Frühstück in Chicken, der Zauber des Top Of The World Highway
und das reizende Dawson City
Der Wecker kreischt um 6:00 Uhr, und ratet mal, wer sofort hellwach aus den Federn springt? Richtig – ich. Mein Magen trommelt den Weckruf gleich mit, und die Botschaft ist klar: Frühstück her, sofort! Und was könnte da besser passen als ein Besuch im legendären Chicken Creek Cafe? Gestern schwor man uns, dass Sue, die Chefin des Ladens, Frühstück serviert, das selbst hartgesottene Bauarbeiter ins Schwärmen bringt. Und mal ehrlich: Wenn Leute, die täglich mit Presslufthämmern und Schaufeln arbeiten, begeistert sind, dann muss da was dran sein.
Also Camper starten und die halbe Meile rüber zum Café – schließlich wollen wir nicht nur essen, sondern auch noch kurz ins Postamt und zur Tankstelle, bevor um 9:00 Uhr das RV-Park-Office öffnet. Klingt nach einem durchgetakteten Masterplan, aber mit leerem Magen ist alles nur halb so charmant.
Am Café angekommen, parken wir unseren Truck Camper und spähen hoffnungsvoll auf das Türschild. Trommelwirbel: Öffnung erst um 7:30 Uhr. Na prima, noch 20 Minuten. Aber hey – kein Grund zur Panik. Wir nutzen die Zeit für einen kleinen Spaziergang zum hiesigen Superstar: dem Riesenhuhn. Chicken ohne Chicken-Statue wäre schließlich wie Las Vegas ohne Neonlichter.

Also los: Wir stapfen los zum Riesenhuhn, das uns schon gestern wie ein Monument der Absurdität ins Auge gesprungen ist. Ein gigantischer Gockel aus Blechplatten, der wirkt, als hätte jemand im Kunstunterricht vergessen, rechtzeitig „Stopp“ zu sagen. Stefan stellt sich natürlich direkt daneben für das obligatorische Foto. Ich schwöre, es sieht aus, als würden die beiden gerade ein ernstes Gespräch führen. Stefan: „Na, wie geht’s so im Ort?“ Das Huhn: no comment.
Während wir um das Wahrzeichen herumschlendern, entdecken wir noch ein weiteres Highlight: einen Hühnerkopf, der frech aus dem Gebüsch späht, als wolle er uns zublinzeln. Ich meine, mal ehrlich – wo sonst auf der Welt bekommt man solch eine schräge Mischung aus Naturidylle und Cartoon-Kulisse? Chicken hat definitiv Humor.

Nach einer kleinen Fotosession marschieren wir voller Vorfreude zurück zum Café – 7:35 Uhr, also fünf Minuten nach offizieller Öffnungszeit. Doch was sehen wir? Geschlossene Türen! Ich spähe neugierig durchs Fenster und entdecke eine emsige Dame, die gerade irgendetwas hantiert. Als sie meinen Blick bemerkt, ruft sie etwas, das ungefähr so klingt wie eine Mischung aus „Gleich!“ und „Lass mich in Ruhe!“. Verstanden habe ich’s nicht, aber die Körpersprache war eindeutig.
Gerade als ich mich schon trollen will, öffnet sie widerwillig die Tür. Die Begrüßung ist… nennen wir es mal „nordisch-herb“. Sie erklärt knapp, dass sie heute eben ein bisschen später dran sei – schließlich sei auch ihr ein verlängertes Ausschlafen mal gegönnt. Und überhaupt: Solange der Kaffee nicht durchgelaufen ist, bleibt hier sowieso alles dicht. Klare Ansage.
Also gut, wir nehmen’s sportlich und beschließen, die Wartezeit für einen Abstecher ins Postamt zu nutzen. Das thront oben am Berg, direkt am Ortseingang, und mein Plan klingt simpel: Postkarten kaufen, Chicken-Sonderstempel draufknallen und ab damit in den Briefkasten. Schließlich gibt es ja noch Menschen in unserem Umfeld, die Facebook hartnäckig verweigern und lieber Oldschool-Post im Briefkasten haben.
Gesagt, getan – Karten eingeworfen, Haken dran. Doch dann entdecke ich ein kleines Schild an der Tür: „Von Mitte September bis Mitte Mai wird keine Post befördert.“ Moment mal… heute ist der 14. September! Zählt das jetzt schon als Mitte? Falls ja, werden meine Chicken-Grüße wohl erst im nächsten Frühsommer im heimischen Briefkasten landen. Na wunderbar – Nostalgie-Postkarten mit eingebautem Zeitreise-Effekt.

