
Eis aus Zitronen, Salami-Hamsterkäufe & Weißwein zum Check-in – Willkommen am Gardasee!
Die erste Nacht in unseren Campern – für Oli, Nadine und Emilia ein waschechtes Premierenabenteuer, für Stefan und mich ein weiterer Testlauf für unser mittlerweile fein eingespieltes, leicht chaotisches, aber dennoch erstaunlich funktionierendes Reiseorchester auf Rädern. (Chaos klingt schließlich viel zu dramatisch. Wir bevorzugen die Version mit Pauken und Trompeten.) Unsere Bühne: der Autohof TopStop in Sterzing – ein Ort, an dem Trucker ihre Brummis parken, Familien ihre Kinder sortieren und man morgens schon am Motorengeräusch erkennt, wer Kaffee braucht und wer einfach nur den Motor abwürgt.
7:10 Uhr. Die erste Szene des Tages beginnt. Noah und Emilia stürmen zusammen mit mir bewaffnet mit Zahnbürsten, Handtüchern und einer gewissen Morgenmüdigkeit Richtung Waschsalon. Während wir uns durch die Waschsalontüren schlagen, stemmen sich Nadine und Stefan heldenhaft gegen das andere große Abenteuer: Bettzeug zusammenfalten und die beiden Camper auf Abfahrtsmodus bringen – eine Disziplin, in der Origami und Gewichtheben gleichermaßen gefragt sind. Teamwork, wie es in keinem Familienratgeber beschrieben wird, aber unbedingt beschrieben werden sollte.

8:00 Uhr: Der Ruf nach Kaffee wird lauter als ein alter Dieselmotor. Wir schlagen im TopStop-Restaurant auf – und stehen vor einem Croissant-Buffet: Schokolade, Marmelade, Vanillecreme – wir entscheiden uns für die einzig logische Vorgehensweise: Wir probieren sie alle. Wissenschaftlich. Nur so können wir wirklich fundierte Empfehlungen aussprechen. Dazu gibt es italienischen Kaffee, der nicht nur den Puls in Wallung bringt, sondern vermutlich auch Kleinstwagen starten könnte. Perfekt.
Die Stimmung? Frühmorgens leicht verpeilt, leicht überdreht – kurz: ideal für einen Roadtrip.
Der Weg zum Gardasee läuft – wie soll ich sagen – wie frisch geölte Zahnräder. Die Kilometer fliegen nur so an uns vorbei, die Laune ist bestens, die Kaffeedosis ausreichend. Unsere zwei rollenden Mini-Residenzen schnurren über die Autobahn. Der Plan: gegen Mittag Limone sul Garda erreichen, entspannt einen Parkplatz finden, Dolce Vita inhalieren. Der Realitätstest? Kommt noch.
Und zwar 30 Kilometer vor dem Ziel – schlägt das Schicksal in Form italienischer Verkehrsdramaturgie zu. Von jetzt auf gleich verwandelt sich unsere kleine Familienexpedition in einen standgasbetriebenen Roadmovie, in dem nichts mehr rollt außer den Schweißperlen auf der Stirn.
Eine Stunde für eine Strecke, die Google Maps mit einem müden Lächeln auf „30 Minuten“ bezifferte. Willkommen am Gardasee, dem Ort, wo man gezwungenermaßen das Entschleunigen lernt. Nicht in schicken Wellnessoasen oder beim Sonnenbaden am Seeufer – nein, direkt auf der Straße, im Schritttempo, während einem der Duft von warmem Diesel und Urlaubslust gleichermaßen um die Nase weht. Ob man will oder nicht.
Während sich unsere beiden Camper wie zwei behäbige Kreuzfahrtschiffe durch das Getümmel wuchten, kommen wir langsam unserem Ziel näher. Um 12 Uhr dann Punktlandung in Limone sul Garda. Wir hatten schlauerweise im Voraus einen Parkplatz ausgespäht – und trotz Samstag, Ferien und italienischem Parkchaos finden wir für beide Camper einen Platz.


Fünf Minuten Fußmarsch durch eine unscheinbare Unterführung, und plötzlich öffnete sich vor uns eine Szenerie, als wäre sie direkt einem kitschigen Bilderbuch entsprungen: Pastellfarbene Häuser, Zitronenbäumchen, enge Gassen, Touristenströme, die sich durch die Gassen schoben wie Lemminge auf Shoppingtour. Und wir mittendrin, mit großen Augen, gezückten Kameras und der Vorfreude von Kindern im Süßwarenladen.

