Let’s go: Von der Camperübernahme durch die Wüste
bis zur zauberhaften Stadt am See
Juhu – heute ist er endlich da, der große Tag: Unser rollendes Zuhause wartet! Der Jetlag hat uns schon früh aus den Federn geschubst, aber wer will schon schlafen, wenn Abenteuer vor der Tür stehen? Das Haus liegt noch in sonntäglicher Stille, als wir in die Küche schleichen – und da staunen wir nicht schlecht: eine Messer-Auswahl wie aus einem Tarantino-Film. Da fühlt sich selbst der Toast gleich ein wenig dramatischer an.
Frühstück gibt’s natürlich trotzdem: Toast, Schinken, Kaffee, Frischkäse – ein kleines Buffet im Yukon-Stil. Wir genießen den Start in den Tag, während draußen langsam die Sonne über Whitehorse kriecht. Ein paar Mitreisende gesellen sich dazu, ein bisschen Smalltalk, ein paar Lacher – und schon ist die Vorfreude kaum noch zu bändigen.
7:30 Uhr. Noch zweieinhalb Stunden bis zum Shuttle. Stefan sitzt wie ein gewissenhafter Copilot an seiner To-Do-Liste: Fotos sichern, Navi startklar machen, Technik checken. Ich dagegen beschließe spontan, noch ein wenig auf Schatzsuche zu gehen. Whitehorse ist schließlich voller kleiner Überraschungen.
Und siehe da: Starbucks und Walmart liegen nur durch einen riesigen Parkplatz getrennt. Dazwischen? Vierzehn Camper in allen Größen – echtes „Walli-Docking“ live und in Farbe. Ich gönne mir erstmal einen Pumpkin Spice Latte (man will ja ankommen wie eine richtige Nordamerika-Touristin), telefoniere kurz nach Hause und spaziere dann rüber zum Walmart.
Starbucks Whitehorse
Der Superstore wird in den Foren immer hochgelobt, aber Walmart hat seinen ganz eigenen Charme. Zwar ist die Lebensmittelabteilung kleiner, aber der Rest ist ein Paradies. Und zack – erstes Schnäppchen des Trips: Drei Schlafanzüge für unseren Enkelsohn, zusammen gerade mal 15 Dollar. Man kann mich ab jetzt also auch als Offiziellen-Outfitter für kleine Nachteulen buchen.
Um 9:30 Uhr bin ich zurück, Stefan ist fertig, alles läuft nach Plan. Wir setzen uns draußen hin, brav wie zwei Kinder, die auf den Schulbus warten. 9:45 Uhr. 10:00 Uhr. 10:15 Uhr. Nichts. Ich rufe sicherheitshalber bei Fraserway an: „Kommt da noch was?“ Antwort: „Ja, die Fahrerin verspätet sich, weil andere Gäste trödeln. In zehn Minuten sind sie da.“ Aha.

10:30 Uhr rollt der Bus dann endlich an, und um 10:35 Uhr fahren wir fröhlich bei Fraserway auf den Hof. Bereit für den Moment, in dem aus zwei Touristen ein Camper-Team wird.
Kein Warten, kein Papierstau – Claudia von Fraserway erledigt die Formalitäten, als hätte sie das alles schon ein paar tausend Mal gemacht (Spoiler: hat sie). Ein paar Unterschriften, ein freundliches Lächeln, und dann steht sie auch schon mit uns vor dem, was in den nächsten zweieinhalb Wochen unser rollendes Zuhause sein wird. Und da ist er: unser Truck Camper, glänzend, groß und ein bisschen einschüchternd.
Fraswerway Truck Camper
Die Einweisung? Eine halbe Stunde und wir fühlen uns, als hätten wir gerade ein Turbo-Studium „Wohnmobil für Anfänger“ abgeschlossen. Küche, WC, Dusche, Heizung, Propan-Tanks, Zu- und Abwasser, Stauräume, Axt (!), Campingstühle – die Checkliste ist länger als ein IKEA-Aufbauplan, aber Claudia erklärt alles mit stoischer Geduld. Stefan nickt eifrig, ich nicke halbwegs überzeugt, und innerlich hoffe ich, dass er sich die ganzen Schalter- und Hebel-Kombinationen wirklich merkt. Das Kennzeichen grinst uns mit einem frechen „Let’s go“ an – na dann: Challenge accepted.

