
Von Goblins und gescheiterten Wanderungen – Ein Tag zwischen Capitol Reef & unberechenbarem Wetter
Morgendliches Idyll auf dem Walmart-Parkplatz in Ephraim. Während andere in luxuriösen Resorts in den Tag starten, begannen wir unser Frühstück zwischen Einkaufswagen-Rückholstation und Pick-ups mit überdimensionierten Reifen. Dafür war es kostengünstig. Und vor allem: praktisch. Um 8:35 Uhr rollten wir weiter – heute stand der Capitol Reef National Park auf dem Plan.Dank unserer 100-Meilen-Vorleistung am Vortag war die heutige Anfahrt angenehm kurz. Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichten wir Capitol Reef, eine dieser oft unterschätzten Perlen in Utah. Kein Massenansturm wie in Zion oder Bryce, aber eine Landschaft, die sich nicht weniger episch anfühlt.


Dank unserer 100-Meilen-Vorleistung am Vortag war die heutige Anfahrt angenehm kurz. Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichten wir Capitol Reef, eine dieser oft unterschätzten Perlen in Utah. Kein Massenansturm wie in Zion oder Bryce, aber eine Landschaft, die sich nicht weniger episch anfühlt.Unser erster Stopp: Der Gooseneck Overlook. Hier windet sich der Fremont River in einer engen Schlaufe durch die Landschaft, und von oben sieht es aus, als hätte die Natur einen riesigen, perfekten Hufeisenbogen in den Fels gegraben. Ein Blick, der sofort Fernweh weckt – oder zumindest den spontanen Wunsch, mit einer Drohne über die Szenerie zu fliegen.

Wir fuhren durch die wunderschöne Landschaft des Capitol Reef National Park. Danach ging es auf die Scenic Drive Road, die sich wie eine filmreife Kulisse durch das Tal schlängelt. Links und rechts gigantische Sandsteinwände, so rot und zerfurcht, als hätte jemand die Erde aufgeschlitzt, um einen Blick in ihre Tiefen zu werfen. Erosion kann so verdammt schön sein.
Wir fuhren die Straße bis zum Ende, wo uns ein gemütlicher Lunch-Parkplatz empfing. Snacks wurden ausgepackt, die Aussicht genossen – und dann kam das klassische Problem eines Roadtrips mit Kindern: „Wann gibt’s das nächste Abenteuer?“
BILDERGALERIE: Capitol Reef National Park

Eigentlich war alles ganz harmlos. Wir wollten nur ein Foto von Factory Butte machen. Also suchten wir einen Parkplatz, drehten den Camper geschickt ins beste Licht und klick – wieder ein perfektes Reisefoto. Doch dann fiel mein Blick auf die Felsformation im Hintergrund. Irgendwas kam mir verdächtig bekannt vor.

Zuhause, beim Durchsehen der Bilder, setzte das Déjà-vu in voller Wucht ein. Dieses Motiv… dieser Parkplatz… dieser Felsen… Moment mal! Ich kramte alte Reisealben heraus – und da war es: Exakt dieselbe Felsformation, aber mit unseren Mietwagen aus den Jahren 2013 und 2020.
Drei verschiedene Jahre. Drei verschiedene Fahrzeuge. Aber immer derselbe Ort. Ohne es zu planen, hatten wir über ein Jahrzehnt hinweg unser eigenes inoffizielles Ritual geschaffen.
Ob wir in zehn Jahren wieder hier stehen und das nächste Gefährt ablichten? Höchstwahrscheinlich. Und dann wird dieser Felsen endgültig zu unserem privaten Wahrzeichen von Utah.


Der nächste Punkt auf unserer Abenteuerliste: der Little White Horse Canyon. Ein Slot Canyon wie aus dem Bilderbuch – eng, verwinkelt, spektakulär. Stefan und ich waren schon dreimal hier gewesen, und jedes Mal hatte uns dieser Canyon aufs Neue begeistert. Wir hatten oft und voller Überzeugung davon geschwärmt – von den geschwungenen Felsformationen, dem Spiel von Licht und Schatten, der Magie dieses schmalen Pfads durch die rote Erde. Für uns war klar: Das wird eines der Highlights.
Entsprechend groß war die Vorfreude. Wir hatten Zuhause bereits Fotos gezeigt, Erlebnisse geteilt – und die Kinder/Enkel neugierig gemacht. Ein bisschen wie Eltern, die sich auf den Film freuen, den sie ihren Kindern endlich zeigen dürfen. Doch die Realität hatte eigene Pläne.
Schon nach wenigen Minuten zu Fuß war klar: Heute wird’s… schwierig. Der Slot Canyon, den wir mit staunenden Augen und federnden Schritten in Erinnerung hatten, präsentierte sich als nasser Überraschungsgast. Ein riesiger, aufgestauter Wasserpool versperrte den Weg – so breit, dass selbst Indiana Jones kurz gezögert hätte. Und tief genug, um ein Kleinkind darin vollständig verschwinden zu lassen.
BILDERGALERIE: Little White Horse Canyon
Während wir Erwachsenen noch das Dilemma analysierten – „Durchwaten, einen Weg oben rum oder umdrehen?“ – hatten Noah und Emilia das Ganze längst als gigantisches Naturplantschbecken interpretiert. Sie hätten am liebsten Schuhe ausgezogen, Hosenbeine hochgekrempelt und rein ins Wasser. Für sie war das hier kein Hindernis, sondern ein Jackpot. Aber wir konnten sie gerade noch daran hindern.
Aber wir wussten: Weitergehen würde bedeuten, knietief durchs Wasser zu waten, mit Kamera, Rucksack und Restwürde. Oder wahlweise den Umweg über den Felsen zu nehmen – eine Kletterpartie, die eher nach Adrenalintour als Familienwanderung klang. Also fiel die Entscheidung: umdrehen.
Enttäuscht? Ja. Und genau das ist es doch, was Reisen ausmacht: Nicht alles läuft nach Plan, aber genau darin liegt oft der eigentliche Reiz. Zurück am Camper hieß es: Planänderung. Kurz beraten, neue Idee geboren – und weiter ging’s.
Die zweite Option gewann, denn über den Berg klettern? Eher nicht. Also ging es zurück zum Camper, was uns zu einer spontanen Planänderung führte: Goblin Valley – quasi gleich um die Ecke!

Goblin Valley. Klingt wie aus einem Fantasy-Roman – und sieht auch genau so aus. Was für eine Alternative! Nachdem uns der Slot Canyon die nasse Schulter gezeigt hatte, landeten wir hier – in einem Tal, das aussieht, als hätte sich ein Riesenbaby aus Sandstein eine Armee kleiner Kobolde geformt. Überall bizarre, knubbelige Felsen, rund, schief, verwaschen, als hätte jemand mit nassem Ton gespielt und dann alles in der Wüstensonne gebacken.
Die sogenannten „Goblins“ stehen hier nicht vereinzelt, sondern in Hundertschaften. Mal sehen sie aus wie Pilzköpfe, mal wie Schildkröten mit Übergewicht, dann wieder wie Figuren aus einem alten Videospiel – aber immer irgendwie lebendig. Als könnten sie sich jeden Moment umdrehen, wenn man ihnen den Rücken kehrt.
Und das Beste? Man darf überall hin. Klettern, rutschen, springen, entdecken – keine Absperrungen, keine Verbotsschilder, keine belehrenden Hinweise, was man nicht darf. Ein Abenteuerspielplatz der Extraklasse – für Kinder, aber mindestens genauso sehr für Erwachsene mit Restneugier im Herzen.
BILDERGALERIE: Goblin Valley
Noah und Emilia waren sofort Feuer und Flamme. Schon nach zehn Sekunden war der erste Goblin erklommen, und keine zwei Minuten später verschwanden die beiden zwischen den Sandsteingesellen wie zwei kleine Forscher auf geheimer Mission. Sie tauchten ab, riefen, winkten, kletterten wieder empor, als hätten sie das Tal selbst entdeckt.
Und wir Erwachsenen? Keinen Deut besser. Stefan versuchte sich an einem besonders glitschigen Aufstieg, bei dem selbst Spiderman einen zweiten Anlauf gebraucht hätte, während ich mich zwischen zwei Goblins quetschte, nur um zu sehen, ob dahinter vielleicht doch noch ein geheimer Canyon wartet. Es war herrlich. Wild. Frei. Und völlig uninszeniert.
Goblin Valley war nicht nur Ersatz – es war ein Volltreffer. Ein Ort, der aussieht wie ein Filmset, sich aber anfühlt wie eine Kindheitserinnerung. Fantasievoll, chaotisch, zum Anfassen. Und zum Draufklettern.