Zurück am Café um 7:45 Uhr – diesmal stehen die Türen weit offen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Wir treten ein, und ich frage die inzwischen deutlich besser gelaunte Frau vorsichtig, ob sie Sue sei. Ein strahlendes „Ja!“ kommt zurück, gefolgt von einem neugierigen Blick: „Und warum wollen Sie das wissen?“ Ich grinse und erkläre, dass uns gestern Abend ihr legendäres Frühstück empfohlen wurde. Zack – das Eis ist gebrochen, und wir sind offiziell willkommen.

Wir bestellen die berühmte „Classic Chicken Plate“, und was soll ich sagen? Ein Frühstück, das wirklich alle Erwartungen sprengt. Fluffig, herzhaft, köstlich – Sue weiß, wie man Camper glücklich macht. Während wir genüsslich schlemmen, trudeln kurz die Straßenarbeiter herein, schnappen sich Kaffee und ein „Breakfast-to-go“ und verschwinden wieder auf die Baustelle. Wir hingegen haben das Café bald für uns alleine.
Chicken Creek Cafe
Im Gespräch erzählt uns Sue, dass heute ihr letzter Arbeitstag sei. Morgen wird noch geputzt und winterfest gemacht, und dann geht’s für sie ab nach Las Vegas – zusammen mit ihrem Lebensgefährten, der die Sonne dort dem Alaska-Winter eindeutig vorzieht. Wir plaudern über unsere Reisepläne im März, und Sue versorgt uns gleich großzügig mit Tipps zu sehenswerten Orten und lohnenden Wanderungen rund um Vegas. Ein Insider-Guide direkt vom Frühstückstisch – besser geht’s nicht.

Oh, und Überraschung: Gleich neben dem Café entdecken wir eine winzige Tankstelle. Natürlich frage ich Sue, ob wir unseren Camper dort betanken können. „Klar, gehört zum Café“, sagt sie, „aber Benzin gibt’s keins mehr – das haben die Bauarbeiter schon alles verbrannt. Diesel hab ich aber noch.“ Perfekt! Unser Truck Camper läuft mit Diesel, also füllen wir für einen erstaunlich günstigen Preis den Tank auf.
Gut gestärkt und frisch betankt geht’s für uns weiter – aber nicht, ohne noch ein paar Fotos vom legendären Chicken Creek Saloon zu machen und im Souvenirshop ein bisschen zu stöbern. Schließlich braucht man Erinnerungen, die länger halten als Pancakes.

Um 8:30 Uhr rollen wir wieder den Hügel hinunter zum Campground, wo inzwischen auch schon die Türen geöffnet sind. Perfekt – Zeit, die Rechnung zu begleichen. Mit einem Dankeschön für den großartigen Service, hier wie auch bei unserer hilfreichen „Außenstelle“ in Tok, schließen wir dieses Kapitel ab. Gegen 9:00 Uhr starten wir schließlich durch – der Name unseres nächsten Abenteuers klingt wie ein Versprechen: Top of the World Highway. Klingt nach Panorama, klingt nach Abenteuer – und wir sind mehr als bereit!
Mit einem vollen Tank, frischem Kaffee im Bauch und einer ordentlichen Portion Abenteuerlust verlassen wir Chicken. Vor uns liegt eine Strecke, die allein vom Namen her schon klingt wie ein episches Roadmovie: der Top of the World Highway. 128 Kilometer, die sich wie ein goldenes Band über die Bergkämme ziehen und ihrem Namen alle Ehre machen.

