Treppen, Trubel, Traumkulisse – unterwegs auf dem Sentiero Azzuro zwischen Monterosso & Vernazza

Der Morgen beginnt so, wie man sich das in Italien wünscht – mit Sonne im Gesicht, frischer Luft in der Nase und der Kaffeetasse in der Hand. Um 8:30 Uhr sitzen wir alle vor unserem Camper, der Frühstückstisch ist gedeckt, und das Leben fühlt sich kurzzeitig wie ein Werbespot für Outdoor-Idylle an. Die Brötchen sind lecker, die Croissants verschwinden in Rekordzeit, und der Kaffee? Stärker als nötig, aber genau richtig für den kommenden Tag. Emilia springt zwischen Bissen und Spielplatz hin und her, als hätte sie einen eingebauten Akku mit Schnellladefunktion, während wir anderen in aller Ruhe zusammenpacken.

Monterosso al Mare

Kurz nach neun brechen wir auf. Der Bahnhof liegt kaum zehn Minuten entfernt, angenehm erreichbar. Der Zug um 9:35 Uhr kommt italienisch pünktlich, was bei uns schon für ein erstes anerkennendes Nicken sorgt. Kaum haben wir Platz genommen, da zuckelt er auch schon los – keine zehn Minuten später steigen wir in Monterosso aus. Das erste Ziel des Tages, das erste Versprechen auf neue Ausblicke und alte Gemäuer, und vor allem: der Startpunkt für einen ganz besonderen Wanderweg.

Aber: Monterosso muss erst mal warten. Denn heute früh stehen keine pastellfarbenen Altstadtgassen auf dem Programm, sondern ein Küstenklassiker mit Höhenmetern: der Sentiero Azzurro. Dieser legendäre Wanderweg zwischen den Cinque-Terre-Dörfern ist nicht einfach nur ein Pfad – er ist eine Mischung aus Naturdoku, Fitnessstudio und italienischem Abenteuerfilm. Und das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen.

Wir lassen Monterosso also ganz entspannt links liegen – na gut, nicht ganz entspannt, eher in leichtem Wanderschuh-Galopp – und steuern vom Bahnhof direkt an der Strandpromenade entlang den Startpunkt des Trails an. Das Wetter spielt mit, der Rucksack ist gepackt, die Trinkflaschen gefüllt. Und dann geht’s los.

Sentiero Auzzuro

Die ersten Treppenstufen tauchen schneller auf, als uns lieb ist. Und das Wort Treppenstufe wird dabei recht großzügig interpretiert. Es handelt sich um steinerne, teilweise kniehohe Absätze, wie von einem mittelalterlichen Baumeister mit Höhenfetisch entworfen. Kaum gestartet, wird geschnauft. Also von uns Erwachsenen. Die Kinder dagegen?

Team Wild & Frei ist geboren – auf Initiative von Noah, der seine kleine Schwester Emilia und mich kurzerhand zur Expeditionstruppe mit Sonderauftrag erklärt. „Team Wild & Frei, wir erkunden den Weg und flüchten vor den anderen Erwachsenen!“, verkündet er mit glänzenden Augen und Abenteurerstimme. Emilia, ganz in ihrer eigenen Welt, versteht allerdings nicht „wild und frei“, sondern „Wildschwein“ – und so ziehen wir drei eben los als Team Wildschwein, das sich mutig vor der strengen Aufsicht von Mama, Papa und Opa in Sicherheit bringt.

Unsere Mission? Alles sehen, alles anfassen – am besten gleichzeitig. Steine werden geworfen (natürlich nur sehr wichtige Forschungsexemplare), Stöcke werden eingesammelt (potenziell magisch, wer weiß das schon?), und mitten auf dem schmalen Pfad wird plötzlich stehengeblieben, weil „da vorne ein Käfer war, glaube ich!“. Aus dem Hintergrund hallen die bekannten Rufe: „Nicht mit Steinen werfen!“, „Heb bitte nicht jeden Stock auf!“, „Geh weiter, du stehst im Weg!“.

Ich – Oma, Expeditionsleiterin wider Willen – sehe darüber hinweg. Nicht absichtlich, sondern ganz offiziell „versehentlich“. Ein Stein wurde geworfen? Hab ich gar nicht bemerkt. Vielleicht war ich gerade zu sehr damit beschäftigt, Emilias glitzernden Zauberstab aus einem Gebüsch zu befreien oder Noahs neu entdeckte Wanderroute zu bestaunen (die 40 cm neben dem eigentlichen Weg verlief, aber deutlich spannender war).

So ziehen wir weiter – Team Wildschwein, mit offenen Augen, vollem Körpereinsatz und einem gewissen Hang zur Unordnung – aber genau das macht diesen Aufstieg so herrlich lebendig.

