Adieu Ostküste – zwischen Leuchtturm, Lunch und Lufthansa
Der letzte Reisetag beginnt ausnahmsweise mal ohne Hektik, aber mit leichtem Abschiedskribbeln. Um Punkt 9 Uhr verlassen wir Philadelphia, die Koffer bis obenhin voll mit T-Shirts, Souvenirs, Ladegeräten, Crackerkrümeln und Erinnerungen. Unser Ziel: New York – aber nicht zum Shoppen, sondern zum Abheben. Erst heute Abend um 20:15 Uhr geht’s zurück nach Hause, also haben wir noch Zeit. Genug, um diesen Roadtrip stilvoll zu beenden.

Die Route führt uns über die Highways des Nordostens, vorbei an Trenton, Edison und der halben Turnpike-Historie, die sich in Tankstellen, Mautstationen und staubigen Überholspuren offenbart. Wir fahren über die Verrazzano-Narrows Bridge , die sich mit ihrem ikonischen Doppeldeck über den Upper Bay spannt wie ein letzter Brückenschlag zwischen Roadtrip-Romantik und Abschiedsstimmung. Der Blick aufs Wasser und die Skyline von Manhattan ist grandios, der Verkehr halbwegs gnädig – und das Navi verspricht eine entspannte Ankunft um die Mittagszeit.
Verrazano-Narrows Bridge
Um Punkt 12 Uhr rollen wir auf den Parkplatz des Imperial Diner auf Long Island , und was soll man sagen – es ist Liebe auf den ersten Chromblick . Die Fassade glänzt wie frisch poliert, der Eingang wirkt, als müsste jeden Moment Danny aus Grease rückwärts mit dem Cadillac vorfahren, und die leuchtend rote Schrift verheißt Kalorien, Nostalgie und wahrscheinlich auch ein bisschen Cholesterin.
Drinnen erwarten uns gemütliche Rundbänke in sattem Karamell , Vasen mit knallroten Kunstblumen, die wahrscheinlich seit Clinton-Ära hier wohnen, und ein Serviceteam, das so routiniert wirkt, als hätte es seit den 80ern keine Bestellung mehr vergessen. Die Speisekarte ist ein Best-of der amerikanischen Diner-Kultur: Burgers, Pancakes, Mac’n’Cheese – mit jeweils mindestens zwei Sorten Käse und der Garantie auf Food-Koma danach.

Wir bestellen natürlich das, was man in so einem Laden einfach bestellen muss: Stefan und ich entscheiden uns für den Western Burger , der so hoch gestapelt ist, dass man ihn eigentlich erst einmal mental zerlegen muss, bevor man ihn essen kann. Nadine und Oli nehmen es klassisch mit dem Cheeseburger , und Noah bekommt Chicken Tenders , die ungefähr die Länge von Baseballschlägern haben. Emilia entscheidet sich – konsequent wie immer – für Pommes. Nur Pommes. Und wehe, da liegt was Grünes auf dem Teller.
Während draußen die Wintersonne auf Long Island glitzert, sitzen wir in dieser kleinen Zeitkapsel und lassen uns zwischen Milchshakes und Ketchupspendern einfach mal treiben. Ein letztes amerikanisches Mahl , bevor es zurück in die Welt der Laugenbrötchen und Mineralwasser ohne Eis geht.
Imperial Diner
Frisch gestärkt verlassen wir das warme Diner und fahren weiter nach Fire Island – ein Name, der nach Sonne, Dünen und Barfußspaziergang klingt, aber uns heute vor allem eines bietet: Winter in XXL. Die Sonne strahlt zwar vom Himmel, als sei Frühling nicht mehr weit, doch der Boden erzählt eine andere Geschichte. Schnee liegt über dem Sand, Eis über dem Holzweg, und der Wind pfeift uns derart scharf um die Ohren , dass man sich kurz fragt, ob man die falsche Insel erwischt hat. Karibikfeeling? Fehlanzeige. Eher ein Nordseeurlaub mit dramatischem Plot Twist.

Wir stapfen durch das raschelnde Dünengras, das sich unter der Schneelast elegant zur Seite neigt, als würde es höflich Platz machen für frierende Touristen. Der Holzplankenweg zieht sich durch das Schilf wie ein gefrorenes Band, und jeder Schritt klingt wie eine Mischung aus knarzendem Holz und klappernden Zähnen. Emilia tapst tapfer neben uns her, dick eingepackt wie ein kleiner Michelin-Schneemann, während Stefan ihr wie ein persönlicher Bodyguard in Daunen folgt. Noah hat längst den Entdecker in sich entdeckt und läuft vorauss, irgendwo zwischen Forscherdrang und Schneeball-Sabotage.
Fire Island Lighthouse
Der Leuchtturm kommt nach und nach in Sicht – ein schwarz-weißer Riese mit rotem Häuschen zu Füßen , der sich so würdevoll in den Himmel reckt, als wolle er beweisen, dass man auch mit Windschäden Haltung bewahren kann. Das Licht ist klar, der Himmel tiefblau, und das Ganze wirkt wie die frostige Version einer Postkarte aus New England – nur dass uns dabei fast die Nasen abfrieren.