Schon die ersten Kilometer sind spektakulär. Die Sonne taucht die Hänge in ein warmes Licht, das die herbstlichen Birkenwälder zum Leuchten bringt. Überall ein Meer aus Gelb und Gold, dazwischen dunkle Tannen und das satte Blau des Himmels. Man könnte meinen, Mutter Natur hat den Farbtopf umgekippt und dabei einen besonders guten Tag erwischt. Jeder Fotostopp wird zur Pflicht – die Kamera klickt im Dauermodus, die Drohne steigt in die Luft, und wir stehen immer wieder sprachlos am Straßenrand.
Der Highway selbst? Mal Asphalt, mal Schotter, mal staubig, mal holprig – aber immer spektakulär. Er windet sich über sanfte Höhenrücken, folgt den Konturen der Berge und bietet Ausblicke, bei denen man am liebsten jede Kurve feiern möchte. Kein dichter Wald, der die Sicht versperrt, sondern endlose Weite, die das Gefühl gibt, tatsächlich „on top of the world“ zu sein.

Nach knapp zwei Stunden erreichen wir die Grenze. Hier, mitten in der Wildnis, steht eine kleine gemeinsame Station von USA und Kanada – „Poker Creek“ nennen die Amerikaner sie, „Little Gold Creek“ die Kanadier. Ein unscheinbares Häuschen, ein Stoppschild und ein freundlicher Hinweis: „Bitte im Fahrzeug bleiben“. Wir halten brav an, und nach kurzer Zeit erscheint eine uniformierte Dame. Ein kurzer Blick in die Pässe, die Frage, ob wir in die USA zurückkehren werden (nein), ein Stempel – das war’s. Keine neugierigen Fragen nach Waffen, kein Blick in den Camper, keine Inspektion des Kühlschranks. Schneller als erwartet rollen wir wieder los, diesmal zurück auf kanadischem Boden.

Und hier kommt der Moment, in dem der Highway seinem Namen endgültig gerecht wird. Wir befinden uns nun auf fast 1.400 Metern Höhe – der höchste Punkt der gesamten Strecke. Um uns herum nur Himmel, Täler, Bergketten und ein Panorama, das sich bis zum Horizont erstreckt. Die Uhr wird wieder um eine Stunde vorgestellt, Meilen verwandeln sich zurück in Kilometer, Gallonen in Liter – kleine Details, die uns schmunzeln lassen.

Die letzten Kilometer nach Dawson sind ein einziges Highlight. Der Yukon River schlängelt sich in der Ferne wie ein silbernes Band durch die Landschaft, und die goldenen Herbstfarben begleiten uns bis zum Schluss. Schließlich endet der Top of the World Highway so spektakulär, wie er begonnen hat: mit der kleinen Fähre, die uns über den mächtigen Yukon bringt – direkt hinein nach Dawson City, dem Herz des Goldrauschs.
Nach einer fünfstündigen Fahrt durch eine Landschaft, die schöner kaum gemalt sein könnte, taucht sie plötzlich vor uns auf: die erste Silhouette von Dawson City. Zwischen den Bäumen blitzt ein Stück Dach auf, dann eine Straße – und ehe wir’s richtig realisieren, windet sich die Straße in engen Serpentinen hinunter zum Ufer des mächtigen Yukon River.

Doch zwischen uns und dem Goldgräber-Mekka liegt noch der Fluss, und hier gibt’s keine noble Brücke mit Stahlträgern und Geländern. Stattdessen: die gute alte Fähre, die unermüdlich von einem Ufer zum anderen tuckert. Pier? Betonrampe? Fehlanzeige! Hier reicht ein flacher Kiesabschnitt als „Hafenanlage“. Improvisation im Wildwest-Stil.