Zwei Stunden lang bummelten wir durch diese mediterrane Wunderwelt. Guckten hier, staunten da, lachten über die Souvenirstände, an denen von “I love Limone”-T-Shirts bis hin zu fragwürdigen Magneten alles feilgeboten wurde, was irgendwie an Urlaub erinnerte. Wir knipsten Fotos, auf denen wir so glücklich aussahen, dass man meinen könnte, wir hätten eine Dauerwerbesendung für Vitamin D gewonnen.
Und dann: Eiszeit!

Stefan und ich hatten das heilige Gral der Limone-Genüsse bereits im letzten Jahr entdeckt: Zitronen-Milcheis in einer echten, gefrorenen Zitrone. Kein schnödes Sorbet, sondern ein sündhaft cremiger, zitroniger Traum, der irgendwo zwischen Dessert und göttlicher Eingebung angesiedelt ist. Für 7 Euro bekommt man nicht nur einen handlichen (eiskalten) Eisbecher, sondern auch eine kleine Dosis Glück zum Löffeln.
Inflation? Interessierte uns in diesem Moment genauso wenig wie die Existenz von Kalorien. Jeder Löffel schmolz auf der Zunge wie ein kleiner italienischer Sommer, und ehrlich – in dem Augenblick hätten wir auch 17 Euro gezahlt und es keinen Moment bereut.


Während wir also noch an unserer gefrorenen Zitrone knabberten, warf das Wetter einen bedrohlichen Schatten über unsere Tagesplanung. Regen, kündigten die Apps an – morgen und übermorgen. Und wir standen da in T-Shirts und mit der Hoffnung im Herzen, dass sich die Wetter-Apps irren.
Stefan, der Mann für die praktischen Geistesblitze, schlug vor, spontan noch Malcesine mitzunehmen, bevor das große Wasserballett beginnen würde. Ich setzte natürlich noch einen drauf und präsentierte einen Plan, der in Sachen Effizienz noch besser war: “Wir fahren mit dem Schiff rüber!” – Ab Limone, keine Parkplatzsucherei, keine Staus, keine italienischen Verkehrsdramen. Einfach rübergleiten.
Bis zur Abfahrt um 14:25 Uhr hatten wir noch Zeit – und die nutzten wir nicht etwa zum Füße hochlegen, sondern für ein kleines, freundliches Kaufrausch-Massaker im Salami-Himmel.


In einem unscheinbaren kleinen Laden, der aus allen Poren nach Wein, Knoblauch und purem Glück duftete, legten wir hemmungslos los. Für 80 Euro deckten wir uns mit italienischer Edelsalami ein. Wilde Diskussionen über Wildschweinsalami, Pfeffersalami, Trüffelsalami – alles wanderte in die Tüten. Nur das leise Wimmern unseres Geldbeutels war zu hören, aber selbst der schien ein bisschen nach Salami zu duften.
Oli, Held des Tages, sprintete mit unserer kostbaren Beute zum Camper zurück und verstaute sie im Kühlschrank. Unsere Hamsterkäufe wollen natürlich gut gekühlt verstaut werden.
Kurz darauf trotten wir zum kleinen Hafen von Limone, wo sich die Touristen bereits in Reih und Glied aufgestellt haben wie bei einer Castingrunde für „Das Traumschiff – die Billigversion“. Ich schnappe mir entschlossen die Rolle des Reiseleiters, sprintete zur Kasse und sichere fix die Tickets für die ganze Bande.

Kaum sind die Tickets gekauft und die Familie eingesammelt, geht’s auch schon aufs Schiff. Während wir an Deck unsere Plätze suchen, macht sich ein bisschen Aufregung breit: Schiff fahren! Über den Gardasee! Für Noah und Emilia eine Mischung aus Abenteuerurlaub und Piratenfantasie, für uns Erwachsene die angenehmste Art, dem italienischen Parkwahnsinn zu entkommen. Nun ja außer für Nadine. Schiffe sind nicht so ganz ihr Ding.

Eigentlich, so der Ursprungsplan – der mittlerweile wegen des kommenden Regenwetters zu den Akten gelegt wurde – hätten wir Malcesine einen vollen Tagestrip gegönnt. Hin und zurück mit dem Bus, mindestens eine Stunde Fahrzeit pro Strecke ab dem Campingplatz in Bardolino, gespickt mit herrlichen Aussichten auf überfüllte Straßen und kreisende Parkplatzsuchende.

