Start in den wilden Norden
Auf dem Weg zum Dempster Highway durch Feuer und Flammen

Der Tag beginnt früh – nicht, weil der Wecker nervt, sondern weil unsere innere Abenteueruhr auf Nordmodusgeschaltet hat. Und unser erster Gedanke ist weder poetisch noch tiefsinnig. Er heißt: Kaffee. 7:00 Uhr. Wir sind erstaunlich wach (was am Jetlag, kombiniert mit Yukon-Zauber liegt) und marschieren motiviert ins hauseigene Restaurant unseres Hotels: „Legend’s Smoke House & Grill“ – der Name allein klingt schon nach Frühstücks-Mythos mit Bacon-Garantie.

Und was sollen wir sagen? Kaum betreten wir den Raum, schlägt uns eine Duftwolke entgegen, die irgendwo zwischen „Sonntags bei Oma“ und „Truckerparadies“ pendelt: frisch gebrühter Kaffee, brutzelnder Speck, leicht süßlicher Sirup in der Luft. Wenn es ein Parfum namens „Kanadischer Morgen“ gäbe – das hier wäre der Prototyp.

Ein gut gelaunter Kellner – Typ „freundlicher Bärenflüsterer“ – begrüßt uns mit einem Lächeln, das selbst Morgenmuffel entwaffnet, und serviert zwei dampfende Tassen Kaffee, die mehr Wirkung haben als jede Motivationsmail. Wir lassen den Blick über die Karte schweifen – aber eigentlich ist schnell klar, was heute auf den Tisch kommt: Für mich das „Legend Breakfast“, für Stefan – wenig überraschend – die große Keule: „The Big Legend Breakfast“. (Er behauptet, das sei „strategische Kalorienzufuhr vor dem Abenteuerstart“. Ich glaube, er will einfach Bacon. Viel Bacon!)

Was dann kommt, ist kein Frühstück. Das ist ein Statement.

Ein ganzer Brunch in XXL: Pancakes, luftig wie Bergwolken. Rührei, butterweich. Bacon in Perfektion – knusprig, salzig, sündig gut. Dazu noch mehr Bratkartoffeln und natürlich Toast. Wenn das kein Start in einen legendären Tag ist, weiß ich auch nicht. Wir genießen jede Gabel. Kein Wort, nur zufriedenes Kauen, ab und zu ein zustimmender Blick über die Kaffeetasse hinweg. Der Kellner sieht’s, nickt, und schenkt ohne zu fragen nach – Kaffeekultur, wie sie sein sollte. Nach dem letzten Bissen ist klar: Wir sind bereit. Gut genährt, leicht überfuttert, aber bereit.

Es bleibt noch etwas Zeit bis zur Camper-Übernahme, also drehen wir eine kleine Runde – Whitehorse im Morgenlicht, das ist wie ein guter Prolog. Die Straßen noch verschlafen, die Luft frisch und klar, als hätte die Natur einmal ordentlich durchgelüftet. Bunte Holzhäuser, flatternde Flaggen, und der dezente Geruch von Holzrauch und Abenteuer.

Eigentlich hatten wir geschworen, uns das Getränkeschleppen zu sparen. Die Idee war simpel: Erst den Camper übernehmen, dann in aller Ruhe den Wassertank füllen und im Supermarkt nebenan den Wagen mit Cola, Wasser und Co. vollladen. Ganz entspannt, ganz clever. Aber dann – dieser Supermarkt.

„Independent“, kaum 100 Schritte vom Hotel entfernt, öffnet um Punkt 8 Uhr seine Türen – und schickt uns ein verlockendes Signal: „Kommt rein, ihr Abenteurer. Ich hab kalte Getränke und kurze Wege.“ Der Plan? Spontan über Bord geworfen. Denn zwei Stunden vor Abholung durch CanaDream ist genau genug Zeit für eine logistische Heldentat. Jetzt oder nie! Lieber jetzt ein paar Flaschen schleppen, als später im Camper plötzlich auf trockene Vorräte blicken – der Gedanke an lauwarmes Yukon-Leitungswasser als Dinnerbegleitung ist Motivation genug.

Der Laden ist ruhig, die Gänge leer, das Licht noch etwas müde – aber das Angebot steht. Wasser in allen Größen, Cola in Mengen, bei denen selbst Stefan kurz fragt: „Nehmen wir das alles wirklich mit?“ Natürlich nehmen wir. Denn Wildnis ohne Koffein ist ein Risiko, das wir einfach nicht eingehen wollen. Der Einkauf geht fix, die Arme sind kurzzeitig länger, aber das gute Gefühl überwiegt: Wir sind vorbereitet. Keine Notfallstopps, kein Durst-Drama. Wenn morgen irgendwo zwischen Eisbär und Elch der große Durst zuschlägt, sind wir die mit der Cola.

Zurück im Hotel verstauen wir alles griffbereit – und werfen einen letzten Blick auf die Uhr. Noch 30 Minuten bis zum CanaDream-Shuttle. Der Puls steigt leicht, das Kribbeln wird konkreter. 9:45 Uhr. Pünktlich wie ein Elch zum Abendbrot rollt der CanaDream Shuttle-Bus auf den Hotelparkplatz. Der Fahrer? Ein echtes Original.

Typ: Yukon-Veteran mit der Herzlichkeit eines Lagerfeuers und der Energie eines Kettensägen-Wettbewerbs. Sein Begrüßungsprogramm beginnt noch bevor wir angeschnallt sind – mit einem Dauerlächeln, einem festen Händedruck und einem Schwall an Tipps, bei dem selbst Google Maps neidisch würde. Sein Favorit? „Save on Foods“. Ein Supermarkt, von dem er spricht, als sei es eine kulinarische Pilgerstätte. „Bestes Angebot, beste Preise, und die Backwaren – mein lieber Schwan!“

Wir nicken eifrig und murmeln etwas von „Klingt gut, müssen wir unbedingt hin“, behalten aber für uns, dass unser Kühlschrank bereits prall gefüllt ist und wir unsere Getränkeration gestern durch die Gegend geschleppt haben wie zwei Teilnehmer einer Yukon-Challenge. Warum seinen Enthusiasmus bremsen? Der Mann hat offensichtlich Spaß – und wir mittlerweile auch.

Die Fahrt ist kurz, aber keinesfalls langweilig. Der erste geplante Zwischenstopp: Whitehorse Airport. Dort sollen zwei weitere CanaDream-Kunden zusteigen. Die Frau steht schon da, Koffer im Schlepptau, bereit fürs Abenteuer. Nur – der Mann fehlt. Die Erklärung? Er sei nur schnell tanken gefahren, wolle das Mietauto abgeben und „noch ein paar Dinge erledigen“. Was klingt wie der Einstieg in eine Sitcom, entwickelt sich zur realen Wartesituation im Shuttle-Bus. Minuten vergehen, unser Fahrer bleibt höflich, aber die businterne Spannung steigt leicht. Was tut man nicht alles, wenn man mit einem Fremden, einem Koffer und dem mystischen Versprechen „Er kommt gleich“ festsitzt. Doch unser Fahrer, ein Profi in Sachen Yukon-Logistik und Improvisationskunst, trifft eine pragmatische Entscheidung: „Ich bring euch erstmal zum Depot. Dann komm ich nochmal zurück.“

CanaDream, Whitehorse

Wir nicken, sie nickt, selbst der Koffer wirkt erleichtert. Die Stimmung bleibt erstaunlich gelassen. Denn sind wir mal ehrlich: Wer einen dreiwöchigen Roadtrip durch Alaska und den Yukon plant, muss mit sowas rechnen. Improvisation ist Teil des Spiels. Und solange wir im warmen Bus sitzen und der Fahrer Geschichten erzählt, ist noch alles im grünen Bereich. Wir lehnen uns zurück, werfen einen letzten Blick auf die sich entfernende Stadt – und wissen:

Jetzt wird’s ernst. CanaDream erwartet uns. Unser rollendes Zuhause steht bereit. Und der Roadtrip? Der klopft schon an die Bustür. Die Fahrt vom Flughafen zum CanaDream-Depot ist so kurz, man könnte sie auch als Parkplatz-Überquerung mit Ausblick bezeichnen. Einmal links, einmal rechts, über die Straße – zack, da sind wir. Um Punkt 10 Uhr stehen wir auf dem Hof, bereit für unser Abenteuer. Das Timing? Trotz „verlorenem Ehemann“ aus der Shuttle-Episode: perfekt. Doch die Vorfreude bremst kurz. Die Einweisung ins Fahrzeug erfolgt nur einmal – und zwar für alle gemeinsam. Heißt im Klartext: Warten auf das mysteriöse Flughafenpaar. Also stehen wir da, halb im Schatten eines Pick-ups, halb auf glühenden Kohlen – während irgendwo ein Mann wahrscheinlich noch nach dem Tankdeckel sucht.

10:30 Uhr. Der Shuttlefahrer kehrt zurück – diesmal mit vollständigem Pärchen, das so tut, als sei nichts gewesen. Kein Problem, wir sind ja abenteuererprobt. Und in Wahrheit beginnt das Yukon-Gefühl genau hier: Improvisation gehört zum Plan. Jetzt aber los. Die Papierarbeit ruft. Und sie ruft laut. Ein Mitarbeiter – professionell, aber mit leichtem Versicherungsverkäufer-Vibe – legt los: Zusatzversicherung hier, Reinigungsservice dort, ein Paket für 110 Dollar, das irgendwie alles abdeckt außer Elchkollisionen. Wir bleiben standhaft. Denn wir wissen, was wir tun. Erfahrene Camper, zweite Tour durch Kanadas Weiten – da kann man Angebote auch mal freundlich ablehnen, ohne in Panik zu verfallen. Nach gefühlten fünf Unterschriften pro Reifen ist der Papierstapel erledigt. Und dann endlich: Begegnung mit der Legende.

Truck Camper Maxi

Vor uns steht er – unser Truck Camper, liebevoll „Beast“ getauft vom Shuttlefahrer. Ein Ford F350 mit mächtigen Offroad-Reifen, die aussehen, als hätten sie den Dempster Highway schon fünfmal im Rückwärtsgang bezwungen. Ein Biest von einem Fahrzeug. Majestätisch, dunkelblau/weiß, bullig – der Optimus Prime unter den Campern. Die Einweisung erfolgt im Crashkurs. Gas, Strom, Wasser, Chemie-WC, Heizung, Licht – die Liste ist lang, die Infos prasseln auf uns ein wie Schneeschauer in Dawson City. Doch der Mitarbeiter bleibt geduldig, erklärt alles verständlich – kein Fachchinesisch, nur klarer Camper-Sprech.

Truck Camper Maxi

Nach einer halben Stunde ist klar: Wir wissen, wie das Ding funktioniert. Mehr oder weniger. Notfalls googeln wir. Oder rufen Beast persönlich. Dann der Rundgang. Einmal im Uhrzeigersinn, jede Delle, jeder Steinschlag, jeder Kratzer wird dokumentiert wie Beweisstücke in einem Krimi. Warum der Aufwand? Weil CanaDream bei der Rückgabe offenbar auf „Showroom-Zustand“ setzt. Und wir wissen: Nach 3 Wochen Yukon kann auch der Lack mal eine Geschichte erzählen.

Vergleich mit Fraserway? Die Übergabe vor zwei Jahren war dort entspannter, weniger druckvoll, was Zusatzkosten und Mikrokratzer betraf. Aber: CanaDream ist professionell. Sehr sogar. Alles wirkt durchdacht, gut organisiert – nur eben mit einem Hauch „Bitte beschädigen Sie nichts, was teurer ist als Ihre Reisekasse“. Doch dann reicht ein Blick. Ein Blick auf Beast. Und alles andere ist vergessen. Dieses Fahrzeug schreit nach Dempster, nach Gravel, nach Wildnis. Die Reifen brummen leise, als wollten sie sagen: „Na los, traut euch.“

Truck Camper Maxi

Wir steigen ein, und das Cockpit fühlt sich an wie die Kommandozentrale eines Raumgleiters mit Kühlschrank. 11:45 Uhr, zurück am Yukon Inn. Unsere Koffer und Einkäufe warten brav, als hätten sie schon geahnt, dass ihr neues Zuhause auf vier Rädern rollt. Gemeinsam laden wir alles ein, verstauen, sortieren, sichern – und um Punkt 12:01 Uhr checken wir aus. Der Zeitplan sitzt. Die Vorräte sind verstaut. Der Motor schnurrt.
Jetzt kann’s losgehen.

Ein Biest von einem Camper, zwei Menschen mit Fernweh – und ein Roadtrip, der alles verspricht. Ab hier beginnt das Abenteuer. Und der Asphalt weiß noch nicht, was auf ihn zukommt. Bevor wir endgültig in unser rollendes Abenteuer starten und „Beast“ auf den ersten Highway schicken, gönnen wir uns noch einen kulinarischen Abschiedsgruß von Whitehorse – ein letzter Hauch Zivilisation, bevor es nur noch Tankstellenkaffee und Trockenwürste geben könnte.

Unsere Wahl fällt auf ein Restaurant, das uns schon bei der Reiseplanung bei Tripadvisor angelächelt hat wie ein Steak auf dem Silbertablett: „Klondike Rib & Salmon“ – A Taste of the Yukon. Und was für einer! Von außen? Eine charmante Mischung aus Holzbaracke, Gewächshaus und Museum.

Klondike Rib and Salmon

Von innen? Rustikal, gemütlich, liebevoll zusammengewürfelt – so wie eine Goldgräberhütte aussehen würde, wenn jemand sie mit Geschmack und einem Räucherofen eingerichtet hätte. Alte Schilder, knarzende Dielen, karierte Tischdecken und ein Hauch von Kaminrauch in der Luft – das hier ist kein Instagram-Hotspot, das ist ein echter Ort mit Seele.

Der Service? Typisch kanadisch: schnell, herzlich und irgendwie so, als würde man bei Freunden zum Essen eingeladen. Wir lassen die Karte nur kurz wirken – Stefan entschied sich für den Caesar Salad – knackig, frisch und mit genau der richtigen Portion Parmesan –, während ich mir die Fish & Chips gönnte: goldbraun, knusprig und einfach zum Niederknien. Dazu gibt’s knusprige Fries, Coleslaw, eine eiskalte Cola und das wohligste Gefühl, das man haben kann, wenn draußen ein Camper wartet und drinnen die Gabel in Butterfleisch taucht.

Während wir kauen (genüsslich, nicht gehetzt), huscht immer wieder dieser Gedanke durch unsere Köpfe: „Wenn das der Anfang ist – was kommt dann erst noch?“ Und damit ist klar: Whitehorse hat uns verabschiedet, wie man gute Freunde verabschiedet – mit einer Umarmung aus Rippchen und Rauch.

Gut gestärkt und voller Vorfreude machen wir noch einen letzten Zwischenstopp in Whitehorse – bei der legendären Yukon Brewing Company. Alles andere wäre in dieser Stadt praktisch ein Verbrechen. Die Brauerei ist nicht nur ein Geheimtipp – sie ist Institution, Pilgerort und Kühlschrankfüllung in einem. Kaum betreten wir den kleinen, charmanten Shop, begrüßt uns der unverkennbare Duft nach Hopfen, Holz und Abenteuer. Die Regale sind voll mit liebevoll designten Dosen, die so klingen, als hätten sie ihre eigene Lagerfeuergeschichte zu erzählen: Lead Dog Ale, Bonanza Brown, Longest Night – klangvolle Namen mit Yukon-DNA. Ein paar davon wandern ohne großes Zögern in unseren Camper-Vorrat. Nicht zu viele, aber eben genug, um den nächsten Campingabend stilecht einzuläuten. Denn sind wir mal ehrlich: Ein Sonnenuntergang über dem Dempster Highway ist gut. Aber mit einem eiskalten Craft-Bier in der Hand ist er legendär.

Yukon Brewing Company

Jetzt aber wirklich: Beast wartet. Der Tank ist voll. Die Abenteuerlust auch. Nächster Halt? Wahrscheinlich irgendwo zwischen „Wow“ und „Wo sind wir hier eigentlich?“ Danach geht’s weiter zur Tankstelle, wo unser „Beast“ zum ersten Mal vollgetankt wird. Ein beeindruckender Moment: Während die Zapfsäule unaufhörlich läuft, schleicht sich die Erkenntnis ein, wie groß dieses Abenteuer tatsächlich ist.

14:00 Uhr. Jetzt aber. Letzte Ampel in Whitehorse – grün. Wir rollen los. Nicht einfach in Richtung Norden – sondern hinein in ein Kapitel, das mit jedem Kilometer epischer wird. Vor uns: 1.305 Kilometer bis zur nächsten Ampel – irgendwo in Inuvik. Ein Hoch auf Länder, in denen man auf 1.000 Kilometern mehr Elche als Ampelphasen zählt. Die Straße leert sich schlagartig, als hätten alle anderen Reisenden spontan beschlossen, lieber einen Nachmittag in der Badewanne zu verbringen. Wir sind allein mit dem Asphalt, dem Himmel und Beast. Die Luft: klar wie frisch gewaschene Abenteuerlust. Der Himmel: kanadischblau mit Deko-Wölkchen. Die Stimmung? Aufgeladen. Wir sind offiziell unterwegs.

Pelly Crossing

Der Klondike Highway empfängt uns mit einer Kulisse, die aussieht, als hätte jemand die Wildnis auf „Maximal“ gestellt. Links Wälder, die so dicht sind, dass selbst Licht Probleme beim durchkommen hat. Rechts: Flüsse, Berge, Stille. Diese Landschaft hat keine Eile – und verlangt das auch von uns.

Nach zwei Stunden auf der Straße, die mehr Meditationscharakter hat als jeder Yogakurs, erreichen wir Pelly Crossing. Ein kleiner Ort mit großer Bedeutung – denn hier steht das Selkirk Centre. Ein Kulturzentrum, ein Café, ein willkommener Halt – und, was uns in dem Moment am meisten interessiert: Kaffee. Wir bestellen zwei Tassen, die ehrlich gesagt nicht ganz Starbucks-Niveau haben, aber in dieser Umgebung wie flüssiges Gold schmecken.

Ein kurzer Plausch mit der Bedienung – freundlich, interessiert, ein bisschen neugierig. „Where are you headed?“ – „Dempster. Tuktoyaktuk.“ Kurzes Nicken. Man sieht uns die Mischung aus Wahnsinn und Vorfreude wohl an. Weiter geht’s.

Selkirk Center

Und dann – völlig unerwartet – taucht sie auf: Eine Ampel. Mitten im Nirgendwo, wie ein Relikt aus der Zivilisation, das sich verirrt hat. Rot. Darunter ein Schild: „STOP – WAIT FOR PILOT VEHICLE“. Für wen? Für was? Für uns? Oder vielleicht für den einsamen Elch, der sich als Bauleiter beworben hat? Weit und breit kein Mensch, kein Fahrzeug, kein Pilot – außer uns selbst. Die Straße ist leer, die Luft still, und doch stehen wir da. Gehorsam. Etwas verwirrt.

Ein bisschen ehrfürchtig – denn wer im Yukon einer Ampel begegnet, weiß: Hier passiert gleich was Großes. Oder eben gar nichts. Beast brummt ungeduldig. Wir warten. Und warten. Und irgendwann kommt tatsächlich ein Pilotfahrzeug um die Kurve – so langsam, als hätte es alle Zeit der Welt. Wahrscheinlich hat es das auch.

Klondike Highway

Nächster Ort: Stewart Crossing. Wie so viele Orte hier oben scheint auch dieser entstanden zu sein, weil jemand eine Brücke über einen Fluss gebaut hat – und ein paar andere fanden: „Passt. Bleiben wir.“ Wir überqueren die Brücke. Kein Ort zum Verweilen, aber einer, der sich ins Roadtrip-Gedächtnis brennt. Doch dann – Plot Twist.

Rauch. Dicht. Beißend. Die Idylle wird zur Postapokalypse.
Ein paar Kilometer weiter taucht wie aus dem Nichts eine gewaltige Wand aus Rauch vor uns auf. Die Sonne, eben noch selbstbewusst und gleißend, ist nur noch ein blasser, rot glühender Punkt hinter einer grauen Dunstschicht.

Klondike Highway Wildfire

Willkommen im Sommer im Yukon, wo Waldbrände zur warmen Jahreszeit gehören wie Moskitos zum Lagerfeuer. Anhalten? Keine Option. Zurückfahren? Auch nicht. Durchziehen. Und Beast – das Biest – brummt zustimmend. Fotostopps sind passé. Die Luft riecht nach verbranntem Unterholz und Abenteuer mit Nebeneffekt. Ein bisschen Endzeitstimmung, ein bisschen „Der Nebel“ – nur ohne Monster, hoffentlich. Wir fahren weiter, leicht benommen von der surrealen Szenerie, aber mit dem Gefühl, dass wir gerade mitten in einem Kapitel unterwegs sind, das wir nicht vergessen werden.

Klondike Highway Wildfire

20:00 Uhr. Nach sechs Stunden Straße, einer Koffeinpausen, unzähligen „Wow“-Momenten und einem echten Rauchbad erreichen wir die Abzweigung zum Dempster Highway. Ein schmaler Übergang, eine Brücke, ein Schild. Nüchtern, unspektakulär – aber für uns: magisch.

Denn jetzt beginnt der Dempster. 774 Kilometer pure Wildnis. Nordkanadas legendärste Straße. Und wir sind wieder da – zum zweiten Mal. Die Landschaft wechselt gefühlt mit dem Straßenschild: Tundra, alpine Hochebenen, moosbedeckte Täler, schroffe Bergflanken. Die Tombstone Mountains grüßen aus der Ferne, der North Fork Pass ruft leise „Willkommen zurück“, und wir… wir grinsen. Denn wer einmal hier war, weiß: Der Dempster ist kein Ausflug. Er ist ein Statement. Und unser Beast? Das schnurrt, als hätte es genau darauf gewartet.

Die Sonne senkt sich langsam, aber hier oben, wo die Tage irgendwie länger wirken, ist das kein schnelles Hinabgleiten – eher ein cineastischer Abgang in Zeitlupe. Der Himmel glüht, der Horizont färbt sich von Gold über Kupfer zu Magenta, und ich starre hinaus, ständig in der Hoffnung, das erste Wildtier zu erspähen.

Stefan sitzt souverän am Steuer von Beast – unserer fünf Tonnen schweren Wildnismaschine, die sich auf der Schotterpiste verhält wie ein Elefant beim Ballett: überraschend geschmeidig, aber mit hörbarer Bodenhaftung. Lose Steine? Schlaglöcher? Kurven wie aus dem Horrorfilm? Alles machbar – Stefan lenkt, als sei er mit dem Dempster auf Du und Du. Nur das Inventar im Camper dürfte gerade Breakdance tanzen. Zum Glück gibt’s keinen Durchgang zum Wohnraum – wir hören nichts, wir sehen nichts, also ist auch nichts kaputt. Unser Ziel: der Tombstone Mountain Campground, Kilometer 70 – eine der ikonischsten Zwischenstationen des Dempster.

Der Rauch hat sich zum Großteil verzogen, aber immer noch hängen graue Schwaden über den Berghängen, als würde ein Riese hinter den Gipfeln heimlich Zigarren paffen. Die Stimmung? Irgendwo zwischen Fantasyfilm und Endzeitmärchen. Und dann passiert’s. Wildtierkontakt. Doppelpack. Zwei Yukon-Wölfe. Sie tauchen auf wie Statisten mit Hauptrollen: kurz, stolz, elegant. Ein prüfender Blick zurück – dann verschwinden sie im Gras, lautlos, als wären sie nie da gewesen. Ich starre auf den Auslöser der Kamera – treffe ihn im richtigen Moment. Zack. Erinnerung gesichert.

Yukon Wolf

Ein Moment, der knistert. Und der ganz klar sagt: Wir sind jetzt mittendrin. Eine Stunde später erreichen wir den Campground. Aber Ankommen ist relativ. Der Rauch liegt hier schwer in der Luft, der Geruch beißt wie ein übermotivierter Mückenschwarm. Romantik? Fehlanzeige.

Tombstone Mountain

Also machen wir das, was jeder gute Roadtrip-Reisende macht: Plan B.
Wir fahren weiter zum Tombstone Range Viewpoint, der sich auf dem höchsten Punkt des Dempster Highways befindet: North Fork Pass, 1.289 Meter. Und wenn die Auffahrt schon dramatisch ist – die Aussicht ist das Titelbild jedes Kanada-Kalenders. Der Rauch ist hier oben fast komplett verschwunden.

Die Luft ist klar, die Sicht grenzenlos, die Berge vor uns so majestätisch, als hätte jemand ein Gemälde in 3D erschaffen. Die Tombstone Mountains ragen schroff und stolz in den Himmel, eine Szenerie, in der du jedes Hintergrundgeräusch sofort vermisst, weil die Stille so vollkommen ist.

Tombstone Mountain

Wir steigen aus, atmen durch. Zum ersten Mal seit Stunden richtig. Kein Rauch, keine Schlaglöcher, keine Ampel im Nirgendwo. Nur wir, Beast und der Ausblick. Ein Moment zum Runterkommen. Zum Staunen. Zum Festhalten. Der Dempster hat uns zurück – und besser hätte er uns nicht empfangen können.

Tombstone Mountain

Eigentlich – und das ist wieder so ein schönes Wort in Roadtrip-Kapiteln – eigentlich hätten wir jetzt umdrehen sollen. Zurück zum Campground, brav einparken, eine Quittung mit Datum und Parzellen-Nummer, Ordnung muss sein. Aber wir sind nicht hierhergekommen für Ordnung. Wir sind hier für das Gefühl, irgendwo im Nirgendwo zu stehen – mitten in der Wildnis, ohne Nachbarn, ohne Laternenlicht, ohne WLAN. Und deshalb entscheiden wir: Weiterfahren. Ein bisschen noch. Nur ein kleines Stück. Okay… 36 Kilometer.

Denn bei Kilometer 106 entdecken wir eine dieser magischen Abfahrten, wie sie nur der Dempster kennt: Eine große, offene Kiesfläche mit einem kleinen See daneben, eingebettet zwischen nichts und Weite. Sieht aus wie gemalt. Oder wie der Schauplatz eines Kanadischen Survivalfilms, in dem der Held als Erstes ein Sandwich macht. Wir biegen ab.

Beast rollt langsam den Hang hinunter, knirscht sanft über das Geröll, als würde er die passende Schlafposition suchen. Und dann: Bingo. Eine ebene Fläche, windgeschützt, abgelegen, mit Seeblick (eigentlich eine Riesen-Pfütze). Ein Boondocking-Spot wie aus dem Abenteuerprospekt. Es ist 21:30 Uhr. Die Sonne hängt noch immer über dem Horizont, als würde sie auch keine Lust haben, den Tag zu beenden. Das Licht ist weich, golden, fast feierlich. So, wie es nur der Norden kann.

Unser Abendessen? Schlicht. Aber perfekt: Brötchen, Wurst, Käse – mehr braucht es heute nicht. Wir sitzen auf unseren Campstühlen, die Füße Richtung „See“, und es ist still. Keine Motoren, keine Gespräche, kein Rascheln von Zeltnachbarn. Nur wir. Und dieses zufriedene Gefühl, genau jetzt genau hier richtig zu sein. Die erste Sternenpünktchen zeigen sich am Himmel, als wir müde ins Bett krabbeln. Beast steht ruhig und stolz auf seinem Kiesbett.

Der See glitzert im letzten Rest Licht, und alles fühlt sich an wie der Beginn von etwas Großem. Morgen fahren wir weiter – aber heute? Heute gehören wir schon ein bisschen dazu. Zu dieser wilden, ungezähmten Landschaft, zu diesem rauen Highway, der nicht nur Straßenkilometer liefert, sondern Freiheit mit Geräuschkulisse aus Wind und Wasser.

Dempster KM 106

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