Die Fähre legt an, die Rampe scheppert runter – und wir dürfen als Erste drauf. Unser Truck Camper rollt gemächlich ins Bauchgefühl eines Westerns, während hinter uns noch zwei gigantische Lastwagen einparken. Platz ist offenbar immer. Das Sahnehäubchen: Die Überfahrt kostet keinen Cent. Kostenlos! In Europa hätten wir dafür vermutlich schon ein Ticketbüro mit Schranke, Automatenstörung und Wartezeit. Hier? Ein Nicken vom Fährmann – und ab geht’s.
Nach wenigen Minuten tuckern wir über den Yukon, die Luft riecht nach Abenteuer und Diesel, und das gegenüberliegende Ufer kommt immer näher. Dawson City – wir sind da!
Unser erster Halt in Dawson City führt uns ins Visitor Center, wo wir eine Liste der Restaurants bekommen, die noch nicht in den Winterschlaf gefallen sind. Der freundliche Mitarbeiter empfiehlt uns begeistert „Klondike Kate’s“ – und allein der Name klingt schon nach einem Ort, an dem man abends unbedingt sein muss.
Danach wollen wir noch Informationen zum Dempster Highway einholen. Angeblich soll eine Fähre defekt sein. Das Visitor Center der Northwest Territories, direkt gegenüber, könnte mehr wissen – doch auch dort: Dunkel, abgeschlossen, Saison vorbei. Tja, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als den Dempster einfach auf eigene Faust auszuprobieren. Abenteuer bedeutet schließlich auch, Überraschungen willkommen zu heißen.

Bis „Klondike Kate’s“ um 16 Uhr öffnet, haben wir noch eine Stunde Zeit. Perfekt für einen Stadtbummel! Also los – auf den Schotterstraßen von Dawson. Hier sieht wirklich alles aus wie aus einem Filmset: bunte Fassaden, die Dawson Daily News im knalligen Gelb, das historische „Klondike Motors“-Gebäude, quietschrosa Holzhäuser mit Veranda, daneben wieder verfallene Relikte aus der Goldrauschzeit. Die Stadt ist eine Mischung aus frisch gestrichenem Westernflair und bröckelnder Vergangenheit – und genau das macht sie so faszinierend.

Mitten im Ort erleben wir auch eine Live-Show in Sachen Straßenbau: Schotter, der aussieht wie Blumenerde, wird einfach mitten auf die Fahrbahn gekippt. Ein Gefährt mit schiefen Rädern rumpelt heran, verteilt das Material und rüttelt es fest – fertig ist die Hauptstraße. Kein Asphalt, keine High-Tech-Maschinen, nur Pragmatismus und ein Hauch von Pioniergeist.

Wir schlendern weiter, vorbei an schiefen Häusern, die sich seit hundert Jahren gegen die Permafrostböden stemmen, und frisch renovierten Gebäuden, die in allen Farben des Regenbogens strahlen. In einer Straße stehen moderne Bauten Tür an Tür mit bröckelnden Holzruinen – als würde die Stadt uns direkt ins Ohr flüstern: „Hier leben Vergangenheit und Gegenwart Seite an Seite.“
Und während wir uns durch diese Kulisse bewegen, wächst unsere Vorfreude mit jedem Schritt: Noch ein bisschen Dawson-Flair aufsaugen, dann wartet ein Abendessen bei Klondike Kate’s auf uns. Und das, da sind wir uns sicher, wird genauso authentisch wie diese Stadt selbst.

Nach unserem Bummel durch Dawson City knurren die Mägen – höchste Zeit für Klondike Kate’s! Punkt 16 Uhr stehen die Türen offen, und wir treten in das gemütliche Lokal, wo uns eine junge Frau mit einem breiten Lächeln begrüßt. Gut, die echte Klondike Kate ist sie natürlich nicht – die legendäre Tänzerin Kathleen Eloise Rockwell wäre heute stolze 141 Jahre alt. Aber immerhin sorgt schon der Name dafür, dass man sich ein kleines bisschen wie im Goldrausch fühlt.

Die Speisekarte ist eine Mischung aus deftigen Klassikern und kleinen Schmunzlern. Besonders sticht uns ein Eintrag ins Auge: „Secondbest Chicken Wings in Town“. Neugierig hake ich nach – und bekomme die Erklärung: Am anderen Ende der Straße wirbt ein Restaurant mit den „Best Chicken Wings in Town“. Tja, und statt sich in ein kulinarisches Kräftemessen zu stürzen, setzt man hier lieber auf Selbstironie. Sympathisch!