Wir Erwachsenen schwitzen inzwischen nicht nur vor Anstrengung, sondern auch ein bisschen vor verletztem Ehrgeiz – denn Emiliavier Jahre alt und offenbar mit einem eingebauten Steigmodus geboren, nimmt Stufe um Stufe wie ein kleiner Wander-Gepard. Kein Jammern, kein Zögern – einfach weiter. Pausen sind bei ihr nur vorgesehen, wenn jemand blutet, einen akuten Wassermangel anmeldet oder ein besonders fotogener Kaktus plötzlich mitten im Weg auftaucht.

Wir hingegen machen viele Pausen. Sehr viele. Natürlich nicht, weil wir erschöpft wären – sondern weil der Blick einfach zu schön ist. Das Licht! Diese Farben! Und hey, Foto-Backup Nummer 5 und 10 sind absolut notwendig – man weiß ja nie, ob das vorherige Bild versehentlich unscharf war. Oder jemand geblinzelt hat. Oder der Kaktus im Hintergrund nicht perfekt gewachsen war.

Die Wahrheit? Wir brauchen Luft. Viel Luft. Und diese kleinen Fotostopps sind die perfekte Ausrede, um unauffällig Atem zu holen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, dass man am liebsten auf allen vieren weiterkriechen würde. Merkt doch keiner. Oder?

Und ja – der Weg ist anstrengend. Steil, steinig, manchmal rutschig. Aber auch: atemberaubend schön. Wir wandern durch terrassierte Weinberge, vorbei an wilden Rosmarinsträuchern, unter uralten Olivenbäumen, deren knorrige Äste sich wie in Zeitlupe in den Himmel strecken. Und dazwischen immer wieder dieser Blick aufs Meer – tiefblau, funkelnd, manchmal ganz nah, manchmal weit unter uns. Wie ein stiller Begleiter, der den ganzen Weg über mitgeht. Ein Soundtrack aus Glitzern und Rauschen. Und mittendrin wir. Team Wildschwein mit Familie. Auf dem Weg nach Vernazza.

Vernazza

Also wie erwähnt: Fotostopps? Pflicht. Nicht nur wegen der Aussicht, sondern auch zur allgemeinen Beruhigung des Kreislaufs. Trinkpausen? Eindeutig Gelegenheiten zur taktischen Lagebesprechung – „Nadine fragt, wie viele Stufen noch?“ – „So ungefähr… viele.“ Die Antwort ist nicht sehr präzise, aber emotional zutreffend.

Natürlich bleibt so ein Aufstieg nicht ganz frei von Dramen – eine kleine Gummibärchenkrise entfacht fast einen mittleren Wanderzwischenfall. Irgendjemand hat die letzte Rote gegessen. Skandal! Emotionen kochen hoch, Tränen sind nicht ausgeschlossen – aber dank Traubenzucker, liebevoller Diplomatie und der Aussicht auf ein Eis in Vernazza kann die Situation entschärft werden, bevor jemand meutert.

Nach gut zwei Stunden, einem leichten Muskelbrennen und einer ordentlichen Portion Stolz taucht sie endlich vor uns auf: Vernazza. Wie ein Pastellgemälde, das jemand zwischen die Hügel geklemmt hat. Die ersten Häuser lugen durch die Vegetation, dann wird es dichter, bunter, lebendiger. Der Weg senkt sich nun ab – steile Steinstufen, flankiert von Zäunen, kleinen Gärten, Lavendelduft, und irgendwo kräht ein Hahn, als wolle er das Happy End einläuten.

Und dann – plötzlich stehen wir mittendrin. In den Gassen von Vernazza. In der Realität nach einem Weg, der sich anfühlte wie ein Kapitel aus einem Reiseliteratur-Klassiker mit Kletterelementen. Wir haben’s geschafft. Team Wildschwein ist im Ziel. Und das mit erhobenem Rüssel – äh – Haupt. Verdient. Absolut verdient.

Zuerst nehmen wir den direkten Weg durch Vernazza – oder sagen wir lieber: wir versuchen es. Denn heute ist hier gefühlt ein Dorffest, Markt und Klassentreffen gleichzeitig. Die Hauptstraße ist ein einziger Menschenstrom, der sich gemächlich, aber unaufhaltsam durch die Gassen wälzt. Und wir sind mittendrin. Mit Rucksack, Kind und knurrendem Magen.

Unser Plan: Mittagessen. Und zwar dringend. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Ziel: Il Pirata – unser Geheimtipp vom letzten Jahr, etwas oberhalb des Ortskerns, leicht versteckt in Richtung Bahnhof und noch ein Stück weiter. Dort, wo es ruhiger ist. Wo man nicht das Gefühl hat, man müsste sich mit einem Selfiestick den Weg freikämpfen.