Wir starten voller Tatendrang, biegen zweimal rechts ab – und finden uns … auf dem Walmart-Parkplatz wieder. Willkommen in der Realität des Roadtrips: Erstmal Vorräte bunkern, Abenteuer kann warten.
Eine halbe Stunde später und mit einem kurzen McDonald’s-Stopp zur Stärkung stapeln wir unsere Beute im Camper: Frühstückszutaten, Getränke, Toilettenpapier, Einweggeschirr und ein paar spontane „Das könnten wir mal brauchen“-Artikel. Der Pickup schluckt alles mit einem gähnenden „Na, war das schon alles?“ – auf der Rückbank reihen sich zwei Hartschalenkoffer, zwei Handgepäckstrolleys und ein Berg voller Tüten wie auf einem Tetris-Level, das wir souverän gemeistert haben.
Weil wir’s können, legen wir gleich noch einen Stopp bei „Save On Foods“ ein, einem schicken, nagelneuen Supermarkt direkt gegenüber. Hübsch sortiert, glänzende Regale – und Preise, die uns daran erinnern, dass Kanada kein Schnäppchenparadies ist. Trotzdem schnappen wir uns ein paar Extras fürs Frühstück und verlassen den Laden mit der Gewissheit: So viel Platz im Camper und trotzdem schon wieder randvoll.
Alles klar – Vorräte gebunkert, Kühlschrank gefüllt, McDonald’s verdaut. Jetzt kann es wirklich losgehen. Roadtrip, wir sind sowas von bereit!
Da wir den Camper so früh in Händen halten, bleibt noch genügend Zeit für einen Abstecher ins Abenteuer. Also nix wie los zum Miles Canyon, gerade mal ein paar Minuten von Whitehorse entfernt. Die Straße dorthin ist so unspektakulär, dass man fast glaubt, man sei falsch abgebogen – bis plötzlich die Robert-Lowe-Bridge auftaucht: eine filigrane Hängebrücke, die sich mutig über den tosenden Yukon River spannt.

Wir betreten das wackelige Schmuckstück, und sofort dröhnt das Wasser unter uns wie ein Bassverstärker auf voller Lautstärke. Auf der anderen Seite lockt der Yukon River Loop Trail, ein kleiner, feiner Rundweg. Und was für ein Panorama! Das Wasser schimmert in einem Smaragdgrün, das fast schon nach Photoshop aussieht, flankiert von dunklen Felsen und sattgrünem Wald. Ein Bild wie aus einem Märchen – nur mit mehr Mücken.
Wir schlendern über den Trail, lassen uns von der Szenerie einfangen und fühlen uns, als hätten wir gerade einen geheimen Schatz entdeckt. Nach einer halben Stunde sind wir zurück an der Brücke, und als wäre es Regiearbeit von ganz oben, ziehen dunkle Wolken auf. Der Himmel wirkt plötzlich wie eine schlecht gelaunte Theaterkulisse – bereit für den großen Regenvorhang.
Kaum sind wir wieder auf dem Alaska Highway, fängt es an zu tröpfeln – nicht viel, eher so eine sanfte Generalprobe für das, was gleich kommen könnte. Nach einer halben Stunde erreichen wir die Kreuzung zum Klondike Highway, biegen ab, und dann liegt er plötzlich vor uns: der Emerald Lake. Ein Farbtupfer inmitten der Wildnis, so grün, dass man meint, jemand hätte einen Eimer Farbe hineingeschüttet.

Natürlich halten wir an der kleinen Parkbucht – und packen gleich unser neues Spielzeug aus: die Drohne. Schließlich wollen wir nicht nur den klassischen Touri-Schnappschuss, sondern gleich die volle „Vogelperspektive Deluxe“. Kaum hebt das Teil ab, sehen wir auf dem Display Bilder, die fast schon kitschig wirken – smaragdgrünes Wasser, eingerahmt von Bergen, die sich wie Wachtposten rundherum aufstellen. Ein Moment, in dem man vergisst, dass man eigentlich nur ein paar Meter neben der Straße steht.