Jetzt aber, dank unserer genialen Schiffsstrategie, spulen wir das Highlight im Zeitraffer ab. Mission: Maximales Urlaubsglück in minimaler Zeit. Kamera raus, Sonnenbrille auf, Wind im Haar – der See glitzert, die Berge thronen majestätisch über uns.
In diesem Moment fühlt sich unser improvisiertes Programm an wie ein kleiner Triumph über die Naturgesetze der Urlaubsplanung. Und wer braucht schon 24 Stunden in Malcesine, wenn man in 20 Minuten Anfahrt schon das Gefühl hat, im schönsten Kapitel eines Italien-Roadmovies gelandet zu sein?

Kurz vor 15 Uhr betreten wir endlich Malcesine, und es ist genau so, wie man es sich in seinen besten Urlaubsträumen zusammenfabuliert: enge Kopfsteinpflastergassen, die aussehen, als wären sie aus dem Fundus eines romantischen Italo-Films geklaut worden, pastellfarbene Häuschen, die sich gegenseitig an die Wände schmiegen, kleine Boutiquen, aus deren Türen der Duft nach Lederwaren und frischen Gewürzen weht.
Italienisches Dolce Vita at its best.
Wir schlendern hinein in dieses Bilderbuch und sind sofort mittendrin – bis der erste kleine Familienplot-Twist die Szene abrupt wechselt: Noah bleibt vor einem Souvenirstand stehen und verliebt sich augenblicklich. Nicht etwa in eine Postkarte oder ein Eis – sondern in ein Plastik-Maschinengewehr mit Soundeffekt, das bei jeder Bewegung bedrohlich zu klackern beginnt, als würde gleich die gesamte Gardaseepolizei alarmiert werden.
BILDERGALERIE: Malcesine
Bevor wir noch “nononono!” sagen können, entdeckt Emilia ihr ganz eigenes Objekt der Begierde: einen bellenden, kläffenden Plüschhund auf Rollen, der aussieht, als könne er wahlweise auf vier Rädern die Piazza stürmen oder sämtliche Rentnercafés im Umkreis aufschrecken.
Kurzerhand verwandelt sich unser entspannter Spaziergang in eine Verhandlungsszene aus einem Mafiafilm: Oma (also ich) tritt in die Rolle des Vermittlers, bietet Eis, bessere Spielsachen, zukünftige Weltherrschaft und, wenn’s sein muss, auch einen eigenen Ponyhof, nur damit wir nicht in Malcesine für Ruhestörung verhaftet werden. Die Kinder knurren kurz, wägen ihre Optionen ab – und lassen sich tatsächlich bestechen. Ein Eis und neue Spielsachen später – irgendwann, irgendwo – sollen ihren Traum vom Glück erfüllen.
Familienfrieden erfolgreich rekonstruiert, biegen wir abseits der Touristenströme in ein ruhigeres Gässchen ein, wo wir fast zufällig auf eine kleine, unscheinbare Pizzeria stoßen: „AlPino“.

Hier erwartet uns keine hippe Speisekarte, keine wild gestylten Food-Fotos – sondern einfach ehrliches, italienisches Essen, wie es sein muss. Stefan und ich einigen uns auf nichts Geringeres als eine gemischte Grillplatte für Zwei, bei deren Anblick sämtliche Fitness-App-Algorithmen vermutlich kollektiv in Ohnmacht fallen würden: zartes Fleisch, saftige Spieße – und sogar ein kleines bisschen Gemüse für das gute Gewissen.
Oli entscheidet sich für eine Pizza. Die Kinder, in ihrer grenzenlosen Zuversicht, bestellen sich klassische Pasta Pomodoro zum Teilen – einfach, überschaubar, narrensicher. Dachten wir zumindest. Nadine bleibt derweil stilvoll in der Gourmetliga und entscheidet sich standesgemäß für Spaghetti Carbonara – natürlich ohne Sahne. Alles andere wäre in Italien schließlich ein kulinarisches Kapitalverbrechen erster Klasse gewesen und hätte vermutlich sofort eine Verwarnung durch den örtlichen Pastapolizisten nach sich gezogen.

