasche voll mit „wichtigen“ Dingen. Nach diesem intensiven Shopping-Ausflug brauchen wir endlich etwas zu essen.
Nach einem langen Tag voller Abenteuer – inklusive Paddeln, einem spontanen Shopping-Ausflug und jeder Menge neuer Eindrücke – wollten wir zur Crying Eagle Brewery um dort zu essen und das ein- oder andere leckere Bier zu trinken.
Diese Brauerei gibt es erst seit 2016, aber sie hat sich bereits einen Namen gemacht. Der hohe, rustikale Raum mit seinen Holztischen und der geselligen Atmosphäre ist randvoll mit gut gelaunten Gästen. Live-Musik erfüllt die Luft, und an der langen Theke tummeln sich Bierliebhaber, die ihre Gläser heben und den Tag gebührend feiern.

Während Stefan an der Bar unser Bier bestellt, lehne ich mich entspannt zurück und lasse den Blick nach draußen schweifen. Vor der Crying Eagle Brewery stehen mehrere Foodtrucks, die sich mit blinkenden Lichtern und dampfenden Grills um die hungrige Kundschaft reißen. BBQ, Cajun-Küche, frittierte Meeresfrüchte, Pulled Pork – die volle Palette südstaatlicher Köstlichkeiten. Der Duft von rauchigem Fleisch und würzigen Saucen schwebt in der Luft, und normalerweise wäre das ein absolutes Paradies für uns.
Doch heute? Heute nicht. Wir hatten fest damit gerechnet, dass wir in einer klassischen Brewpub-Atmosphäre sitzen und unser Essen direkt serviert bekommen. Irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt. Nicht, dass wir Foodtrucks nicht mögen – ganz im Gegenteil! Aber nach einem langen Tag voller Abenteuer und Paddelversuchen sehnten wir uns nach einem entspannten Abendessen ohne die Herausforderung, unser Tablett balancierend zwischen Stehtischen und Parkplätzen zu jonglieren.
Also treffen wir eine einstimmige Entscheidung: Bier ja – Essen später.
BILDERGALERIE: Crying Eagle Brewing Co.
Nach so viel Neuem heute haben wir keine Lust auf kulinarische Wagnisse. Wir brauchen ein Steak. Ein richtig gutes. Und wo bekommt man das garantiert? Genau, im Texas Roadhouse.
Wir steuern unser Auto durch das regennasse Lake Charles, vorbei an dunklen Straßen und beleuchteten Diners. Es ist immer noch schade, dass das Wetter uns den Sonnenuntergang am See versaut hat, aber hey – Steak heilt viele Enttäuschungen.
Im Texas Roadhouse haben wir Glück: Kein Warten, wir bekommen sofort einen Tisch. Unser Kellner, ein junger Typ mit Cowboyhut und einem „Howdy, y’all!“, nimmt unsere Bestellung auf, als hätte er nie etwas anderes getan. „Zweimal Ribeye, Medium-Rare, mit Baked Potato und Caesar Salad, bitte.“
Er nickt zufrieden. „Ihr seid Leute, die wissen, was gut ist.“ Ja, genau das sind wir.
Während wir auf unser Essen warten, knabbern wir an den legendären Texas-Roadhouse-Brötchen, die mit dieser viel zu leckeren Zimt-Butter serviert werden. Ernsthaft, man könnte sich daran sattessen!
Dann kommt unser Steak – perfekt gegrillt, saftig und so gut, dass man sich kurz fragt, warum man überhaupt jemals etwas anderes bestellt. „Das ist exakt das, was ich gebraucht habe, nach diesem Tag!“ sagt Stefan zufrieden zwischen zwei Bissen. „Steak heilt alles – auch den Frust über fehlende Sonnenuntergangsfotos,“ stimme ich zu. Mit vollem Bauch und glücklich gesättigt machen wir uns schließlich auf den kurzen Heimweg ins Hotel.



Zurück im Comfort Suites legen wir uns aufs Bett und lassen den Tag Revue passieren. New Orleans fühlt sich schon wieder so weit weg an, dabei waren wir heute Morgen noch dort. Unsere Tage sind so prall gefüllt mit Erlebnissen, dass es sich anfühlt, als würden wir eine Woche an einem einzigen Tag erleben. Ein Blick aus dem Fenster: Der Regen fällt immer noch in dicken Tropfen.