Wir entscheiden uns dann aber doch für die großen Klassiker: saftige Spareribs für mich, perfekt gegrillt, mit Maiskolben und Gemüse, und für Stefan einen Burger mit Pommes, der aussieht, als wäre er direkt aus einem amerikanischen Roadmovie entsprungen. Dazu ein kühles Bier von der Yukon Brewing – weil man den Norden eben auch im Glas genießen kann.
Das Essen ist ein Volltreffer. Jede Gabel, jeder Bissen, jede Pommes sagt: „Genau hier musst du sitzen, nach einem Tag in Dawson.“ Und während draußen langsam die Abendruhe über die Stadt fällt, lassen wir uns die Teller schmecken und genießen die Atmosphäre, die irgendwo zwischen Wildwest-Nostalgie und entspanntem Roadtrip-Glück liegt.
Das Abendessen war köstlich – die Spareribs ein Gedicht, der Burger ein Volltreffer – und während wir noch satt und zufrieden in unseren Stühlen lümmeln, wirft die Uhr einen strengen Blick auf uns: 16:45 Uhr. Zeit, sich aufzuraffen, denn der Midnight Dome ruft!
Der Berg erhebt sich 2.900 Fuß hoch über Dawson City, und eine 7,5 Kilometer lange Straße schlängelt sich hinauf. Nichts Spektakuläres – denkt man. Aber dann, oben angekommen, breitet sich die Landschaft wie ein überdimensionales 360°-Gemälde vor uns aus. Ein Rundumblick, der einem fast das Fotografieren verdirbt, weil man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Links der Klondike River, rechts der Bonanza Creek, unter uns Dawson City mit seinen bunten Häuschen, und in der Ferne schlängelt sich der Yukon gemächlich durch die Wildnis, als hätte er alle Zeit der Welt.

Und dazwischen wir – winzig, staunend, unfassbar dankbar, hier oben stehen zu dürfen. Der „Top of the World Highway“, den wir am Vormittag bezwungen haben, zeichnet sich in der Ferne ab wie eine goldene Linie ins Unendliche. Die Herbstfarben tun ihr Übriges: ein Feuerwerk aus Gelb, Orange und Rostrot, als hätte die Natur extra noch einmal die große Farbpalette rausgeholt.
Eine halbe Stunde lang machen wir nichts anderes, als zu staunen, Fotos zu schießen und uns gegenseitig mit „Schau mal da!“ zu überbieten. Dann, als die Sonne langsam tiefer sinkt und der Himmel in Pastelltönen erstrahlt, treten wir den Rückweg an. Dawson liegt uns wieder zu Füßen – und wir haben das Gefühl, einen dieser magischen Orte gefunden zu haben, die man nie vergisst.

Wir fahren los – vielleicht schaffen wir es heute noch bis zum Tombstone Mountain, wer weiß? Zuerst aber steht die unvermeidliche Camper-Pflicht an: Tanks leeren, Frischwasser auffüllen, Diesel nachtanken. Abenteuer ja, aber bitte mit voller Infrastruktur!
Am Ortsausgang, bei „Dawson City Gas & Tires“, haben wir Glück. Für schlanke fünf Dollar dürfen wir unser Wohnmobil entlasten, den Wassertank randvoll machen und sind damit bestens gerüstet für die große Fahrt. Perfekt, ein Haken auf der To-do-Liste!
Nach einer halben Stunde rollen wir über die kleine einspurige Brücke – das Tor zum legendären Dempster Highway. Endlich! Schon der Name klingt wie ein Versprechen: einsam, wild, endlos. Leider empfängt uns kein Postkartenhimmel, sondern leichter Nieselregen. Aber hey, morgen soll das Wetter besser werden. Und die Fotos vom ersten Abschnitt holen wir dann einfach auf dem Rückweg nach.