Doch dann nimmt die Geschichte eine Wendung, die an diesem Tag leise ihren Anfang nimmt, um sich fortan wie ein Running Gag durch unseren gesamten Urlaub zu ziehen: das tragische Schicksal des Oli, und seiner Essens-Bestellung.

Denn kaum stehen die dampfenden Teller auf dem Tisch, stellt sich heraus, dass die Pasta – die eben noch sehnsüchtig herbeigewünscht wurde – den Kindern irgendwie doch nicht spektakulär genug schmeckt. Vielleicht zu wenig Soße – oder zuviel davon. -wer weiß das schon. Vielleicht zu wenig Abenteuer. Vielleicht einfach, weil Olis Pizza halt besser aussieht.
Was folgt, ist der Beginn einer Tradition: Bestellten sie Nudeln, wollten sie Olis Pizza. Bestellten sie Pizza, wollten sie Olis Nudeln.
Und so findet sich Oli an diesem Nachmittag zum ersten Mal schweigend in sein Schicksal fügend, während ihm zwei hungrige Kinderhälse begeistert den Teller leeressen. Oli selbst? Er bekommt – was übrig bleibt. Ein einsamer Pizzarand hier, ein müdes Spaghettifädchen da. Vielleicht noch ein Salatblatt, das zufällig auf den falschen Teller geweht ist. Oli, der Edle, der stille Held des Tisches.
Während wir anderen tapfer versuchten, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, aß Oli stoisch, was eben übrig war. Und wir wussten: Dies war erst der Anfang.

18 Uhr, Zeit für die Rückfahrt nach Limone. Die Sonne legt noch schnell ihr schönstes Pastellkleid an und verabschiedet sich so spektakulär, dass man glatt glauben könnte, sie wolle auf Instagram noch ein paar Likes abgreifen. Limone empfängt uns wie alte Freunde: warm, quirlig und leicht chaotisch – genau, wie wir es lieben.

Wir schwingen uns wieder in unsere rollenden Mini-Villen und tuckern gemütlich weiter Richtung Bardolino. Mit der behäbigen Eleganz von Containerschiffen steuern wir dem nächsten Etappenziel entgegen. Direkt am See gelegen, ein Campingplatz, der sich auf dem Papier liest wie ein kleiner Jackpot. In der Realität erkennen wir von diesem Paradies leider nur schemenhafte Umrisse im Dunkeln, denn wir rollen erst um 20:30 Uhr auf den Platz. Willkommen im nächtlichen Gardasee-Tetris.
Nadine und ich übernehmen den Check-in – während der Rest der Truppe im Camper wartet und vermutlich längst geistig auf der Bettkante sitzt. Die Rezeptionistin, eine freundliche Italienerin mit dem Enthusiasmus einer Lottofee, wickelt alles blitzschnell ab – und dann: ein Glanzmoment.
„Ich habe auch noch ein Geschenk für euch“, verkündet sie strahlend.
Nadine und ich, natürlich sofort auf Familienmodus geschaltet, rechnen innerlich schon mit bunten Aufklebern, Radiergummis in Zitronenform oder zwei kleinen Bonbontütchen für die Kinder.
Aber nein. Stattdessen zaubert sie zwei Flaschen Weißwein hervor.
Zwei Flaschen! Für uns! Top! Wir bedanken uns begeistert. Während wir noch unsere innere Weinkönigin feiern, drehen die Kinder draußen schon frei: Wie Flutlichtmarathonläufer sprinten sie über den Spielplatz, völlig unbeeindruckt davon, dass es stockdunkel ist und Erwachsene in diesem Zustand schon lange zur Bewegungsgruppe “Maximal Beine unter die Bettdecke” gewechselt wären.

Nach einer ausgiebigen Dusche (unter sanftem Fluchen über die eigene Tollpatschigkeit auf glitschigen Campingplatzfliesen) folgt der einzig logische Programmpunkt: das kollektive Umfallen in die Camperkojen. Schuhe, Klamotten, Sorgen – alles wird kurzerhand über Bord geworfen. Der Tag war lang, bunt und voller kleiner Heldentaten.
Und morgen? Morgen soll es regnen.
Aber wir sind vorbereitet: Wenn das Leben Gummistiefel reicht, machen wir eben ein Wasserballett daraus. Wir wären nicht wir, wenn wir aus ein bisschen Regen nicht eine neue Disziplin der olympischen Urlaubsfreude basteln würden.