Doch kaum läuft die Kamera, zieht der Regen nach. Wir retten uns ins Wohnmobil, während draußen die Tropfen trommeln, und ich nutze die Zwangspause für eine der romantischsten Camper-Aktivitäten überhaupt: Koffer ausräumen und Klamotten in Schränke sortieren. Herrlich. Nach einer halben Stunde ist alles verstaut, der Regen abgezogen, und als Belohnung zeigt sich wieder ein Stückchen blauer Himmel.
Also raus, Kamera gezückt, noch ein paar letzte Fotos von diesem Postkartenmotiv in 3D – und weiter geht’s. Der Roadtrip ist noch jung, und die Wildnis hat definitiv noch ein paar Asse im Ärmel.
Emerald Lake
Nach einer halben Stunde ist das Wohnmobil offiziell eingeweiht: Koffer leer, Schränke voll, Ordnung hergestellt.Kaum ist die letzte Socke verstaut, hat auch der Regen die Bühne verlassen, und die Sonne wagt wieder einen Auftritt. Perfektes Timing. Wir springen raus, knipsen noch ein paar letzte Fotos vom Emerald Lake in seiner kitschig-schönen Smaragd-Pracht, und dann heißt es wieder: Motor an, Roadtrip-Modus aktiviert.
Die Straße zieht uns weiter hinein in eine Landschaft, die gefühlt alle fünf Minuten ihr Gesicht wechselt. Mal sind es sanfte Hügel, dann wieder schroffe Berge, die immer höher wachsen, als wollten sie prüfen, wie sehr wir den Nacken in den Himmel recken können. Täler verengen sich, Flüsse schlängeln sich silbrig durch die Landschaft, und wir sitzen vorne in der Loge – ein endloses Naturkino, das kein Mensch besser inszenieren könnte.

Und dann, kurz vor Carcross, kommt der große WTF-Moment: die Carcross Desert. Die „kleinste Wüste der Welt“ – 2,6 Quadratkilometer, also eher die Größe eines Freizeitparks als einer Sahara. Aber trotzdem: Wir stehen da, mitten in den Bergen, zwischen dichten Tannen, und plötzlich liegt da ein Sandkasten deluxe. Dünen, wohin das Auge schaut, als hätte jemand den Yukon kurz mit einer Schippe Arizona dekoriert.

Natürlich ist das Ganze streng genommen gar keine richtige Wüste – viel zu feucht hier. Aber wen interessiert schon Meteorologie, wenn man in Kanada plötzlich das Gefühl hat, gleich könnte ein Kamel um die Ecke trotten? Tatsächlich sind es uralte Sedimente eines Eiszeitsees, die der Wind hier so kunstvoll drapiert hat. Das Ergebnis: eine Szenerie, die irgendwo zwischen Postkartenmotiv und Science-Fiction-Filmkulisse pendelt.
Die Mischung aus sandigen Hügeln, tiefgrünen Wäldern und schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund ist so schräg, dass wir fast erwarten, dass gleich ein Regisseur „Cut!“ ruft. Aber nein – das hier ist echt. Yukon eben, wo die Natur manchmal ihre ganz eigene Logik hat.

Carcross – schon der Name klingt nach Wildnis und Abenteuer. Eigentlich heißt es „Caribou Crossing“, benannt nach den riesigen Karibuherden, die hier früher durch die Seengegend zogen. Heute sind die Tiere weitgehend verschwunden, aber der Name blieb – nur etwas eingedampft. Klingt knackiger, wie ein Spitzname, den man nach ein paar Bier in der Dorfkneipe bekommt.
Als wir eintreffen, legt der Himmel die Regenkulisse auf. Kein dramatischer Wolkenbruch, eher so ein „Ihr seid hier willkommen, aber bleibt nicht zu lange“-Niesel. Die Saison ist praktisch vorbei, und Carcross wirkt wie eine Bühne nach der letzten Vorstellung: Lichter gedimmt, Vorhänge zu, das Publikum längst weg. Nur das kleine Visitor Center hat noch geöffnet. Drinnen frage ich nach, ob es irgendwo noch etwas Warmes zu essen gibt. Antwort: „Im Dorf? Leider nein.“ Aber zehn Minuten zurück auf dem Klondike Highway gäbe es ein Roadhouse – dort soll man noch fündig werden.
Gesagt, getan. Kurz darauf stehen wir am Spirit Lake Wilderness Resort und staunen: wir sind die einzigen Gäste. Ein ganzes Roadhouse für uns allein – fast wie in einem Western, nur ohne Schießerei am Ende. Dafür aber mit Chicken Wings und Burgern, die uns schneller serviert werden, als wir „Medium Rare“ sagen können. Dazu ein Yukon Gold, frisch aus der Brauerei in Whitehorse, und der Tag ist gerettet.

Der Regen prasselt leise draußen, drinnen duftet es nach Bratfett und Abenteuer, und wir fühlen uns pudelwohl. Allein auf weiter Flur, aber bestens versorgt – genau so hatten wir uns unseren ersten richtigen Abend on the road vorgestellt.
Spirit Lake Wilderness Resort
18 Uhr. Die Wolken haben sich verzogen, die Landschaft liegt in einem sanften Abendlicht, als hätte jemand im Hintergrund den „Golden Hour“-Schalter umgelegt. Wir parken unseren Truck-Camper am Rand und beschließen, Carcross zu Fuß zu erkunden. Warum den Motor laufen lassen, wenn die Szenerie schreit: „Lass uns durch die Kulisse spazieren!“
Gleich ins Auge sticht der kleine Bahnhof – ein echtes Relikt aus den Tagen, als hier noch Dampfloks schnauften und Goldsucher ihre Hoffnungen auf Waggons verluden. Gleich daneben: Matthew Watson’s General Store, der älteste Laden des Yukon, der so aussieht, als könnte jederzeit ein Goldgräber mit dreckigen Stiefeln und klimpernden Nuggets durch die Tür poltern.

Doch heute? Totenstille. Die Straßen liegen leer, die Läden sind verriegelt, und Carcross hat sich bereits in den Winterschlaf verabschiedet. Wir sind die Einzigen, die durch die Szenerie schlendern. Keine Autos, keine Stimmen, nur unsere Schritte und das Knarzen des alten Holzplankenwegs. Die ganze Szenerie wirkt fast mystisch – als hätten wir aus Versehen ein Zeitportal betreten und stünden plötzlich mitten in einer Postkarte von anno dazumal.
Es ist diese eigenartige Mischung aus verlassener Schönheit und wohligem Grusel, die Carcross an diesem Abend so besonders macht. Kein Touristenrummel, kein Lärm, nur wir und ein Dorf, das seine Geschichten für sich behält. Und genau das macht diesen Moment unvergesslich.
Die Stille von Carcross noch im Ohr und eine Speicherkarte voller Eindrücke im Gepäck, treten wir die letzte Etappe des Tages an. Nur 15 Minuten dauert der Weg, doch er reicht, um uns in eine völlig neue Szenerie zu versetzen. Die Straße schmiegt sich ans Ufer des Nares Lake, bevor sie uns zum Campground am Tangish Lake führt – und hier wartet unser Stellplatz Nummer 17 wie für uns reserviert.
Ein schmaler Trampelpfad schlängelt sich vom Camper direkt zum Wasser, als hätte jemand extra für uns einen privaten Zugang zur Abendidylle angelegt. Der See liegt da wie frisch poliert, die Berge spiegeln sich im sanften Dämmerlicht, und über allem breitet sich diese stille, nordische Gelassenheit aus, die einem unwillkürlich die Schultern sinken lässt.
Conrad Campground
Doch so schön der Anblick auch ist – der Tag war lang. Stefan versinkt noch im Technikmodus und sichert akribisch unsere Fotos, während ich mich schon vorsichtig in unsere neue Höhle zurückziehe. Erste Nacht im Truck Camper – Abenteuer oder Luftmatratzen-Fiasko? Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen.
Mit einem letzten Blick hinaus, wo der Tangish Lake wie ein Spiegel unter dem Nachthimmel ruht, lasse ich mich vom Summen der Natur in den Schlaf wiegen. Gute Nacht, Tangish Lake – wir sehen uns morgen im Morgenlicht.