Unser heutiges Etappenziel: der Tombstone Mountain Campground bei Kilometer 71. Eingebettet in eine Bergwelt, die mit über 1.000 Metern Höhe majestätisch über dem Tombstone Territorial Park thront. Ein Name wie aus einem Western, aber die Kulisse verspricht mehr als staubige Revolverhelden: Hier warten die wilden Tombstone Mountains.
Der Dempster Highway
Die nördlichste öffentliche Straße Kanadas
Mit 735 Kilometern Länge verbindet der Dempster Highway Dawson City im Yukon mit Inuvik in den Northwest Territories. Er ist damit die einzige Straße, die ganzjährig so weit in den arktischen Norden Kanadas führt – allerdings mit gewissen Einschränkungen: im Winter vereist, im Sommer von Schlaglöchern gespickt, aber immer ein Abenteuer.
Von Hundeschlittenwegen zur Schotterpiste
Der heutige Highway folgt im Wesentlichen alten Hundeschlitten- und Handelswegen der Gwich’in und Inuvialuit. Mit dem Bau wurde bereits 1959 begonnen, die Eröffnung fand aber erst 1979 statt. Die Verzögerungen lagen weniger an der Baukunst, sondern an der Natur: Dauerfrostboden, Permafrost und extreme Wetterbedingungen machten die Arbeiten zu einer Herkulesaufgabe.
Straße über Permafrost
Der Dempster ist auf einem mehrere Meter hohen Schotterdamm gebaut, damit die Hitze im Sommer den Permafrost darunter nicht zum Auftauen bringt. Würde der Boden auftauen, sackt die Straße ab – und das tut sie stellenweise auch. Schlaglöcher und Wellen im Asphalt sind also keine Macken, sondern schlicht der Kampf gegen die Natur.
Keine Tankstellen an jeder Ecke
Benzin und Diesel gibt’s nur in ausgewählten Orten: Eagle Plains (Kilometer 369), Fort McPherson und dann erst wieder Inuvik. Wer die Strecke fährt, sollte also nie mit halbleerem Tank losfahren – und besser noch einen Kanister dabeihaben.
Wildlife-Highway
Elche, Karibus, Bären, Dallschafe und sogar Polarfüchse sind hier keine Seltenheit. Und während man als Autofahrer auf deutschen Landstraßen über Rehe meckert, springt einem hier im schlimmsten Fall ein 300-Kilo-Elch vors Auto.
River Crossings auf Kanadisch
Aktuell endet der Dempster Highway in Inuvik. Die Weiterreise nach Tuktoyaktuk ans Eismeer ist nur per Flugzeug oder über eine Winter-Eisstraße möglich. Im Sommer übernehmen Fähren die Überquerung des Peel River und des mächtigen Mackenzie River, im Winter frieren die Flüsse komplett zu und werden zur improvisierten Fahrbahn.
Inuvik – Ende der Straße
Inuvik ist heute das Ende des Highways – die größte Stadt nördlich des Polarkreises in Kanada. Hier hört die Straße auf, und man hat sprichwörtlich das „Ende der Welt“ erreicht. Der Weiterbau nach Tuktoyaktuk ist zwar schon im Gange, doch noch nicht abgeschlossen. Bis dahin bleibt Inuvik der letzte erreichbare Punkt auf vier Rädern.
Namensgeber
Benannt ist die Route nach dem Dempster Mountain, wiederum benannt nach Sergeant William Dempster, einem RCMP-Polizisten. Er wurde bekannt, weil er 1911 die verschollene „Lost Patrol“ fand, eine Polizeitruppe, die auf dem Weg von Dawson nach Fort McPherson ums Leben gekommen war.
Fun Fact am Rande
Wer die volle Strecke fährt, erhält im Visitor Center in Dawson City oder Inuvik ein offizielles Dempster-Zertifikat – sozusagen ein „Beweis“, dass man diese Legendenstraße bezwungen hat.
Wir haben uns fest vorgenommen, den Dempster bis nach Inuvik zu fahren. Vorab hatten wir bereits Kontakt mit dem Visitor Center – die heiß begehrten Zertifikate für diese Strecke wollten wir unbedingt sichern. Obwohl das Center schon seit zwei Tagen im Winterschlaf ist, hat uns Jennifer zugesagt, die Dokumente vorzubereiten und für uns zu hinterlegen. Ein großartiger Service – Yukon-Style eben.

Um 19:15 Uhr rollen wir schließlich auf den Campground. Es ist noch immer hell, auch wenn die Wolken das Panorama ein wenig verschlucken. Egal. Die Vorfreude auf den morgigen Tag ist riesig. Ich kuschle mich schon ins Bett, während Stefan – wie immer – noch Bilder sichert und unsere Abenteuer archiviert. Der Dempster wartet, und wir können es kaum erwarten, ihm morgen so richtig auf den Zahn zu fühlen.