Eigentlich war der Plan klar: Wir wollten direkt in der Nähe des Goblin Valley übernachten, auf einem dieser einsamen Boondocking-Plätze, von denen Camper träumen. Keine Nachbarn, kein Strom, dafür eine epische Mesa direkt vor der Tür – wie gemacht für einen Sonnenuntergang mit Western-Flair und Grillromantik.
Doch dann zog es sich zu. Und zwar nicht nur so ein bisschen. Der Himmel verwandelte sich in eine bedrohliche Wand aus Schwarz und Violett, der Horizont verschwand hinter einer Regenfront, die eher nach Apokalypse als nach „leichter Schauer“ aussah. Es war der Moment, in dem man leise fragt: „Was, wenn es über Nacht regnet?“ Und damit war der Plan schon so gut wie gestrichen.
Wir sahen uns alle an. Dann den Boden. Dann den Camper. Und wussten: Wir haben keine Lust, morgen früh knietief im Matsch zu stecken und mit Spaten und verzweifeltem Humor den Wagen freizuschaufeln. Also: Plan B.

Ein Campingplatz musste her – und zwar entlang unserer morgigen Route. Ich zückte das iPhone, kämpfte mit einem Empfang, der mehr Hoffnung als Internet war, und buchte in letzter Minute einen Platz im Green River State Park. Mit Full Hook-Up. Strom, Wasser, Abwasser – nach Tagen auf sandigen Stellplätzen fühlte sich das an wie das Ritz unter den Campgrounds.
Und was soll man sagen? Wir hatten den richtigen Riecher. Keine fünf Minuten später rollten wir mitten hinein in ein Weltuntergangs-Panorama. Schwarze Wolken, tief hängend wie Bühnenvorhänge vor einem düsteren Finale, Regenvorhänge am Horizont, Blitze zuckten in der Ferne. Das Bild dazu? Sieht man hier. Kein Filter nötig.
Wir fuhren dem Sturm entgegen – und schafften es gerade noch rechtzeitig. Während sich der Regen wie ein wütender Vorhang über die Landschaft legte waren wir auf sicherem Asphalt. Kinder trocken. Abend gerettet.

Nach einem Tag voller Umwege, Planänderungen, Slot-Canyon-Absagen, Goblin-Klettereien und dramatischer Wetterfluchten war klar: Jetzt braucht’s was Ordentliches auf den Teller. Kein Müsliriegel, kein Trockencracker, kein Apfel aus dem Kühlschrank – echtes Essen.
Und Rays Tavern in Green River war dafür die perfekte Wahl. Ein Ort, wie gemacht für müde Roadtrip-Veteranen mit staubigen Schuhen, hungrigen Kindern und dem dringenden Bedürfnis nach Burgern, Pommes und ehrlicher Küche ohne Chichi. Die Atmosphäre? Rustikal. Echt. Mit Holzpaneelen, Barhockern und dem leisen Gefühl, dass hier schon Generationen von Reisenden Pause gemacht haben. Kein Schnickschnack, keine polierten Oberflächen – aber dafür Steak, wie es sein soll, und Bier, das den Tag ausklingen lässt.



Satt, zufrieden und leicht eingelullt vom Wohlfühlkoma rollten wir den kurzen Weg zurück zum Campingplatz. Der Himmel war noch immer dunkelgrau, aber der Regen hatte sich verzogen – und mit ihm die Sorge, am nächsten Morgen wieder im Dreck festzustecken.
Wir parkten den Camper, schlossen an, atmeten durch – und genossen das beruhigende Gefühl von Stabilität auf festem Untergrund. Kein Wind, kein Matsch, kein improvisierter Fluchtplan in Sicht. Nur das leise Rauschen der Bäume, müde Kinder, die ins Bett fielen, und das Wissen:
Es war ein Tag voller kleiner Wendungen, ungeplanter Pausen und großartiger Ausweichziele – und genau deshalb einer, den wir nie vergessen werden.

