Abflug gestrichen, Abenteuer gestartet
Ausflug nach Wien auf Umwegen

Eigentlich sollte alles ganz einfach sein: Ryanair, 26. Juli 2019, 21:45 Uhr Abflug, 23:00 Uhr Landung in Wien. Nur ein kurzer Hüpfer, fast schon eine Flugzeugfahrt für Anfänger – perfekt für unseren kleinen Noah, der noch nie geflogen war und vor Aufregung beinahe selbst abgehoben hätte. Die Mini-Reise war geplant wie ein Espresso-Shot: ein ganzer Samstag und ein halber Sonntag in Wien, Rückflug am 28. Juli um 13:15 Uhr. Kurz, knackig, kindertauglich. Und dann kam Ryanair.

Los gehts

Freitagnachmittag, Essingen-Mettingen. Wir gehen mit gepackten Koffern zur Bushaltestelle, Noahs Augen glänzen wie das Kabinenlicht auf Sitzplatz 17A. Der Plan: Mit dem Bus nach Esslingen, dann per Flughafenbus weiter nach Stuttgart Airport. Alles läuft – noch.

Am Flughafen: das übliche Chaos am Check-in. Die Schlange windet sich wie ein labyrinthisches Level in Tetris, aber wir sind guter Dinge. Noah klammert sich stolz an seinen Buggy wie an einen Ehrenplatz im Cockpit. “Wie läuft das mit dem Buggy?” – “Einfach hinten anstellen, kein Problem.” Soweit die Theorie.

Mit dem Bus zum Flughafen

Und dann: Zack. Flug gecancelt. Ohne Vorwarnung. Während dem Check-In. Einfach so. Keine Durchsage, kein Trommelwirbel, kein Plan B. Nur entgeisterte Gesichter und ein ganz kleiner Noah, der die Welt plötzlich nicht mehr versteht. Er hatte sich doch so gefreut. Statt Flughimmel nur Bahnhof. Oder in unserem Fall: Mit S-Bahn zurück nach Hause. Während wir in der Bahn sitzen, fragt man sich unweigerlich: Ist DAS jetzt Urlaub? Mit dem Bus zum Flughafen, mit der S-Bahn wieder heim? Wenn man dreieinhalb ist, vielleicht schon. Wenn man Gabi heißt – sicher nicht.

Ich blicke auf die Koffer. Die sind gepackt. Und zwar nicht für einen S-Bahn-Ausflug zurück in den Alltag. Ich schaue Stefan an. Stefan schaut mich an. Nadine und Oli sitzen gegenüber, beide noch still, aber mit dieser speziellen „Wir wissen, was jetzt kommt“-Energie im Blick. Ein kurzer Moment Stille. Dann sage ich das, was allen auf der Zunge liegt – wie ein Befreiungsschlag nach dem Boarding-Schock: „Wir fahren. Mit dem Auto. Nach Wien.“ Ein ganzer Flug gecancelt? Uns doch egal. Wir steigen jetzt einfach in meinen Golf und machen das Ding auf eigene Faust.

Zuhause angekommen – also dem Ort, den wir heute eigentlich nur als Abfahrtsrampe Richtung Wien betrachtet hatten – geht plötzlich alles ganz schnell: Nadine springt los und holt in der Wohnung noch ein paar Vorräte, denn jetzt haben wir ja wieder Platz. Stefan holt den Autoschlüssel, tankt voll, während Oli schon mal Das Navi mental die Nachtschicht vorbereitet.

Und dann: Rein in den Golf – zum Glück war das noch mein Geschäftswagen (Kilometer: egal) – und los. Klingt einfach, war es aber nicht. Denn ein Golf ist nicht gerade ein Auto, mit dem man zu fünft verreist. Schon gar nicht mit Kindersitz. Noah sitzt also angeschnallt und tiefenentspannt in seinem Thron der Sicherheit, während Oli und ich uns auf der Rückbank abwechselnd an die Lehne lehnen dürfen – mehr Raum war einfach nicht drin. So ein Roadtrip fördert nicht nur den Teamgeist, sondern auch die Rückenmuskulatur.

Es ist gegen 21 Uhr, als wir losfahren – quer durch die Nacht, mit einem einzigen Ziel: Vignette kaufen. Und zwar rechtzeitig. 23:59 Uhr. Eine Raststelle kurz vor der Grenze. Letzter Notnagel für unsere Pickerl-Rettung. Ich springe rein, die Kassiererin schon mit einem Fuß in der Freizeit, ich reiche das Geld durch – und um 0:00 Uhr schließt die Bude. Punktlandung. Der erste echte Reise-Moment mit Adrenalin – ganz ohne Flughafen, aber mit dem Flair einer James-Bond-Verfolgung, Vignetten-Edition.

Danach? Ferienbeginn, Autobahn, Balkan-Express-Feeling pur. Wir mittendrin. Ein Meer aus Rücklichtern, übernächtigten Familienvätern und hupenden Kleintransportern. Irgendwann gegen vier Uhr morgens erreichen wir Wien. Müde, verbeult (also wir – nicht der Golf), aber irgendwie glücklich. Zum Glück hatten wir schon bei der Unterkunft angerufen – Check-in um 4 Uhr morgens? Kein Problem. Wien ist da schmerzfrei.

Appartement Pension 700m zum Ring

Noah? Der hat im Auto geschlafen wie ein Stein. Nur um um 6 Uhr putzmunter aufzuwachen – frischer als ein Wiener Kipferl. Ich schnappe ihn mir, wir zwei machen Wien für uns auf, während der Rest versucht, wenigstens drei Stunden Schlaf zu bekommen.