Oli, Nadine und Noah entscheiden sich, den Leuchtturm zu erklimmen. Ob aus Abenteuerlust, Pflichtgefühl oder einfach, weil ihnen noch nicht kalt genug war – das bleibt offen. Während wir anderen uns mit dem Fernblick vom Boden begnügen, verschwinden die drei mutig in der schmalen Tür und beginnen den Aufstieg. Und der hat es in sich: eine gusseiserne Wendeltreppe, die sich schwindelerregend nach oben schraubt , flankiert von Backsteinwänden, kleinen blauen Bullaugen und – sagen wir mal – sehr viel historischem Charme. Bei jedem Schritt knarzt das Metall wie ein alter Seemann mit Rückenproblemen.

Noah meistert die Treppe mit einer Mischung aus Energie und Ehrfurcht – mal voraus, mal zurück, mal kurz an der Wand lehnend wie ein dramatischer Filmheld in Mini-Version. Oben angekommen erwartet sie eine Plattform, die einen 360-Grad-Blick über Fire Island, das Meer und die vereiste Dünenlandschaft bietet. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, als wolle sie sich für den eisigen Wind entschuldigen, der in der Zwischenzeit fröhlich über die Plattform peitscht und alles auf Temperaturen bringt, bei denen selbst der Leuchtturm fröstelt.
Fire Island Lighthouse Observation Deck
Trotzdem: die Aussicht ist spektakulär. Weit schweift der Blick über die Küstenlinie, das frostige Marschland, die zugeschneiten Wege und das tiefblaue Wasser, das sich schier endlos erstreckt. Von hier oben sieht Fire Island aus wie eine vergessene Kulisse aus einer Serie, in der gleich jemand dramatisch ein Geheimnis enthüllt – oder einfach sehr stilvoll friert.

Drinnen bestaunen sie die riesigen Linsen des historischen Leuchtfeuers – eine Mischung aus Maschinenkunst und Seefahrerromantik – und Noah entdeckt mit leuchtenden Augen die kleinen Details, die nur Kinder wirklich sehen: das Licht, die Fenster, die Zahnräder. Ein kleiner Moment ganz groß.
Wir anderen stehen derweil unten, machen frostige Pflichtfotos, schieben unsere kalten Nasen tiefer in die Schals und warten auf den Moment, an dem wir unsere mutigen Turmsteiger mit klammen, aber glücklichen Gesichtern wieder in Empfang nehmen können. Sie kommen lachend die Stufen herunter – glücklich, durchgefroren und mit Handybildern, die für sich sprechen. Und irgendwie wissen wir alle: Das war ein würdiger Abschied von dieser Reise.

Um 15:30 Uhr heißt es endgültig: auf zum Flughafen. Wir werfen noch einen letzten Blick auf den Strand – dieser Moment, wenn die Sonne tief über dem Atlantik steht, die Wellen glitzern und die Möwen wie kleine Silhouetten über das feuchte Ufer trippeln. Der Sand glänzt, als hätte jemand ihn mit Silberlack überzogen , und für einen winzigen Augenblick wirkt alles vollkommen still. Kein Lärm, keine Hektik – nur Licht, Luft und das Gefühl, dass man diesen Anblick am liebsten konservieren würde. In einer Schneekugel vielleicht. Oder auf der Netzhaut.
Dann steigen wir ein. Die Küste verschwindet im Rückspiegel, das Navi übernimmt wieder das Kommando, und wir gleiten durch den späten Nachmittag zurück Richtung Zivilisation. Die Fahrt zum „Budget Rental Car Return“ dauert etwa 90 Minuten – Zeit genug, um innerlich schon ein bisschen Abschied zu nehmen und die Erinnerungen sachte zu sortieren.
Die Rückgabe des Wagens verläuft – wie meist in den USA – erfreulich unspektakulär. Keine Kratzer-Debatte, kein Stirnrunzeln, kein Zettelkrieg. Schlüssel abgeben, kurzes Nicken, das war’s. Fast zu einfach, um wahr zu sein. Aber genau das lieben wir an den amerikanischen Autovermietern: unkompliziert, freundlich, effizient – und ganz ohne Drama.
Am Flughafen angekommen, beginnt das Finale mit Stil – und Gewicht. Denn was wäre eine Reise ohne den obligatorischen Koffer-Moment? Während Stefan innerlich schon das nächste Übergepäckformular ausfüllt und sich auf Diskussionen mit der Waage vorbereitet, passieren wir den Check-in mit Priority-Status . Dank Kindern – und vermutlich auch einem dezent gehetzten Blick von uns Erwachsenen – dürfen wir direkt an der Schlange vorbei. Die Airline winkt durch, lächelt, und die Waage? Ja, die zeigt Zahlen an, die eigentlich ein wenig zu hoch sind. Doch siehe da: Kein Kommentar, kein Augenbrauenheben, kein Extra-Dollar. Ich drehe mich zu Stefan mit dem wohl zufriedensten Blick der ganzen Reise: 300:0 für mich. Und ich hätte locker noch in Baltimore shoppen können.

Die Sicherheitskontrolle ist entspannt – zumindest so entspannt, wie Sicherheitskontrollen mit Kindern eben sein können. Emilia will erst nicht durch den Scanner, dann nochmal. Noah findet das Piepsen spannend, und die restliche Familie jongliert Taschen, Jacken, Kuscheltiere und Boardingpässe, als wären wir ein eingeprobtes Flughafenballett.
Um 20:15 Uhr hebt unser Flieger ab – pünktlich, ruhig und mit dem typischen „Willkommen zurück an Bord“-Charme. Und dann beginnt er: der letzte große Akt einer langen Reise. Die Lichter dimmen sich, die Crew schiebt den Wagen durch die Gänge und stellt die alles entscheidende Frage: Chicken or Pasta? Wir nehmen, was da ist. Es schmeckt – wie immer – okay, aber vor allem nach Routine, nach Heimflug, nach Abschied.

Noah sieht sich noch irgendeinen Film an, den er garantiert morgen früh wieder vergessen hat , bevor er sanft in die Sitzlehne sinkt. Emilia schläft – und das nicht irgendwie, sondern in vollem Luxus. Ihr kleines Babybett im Flugzeug ist ihr Königreich auf 12.000 Metern Höhe. Eingekuschelt, friedlich, völlig unbeeindruckt davon, dass draußen der Atlantik liegt. Wir beneiden sie ein bisschen. Kein Jetlag, kein Sicherheitsgurt, keine Verantwortung – nur Decke, Traumland und Turbinenrauschen.
Wir anderen kämpfen uns durch mittelgute Filme, mittelwarme Getränke und mittelklare Gedanken. Aber das ist okay. Denn manchmal ist genau das der schönste Abschluss: Wenn alles einfach… weiterläuft. In der Luft, über dem Ozean, auf dem Heimweg.
An Bord erwartet uns das, was jeder Transatlantikflug zuverlässig im Gepäck hat: Die klassische Frage „Chicken oder Pasta?“ , Kopfhörer mit einem Ohr kaputt, und Filme, die man sich unter normalen Umständen nie freiwillig anschalten würde – aber dann doch bis zum Abspann schaut. Irgendwo über dem Atlantik versinkt die Reiseroutine langsam in Dämmerlicht, Aluminiumfolie und einer gewissen emotionalen Müdigkeit. Noah schläft irgendwann ein , Emilia verschwindet tief eingemummelt in ihrem fliegenden Mini-Bett und bekommt von all dem rein gar nichts mit. Und wir? Wir lassen alles Revue passieren. Die Orte. Die Eindrücke. Die Umwege. Die Pommes. Und wissen: Das war mehr als Urlaub. Das war ein Abenteuer auf Rädern, zu Fuß, im Schnee und manchmal sogar über Wolken.

Landung in Frankfurt: pünktlich, müde, durchgewirbelt. Die Koffer trudeln überraschend schnell aufs Band, der erste Kaffee schmeckt wie eine warme Umarmung mit Jetlag – und dann geht’s, halb im Autopilot-Modus, weiter in den ICE. Die Sitze sind hart, die Füße schwer, aber der Gedanke an Zuhause macht alles irgendwie leichter.
In Stuttgart dann Umstieg in den Regionalzug , nochmal Kind einfangen, Buggy zusammenklappen, Gepäck schieben, Jacken aufhängen. Und als wäre es noch nicht genug: In Esslingen nochmal umsteigen in die S-Bahn. Eine letzte Mini-Etappe, dann stehen wir auf dem Bahnsteig, laufen mit gefühlt 47 Taschen, zwei Jacken pro Person und einem wachen Baby im Schlepptau einmal über die Straße – und sind da.

Zuhause. Tür auf, Heizung an, Schuhe aus. Der Kühlschrank ist leer, aber das Herz voll.
Und jetzt? Jetzt heißt es erstmal: Wäsche waschen. Sehr. Viel. Wäsche. Handtücher, Pullis, Babysocken, T-Shirts mit BBQ-Flecken, Schneehosen, und – ach ja – der Diner-Geruch aus den Jacken muss auch raus. Die Waschmaschine läuft. Die Reise ist vorbei. Aber im Kopf, da geht sie noch ein bisschen weiter. Und das ist vielleicht das Schönste daran.
Nadines Fazit:
Weihnachten in New York – zwischen Lichterflut und Leuchtturmwind
Eigentlich war ja alles ganz anders geplant. Also, nicht dieser Urlaub – der war tatsächlich fast schon perfekt. Ich meine den davor. Den, der nie stattgefunden hat. Herbst in Neuengland, in bunten Farben, mit Kürbissen, Apple Pie und dem kompletten Familien-Feeling im Indian-Summer-Modus. Alles gebucht, alles organisiert, alles storniert. Danke, Pandemie . Danach folgten Monate mit Hoffen, Verschieben, Neuplanen, Kopfschütteln – und irgendwann war klar: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Und so starteten wir am 25. Dezember nach New York – mitten hinein in die Woche zwischen Christmas und Silvester . Besser geht’s kaum. Sieben Tage Weihnachtsmagie mit Großstadtflair, Lichtermeer und dampfenden Gullis , als hätte Hollywood persönlich Regie geführt. Es war genau dieser schmale Grat zwischen festlich und völlig übertrieben – und genau deshalb so fantastisch.
Wir sind durch Manhattan gestapft, haben die riesigen roten Weihnachtskugeln an der 6th Avenue bestaunt, standen ehrfürchtig vorm Rockefeller-Baum und ließen uns auf dem One World Observatory die Stadt zu Füßen legen. New York hat nicht enttäuscht – ganz im Gegenteil. Es war wie ein sieben Tage lang dauernder Weihnachtsfilm, nur ohne Werbeunterbrechung.
Und mein ganz persönliches Highlight? Dyker Heights. Jawohl. Diese komplett irre, liebevoll überladene, stromzählergefährdende Wohnsiedlung irgendwo in Brooklyn, wo Weihnachtsdeko kein Hobby ist, sondern eine Lebensaufgabe. Ich war restlos begeistert. So viele Lichter, aufblasbare Schneemänner, Rentiere, Glitzerbuchstaben und animierte Weihnachtsmänner , dass man sich fragt, ob irgendwo ein ganzer Großhandel leergekauft wurde. Ich hab mich dort heimlich inspirieren lassen – wobei heimlich nicht ganz stimmt. Oli hat es natürlich gesehen, wie ich die „Believe“-Schriftzüge fotografiert habe. Und er hat diesen Blick gehabt. Den „Wenn du auf unserem Balkon Kunstschnee versprühst…. Blick. Ich nehme das als kreatives Nein mit Verhandlungspotenzial.
Nach dieser leuchtenden Woche ging es weiter: Washington D.C., Baltimore, Philadelphia . Klingt wie eine wilde Playlist? War’s auch. Aber sie hatte einen Rhythmus. Jede Station war anders, jede irgendwie schräg und schön. Wir haben im Schnee vor dem Capitol gefroren , Noah hat sich in jede Gedenkstätte geworfen, als gäbe es Extrapunkte, bei Hooters gab’s Wings statt Pathos , und auf Fire Island sind wir durch vereiste Dünen zum Leuchtturm gestapft, während der Wind versucht hat, unsere Mützen direkt nach Kanada zu pusten.
Und dann der Rückflug. Koffer zu schwer – juckt keinen. Check-in mit Kindern? Entspannter als gedacht. Chicken oder Pasta? Natürlich. Noah mit Kopfhörern, Emilia schlafend in ihrem Babybett wie eine Mini-Version von Cleopatra mit Wolldecke. Wir mit Filmen, die okay waren, Getränken, die warm sein wollten – und einem Gefühl, das irgendwo zwischen Abschied und Dankbarkeit schwebte.
Dieser Urlaub war nicht perfekt – aber ziemlich nah dran. Er war laut, bunt, verschneit, verfroren, chaotisch, herzerwärmend und ganz sicher unvergesslich. Keine glatte Insta-Reise mit Filter und Farbkorrektur – sondern echte Erinnerungen mit Matschrändern, Schneematsch, Souvenir-Bergen und Kinderlachen.
Und vielleicht war genau das das Beste daran:
Dass wir unterwegs waren. Gemeinsam. Zwischen Leuchtturm und Lichterketten. Und dass es Geschichten gibt, die sich nicht planen lassen – aber genau deshalb so gut erzählt werden können. ❤️