Also kämpfen wir uns die Straße hinauf, biegen ab, überqueren die Bahngleise – und dann steht es da: Das Schild mit dem kleinen Dolch – „Il Pirata“. Doch was uns erwartet, ist keine Pizza mit Aussicht, sondern ein Zettel an der Tür: „Heute Ruhetag.“

Natürlich. Murphys Gesetz – diesmal in der ligurischen Version. Wenn man nach zwei Stunden Wanderung mit Team Wildschwein, Schweißflecken in Herzform und Kindern in der “Wir können nicht mehr, aber wir wollen jetzt sofort ein Eis”-Phase ankommt – dann hat der Lieblingsladen natürlich zu. Na klar.

Also heißt es: Umdrehen, zurück, durch das Gedränge. Und heute ist obendrein Markttag in Vernazza. Zwischen Gewürzständen, Kleidung, Kunsthandwerk und lautstarken Unterhaltungen wimmelt es von Besuchern – ein charmantes Chaos aus Stimmen, Gerüchen, Farben. Schön, aber gerade nicht hilfreich für unser Energielevel.

Ananasso Bar & Restaurant

Doch dann, fast wie bestellt, wird am Hafen ein Tisch im „Ananasso Bar & Restaurant“ frei. Direkt vorne. Wir zögern kurz – der Ort wirkt touristisch, die Lage zu schön, um bezahlbar zu sein. Wahrscheinlich Pizza aus der Mikrowelle mit 20 % Aussichtszuschlag, denken wir.

Doch dann: Überraschung. Die Karte bodenständig, die Preise normal, die Pizza richtig gut – dünn, knusprig, ordentlich belegt, keine Spur von Massenware.

Nach dem Essen drehen wir noch eine gemütliche Runde durch Vernazza – diesmal etwas entspannter. Die Marktstände sind inzwischen abgebaut, die bunten Tücher, Gewürzstände und handbemalten Keramiken verschwunden, aber die Menschenmassen sind geblieben. Immerhin: es gibt jetzt einen Hauch mehr Bewegungsfreiheit. Kein Slalom mehr zwischen Sonnenhüten und Wanderrucksäcken, sondern endlich genug Platz, um auch mal stehenzubleiben, ohne gleich die komplette Gasse zu blockieren.

Wir holen uns ein Eis auf die Hand – man könnte fast meinen, das gehört hier zur örtlichen Tradition: Nach dem Wandern, vor dem Weiterziehen, ein Gelato zur Belohnung. Die Kinder sind sofort wieder voll dabei, dieses Mal ohne Gummibärchenkrise, dafür mit großer Sortenfreude: Schokolade, Erdbeere, Stracciatella, was eben gerade die Zunge ruft.

Mit dem Eis in der Hand schlendern wir durch die kleinen, verwinkelten Gassen, vorbei an Hausfassaden mit wackeligen Fensterläden und Wäscheleinen, die sich über die engen Gassen spannen wie Wimpel. Alles wirkt ein bisschen filmreif – und ein bisschen wie ein Ort, der trotz Touristenflut nie ganz seine Seele verliert.

Dann machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Denn auch Monterosso, unser Startpunkt am Morgen, hat sich heute Morgen brav hinten angestellt – und soll nun endlich seine verdiente Aufmerksamkeit bekommen. Also: nächster Halt – zurück zum Anfang.

Monterosso al Mare

Die Zugfahrt zurück nach Monterosso dauert nur ein paar Minuten – gerade lang genug, um kurz durchzuatmen, aber nicht lang genug, um sich vom bisherigen Tagespensum zu erholen. Kaum am Bahnhof angekommen, machen wir uns direkt auf den Weg ins Dorf – bereit für den zweiten Teil unseres Cinque-Terre-Erlebnisses.

Emilia und Noah entdecken sofort einen Spielplatz – und zwar mit dieser zielgerichteten Treffsicherheit, die Kinder scheinbar eingebaut haben. Zwei Schaukeln, ein kleines Klettergerüst und ein schattiges Plätzchen: mehr braucht es nicht zum Glück.

Oli hat zeitgleich etwas anderes entdeckt – eine Bar mit Aperol-Spritz-Happy-Hour. Und weil Multitasking für Väter in Italien scheinbar ganz einfach ist, holt er sich sein Getränk, stellt sich mit dem Glas neben die Schaukel und verbindet Elternsein mit italienischer Lebenskunst. Aperol auf der einen, Blick auf die Kinder auf der anderen Seite – dolce vita mit Bewegungsaufsicht.

Währenddessen bummeln Nadine, Stefan und ich durch die kleinen Gassen. Nadine hat ein Auge auf hübsche Kleider geworfen – luftige Sommermode mit Zitronen-Print, flatternd in den Auslagen. Und wir lassen uns treiben.

Souvenirshops, kleine Boutiquen, bunte Häuser – Monterosso ist quirlig, aber charmant. Es ist das größte der fünf Dörfer, hat aber diesen verspielten Mix aus Fischerdorf-Flair, Riviera-Ambiente und genau der richtigen Portion Kitsch, die man im Urlaub einfach gern mitnimmt. Überall riecht es nach Pizza, Salzwasser und frisch gebackenen Cornetti. Und während wir an Keramikläden und Postkartenständern vorbeischlendern, freuen wir uns irgendwie, dass wir heute nochmal zurückgekommen sind. Monterosso hat sich gelohnt.

Monterosso al Mare

Nach knapp zwei Stunden, unzähligen Boutiquen, zwei Aperol Spritz, einem halben Spielplatz und ein paar T-Shirts mit „Cinque Terre“-Aufdruck später, machen wir uns langsam auf den Rückweg. Doch ein letzter Zwischenstopp muss noch sein – am Strand.

Oli, Nadine und die Kinder biegen ab Richtung Meer, und obwohl schon beim Hinsehen klar ist: Das Wasser ist kalt, ziehen Noah und Emilia Schuhe und Socken aus, als gäbe es kein Morgen. Füße ins Meer – ganz vorsichtig zuerst, dann mit wachsendem Übermut. Das Wasser ist wirklich frisch, aber die beiden quietschen vor Freude, als wäre es die reinste Sommertherme.

Monterosso Fegina

Oli und Nadine stehen mit hochgekrempelten Hosen daneben, grinsen und lassen den Moment einfach laufen – weil diese Art von Spontanität oft die schönsten Urlaubsbilder ergibt. Und während wir anderen am Rande stehen und zusehen, denken wir mal wieder: So fühlt sich Urlaub an.

Während die Kinder fröhlich durchs kalte Wasser tapsen, nutzen Stefan und ich die Gelegenheit, noch schnell im nahegelegenen Supermarkt „La Bottega“ einzukaufen – ein bisschen Brot, Aufschnitt, Käse und alles, was man für ein anständiges Camper-Vesper so braucht. Mit zwei gut gefüllten Einkaufstaschen kommen wir zurück zum Strand, wo Noah und Emilia mittlerweile Muscheln sammeln und der Sand schon die ersten Spuren im Hosenumschlag hinterlässt.

Supermarkt La Bottega

Ein paar dieser Muscheln wandern noch schnell in kleine Hosentaschen, der Sand knirscht unter den Füßen – und dann geht’s zurück. Zurück zum Bahnhof. Zurück nach Levanto. Zurück zum Camper.

Aber nicht ohne dieses leise „Hach“ im Herzen, das sich nach solchen Momenten fast automatisch einstellt.

Supermarkt La Bottega

Am Bahnhof von Monterosso wimmelt es. Menschen stehen, sitzen, schwitzen – alle Bänke sind belegt, jeder Zentimeter Schatten heiß begehrt. Stefan und ich schauen uns kurz an und beschließen ganz pragmatisch: Wir gönnen uns jetzt den wahrscheinlich teuersten Sitzplatz des Urlaubs – vor der Bar direkt am Bahnhof: der Bar da Stasiun.

Wir bestellen… Wasser. Eine Flasche – zwei Gläser, einfach nur Wasser. Wir befürchten schon, gleich 5 Euro pro Glas auf der Rechnung zu sehen – doch weit gefehlt: 1,50 Euro. Und zwar mit Sitzplatz, Schatten und Ausblick auf das Bahnsteigchaos inklusive.

Wir schauen entspannt und ein klitzekleines bisschen schadenfroh zu den anderen hinüber: Oli und Nadine stehen müde am Bahnsteig, die Kinder sitzen auf dem Boden, Noah malt mit dem Finger Linien in den Staub. Wir heben die Wassergläser zum stillen Gruß – und grinsen.

Bar da Stasiun

Zurück am Campingplatz dann das gewohnte Abendritual: Spülen, Duschen, Vespern. Brot, Käse, Salami, ein Glas Wein – der Feierabend im Camperstil. Die Kinder sind müde vom Tag, aber glücklich. Keine langen Einschlafgeschichten heute – sie schlafen schneller ein als wir „Buona notte“ sagen können.

Wir sitzen noch kurz draußen, die Stühle knarzen leise, die Luft riecht nach Pinien und Abendwind.

Zwei Dörfer heute. Fünf insgesamt. Und jeder einzelne Schritt davon war es wert.

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