Wir finden einen Bäcker. Frühstücksduft liegt in der Luft. Ich trage Kaffee, Brötchen und Lebensfreude zurück ins Apartment. Um acht Uhr klopfe ich mit einem Grinsen an die Zimmertüren. “Frühstück ist da. Wien wartet nicht.” Und so begann unser spontanster Städtetrip aller Zeiten – ganz ohne Flieger, aber dafür mit einer Geschichte, die so schnell keiner nacherzählt.

8 Uhr morgens, Wien. Zwei Stunden Schlaf auf dem Zähler, dafür einen Espresso im Herzen – wir sind bereit. Oder zumindest aufrecht. Noah? Der ist wach seit sechs und bereits warmgelaufen wie ein Duracell-Hase auf Wiener Pflaster. Also los: erste Station – die Votivkirche, direkt ums Eck von unserem Apartment. Majestätisch ragt sie in den bewölkten Himmel, fast so, als wollte sie uns sagen: „Seht her, ihr habt es doch noch geschafft.“ Und ja, das haben wir.

Von dort ging’s zu Fuß Richtung Innenstadt. Ein bisschen Sightseeing, ein bisschen Schaufensterbummel, ein bisschen „Achtung, Pferdekutsche!“ – Wien eben.

Vorbei an der Hofburg, an Prachtbauten mit goldenen Figuren und Löwenköpfen, über holprige Pflasterstraßen in die Fußgängerzone. Noah hüpft fröhlich durch Pfützenreste vom Vortag, Nadine zückt das Handy für Fotos, und Oli ist mental bereits beim Mittagessen – in Form von Sachertorte.

Alos zuerst: Kaffeehauskultur. Und zwar die echte. Wir sichern uns mittags einen Tisch im Hotel Sacher. Nicht für sofort – nein, für Punkt 12 Uhr. Damit wir später an der kilometerlangen Schlange vorbei stolz wie Kaiser Franz einmarschieren können. Die Wartenden, hauptsächlich asiatische Touristen, werfen uns Blicke zu, als wären wir die VIPs des Hauses – was uns nicht davon abhält, sofort Viet mal Sachertorte zu bestellen und uns durch die Wiener Kaffeekarte zu probieren: Einspänner, Melange, Franziskaner – wer braucht schon eine Flugreise, wenn man sich auch durch Heißgetränke teleportieren kann?

Frisch gestärkt setzen wir unseren Bummel durch die Innere Stadt fort. Wir flanieren durch historische Gassen, Noah reitet auf Olis Schultern durch den Stephansdom, der in seiner gotischen Wucht selbst nach durchwachter Nacht noch beeindruckt. Innen golden, prunkvoll, und mit einem Touch von feierlicher Stille.

Auf dem weiteren Weg legen wir noch einen Zwischenstopp im Hard Rock Café ein – der Pflichttermin für unsere Souvenirjäger-Familie. Gitarren, Drumsticks, ein bisschen Rock ’n’ Roll – und Noah, der mit seinem neuen Shirt aussieht wie ein Mini-Roadie auf Tour. Um 16:30 Uhr dann der (vorerst) krönende Abschluss: Figlmüller. Die Schlange? Wieder elend lang. Doch wir? Wieder clever mit Reservierung. Keine zehn Minuten später sitzen wir in einem urigen Lokal, vor uns Schnitzel in Übergröße, die locker als Picknickdecke durchgehen könnten. Stefan und Oli nicken anerkennend, Nadine zückt wieder das Handy – diesmal für das wohl meist fotografierte Schnitzel Wiens.

Aber Schluss war damit noch lange nicht. Denn wir wären ja nicht wir, wenn wir nicht auch den Nachmittag zur Abenddämmerung noch vollpacken würden. Und so stiegen wir – angenehm schwer und leicht paniert – in den Bus Richtung Schloss Schönbrunn. Einmal Märchenkulisse bitte. Zuckerbäckerfassade, goldene Fenster, Gärten wie mit dem Lineal gezogen. Ja, Wien weiß, wie man Eindruck macht.

Wir besichtigten das Schloss – allerdings nur von außen, was der Pracht keinerlei Abbruch tat. Diese Dimension! Diese Symmetrie! Diese Anzahl an Fenstern, bei der jeder Putzplan scheitert. Wir flanierten durch die barocken Gartenanlagen, spazierten unter streng frisierten Baumkronen entlang und ließen den Blick über die große Mittelachse schweifen, als wären wir selbst Teil einer historischen Doku. Noah rannte währenddessen sämtliche Marmortreppen hoch und wieder runter, mit der Anmut eines energiegeladenen Kaisersohns im Bewegungskindergarten. Seine Kondition? Unverschämt gut. Unsere? Eher auf “Wo ist hier der nächste Parkbankthron?”-Niveau.

Die untergehende Sonne tauchte das Schloss in warmes Licht, als hätte sich ganz Wien für diesen einen Abend nochmal herausgeputzt. Es war der perfekte Abschluss eines Tages, der eigentlich so gar nicht geplant war – und gerade deshalb so besonders wurde.

Erst als der Himmel langsam dunkler wurde und Noahs Tempo erstmals unter 120 bpm fiel, setzten wir uns wieder in den Bus. Zurück ins Apartment. Zurück in die Realität. Zurück in die horizontal mögliche Schlafposition. Ein Tag Wien – gefühlt in doppelter Geschwindigkeit. Von abgesagtem Flug zu goldenen Fassaden, von Votivkirche bis Sacher, vom Hard Rock Café bis Figlmüller und dann noch Schönbrunn im Abendlicht.

Fazit Tag 1: müde. aber glücklich. und ein bisschen stolz, wie viel man in einen Tag packen kann.

Schloß Schönbrunn

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert