Washington, wir müssen reden
und zwar über Zäune, Schneeberge und sündhaft teure Cupcakes
Noch ein letztes Mal erwachen wir in unserem Hauptstadtapartment mit dem Wissen: Heute ist unser letzter voller Tag in Washington. Also nix wie raus aus dem Pyjama und rein ins Sightseeing-Getümmel. Doch bevor wir uns wieder in Schnee und Geschichte stürzen, steht erstmal die Mission „Washington Monument – Take 2“ an. Wir erinnern uns: Vorgestern scheiterten wir an der Ticketverfügbarkeit. Heute hingegen – Trommelwirbel! – haben wir tatsächlich sechs Tickets ergattert . Für morgen. 11 Uhr morgens, ganz offiziell. Und das bedeutet: Hoch hinaus, bevor wir Richtung Philadelphia abdüsen. Timing wie aus dem Lehrbuch.
Doch zurück zum heutigen Tag. Wir parken unser Auto ganz in der Nähe vom Weißen Haus – was man halt so “Nähe” nennt, wenn man bedenkt, wie weit man inzwischen vom berühmtesten Vorgarten Amerikas entfernt gehalten wird. Früher, ja früher, konnte man noch die Handykamera zwischen die Gitterstäbe schieben und sich einreden, das wäre ein guter Winkel. Heute steht man in respektvollem Sicherheitsabstand, sieht einen Zaun, hinter dem ein weiterer Zaun steht, und dahinter vielleicht irgendwann das Weiße Haus. Fotos? Klar. Nur eben mit viel Zaun und wenig Haus. Aber immerhin wissen wir: Es ist da.

Direkt gegenüber vom Weißen Haus stolpern wir fast in ein festlich verschneites Märchenland : Der „Pathway of Peace“ präsentiert sich in seiner vollen Pracht – und sieht dabei aus, als hätte sich ein Weihnachtsfilm-Set auf diplomatischer Mission verirrt. In der Mitte steht der National Christmas Tree , ein stattlicher Riese von Tannenbaum, der so würdevoll mit Schnee bedeckt ist, dass selbst das nahegelegene Washington Monument daneben fast schüchtern wirkt.
Rundherum reihen sich kleinere Bäumchen , wie brave Konferenzteilnehmer in einem weihnachtlichen Gremium. Jeder einzelne ist einem US-Bundesstaat oder Territorium gewidmet – fein säuberlich mit Namensschild und individuellen Ornamenten versehen. Ein bisschen wirkt es, als hätte das Weihnachtskomitee der Vereinten Nationen eine Außenstelle eröffnet – komplett mit Lametta, Schneepelz und sternenglänzender Symbolik.

Der frisch gefallene Schnee überzieht alles mit einer makellosen weißen Decke. Die Pfade sind kaum sichtbar, das Gelände wirkt wie ein begehbarer Schneekeks. Kein Mensch weit und breit – nur wir, die Bäume, das Denkmal und die klare, kalte Luft, die wie aus einem überdimensionierten Gefrierschrank zu kommen scheint. Kitschig? Vielleicht. Magisch? Absolut. Und ganz ehrlich: Für diesen Anblick verzeiht man sogar den taubgewordenen Fingern.

Wir schlendern weiter Richtung National Mall. Gestern war Lincoln dran, heute wollen wir den anderen Teil erobern – die Museen, das Smithsonian Castle, das schneebedeckte Gelände bis hin zum Capitol. Der Weg dorthin? Eine Mischung aus Winterwanderung, Rutschpartie und Kunstgalerie unter freiem Himmel .
Vorbei geht’s am National Museum of African American History and Culture, das wie ein kunstvoll verschnörkelter Bronzequader aus dem Schnee wächst – futuristisch, kantig und beeindruckend, als hätte jemand die Architektur aus einem Origami-Buch für Fortgeschrittene gefaltet. Die spiegelnden Glasflächen unter dem markanten Vordach zeigen uns, wie sehr sich die Stadt ins Weiße gehüllt hat – Washington in seiner glitzernden Schneeversion .

Die Wege sind nicht geräumt, sondern eher… bearbeitet. Von Kinderstiefeln, Schneeschiebern und verzweifelten Eltern mit Kinderwagen. Emilia schaukelt tapfer im Buggy durch den Slush – ihr Gesichtsausdruck pendelt irgendwo zwischen Forscherdrang und leiser Empörung. Der Gehweg ist ein Wechselspiel aus Matsch, Eis und gelegentlichen trockenen Streifen , auf denen wir kurz Hoffnung schöpfen – nur um beim nächsten Schritt wieder knöcheltief einzusinken.

Das Smithsonian Castle erhebt sich wie ein verwunschenes Backstein-Märchenschloss aus dem Schnee. Seine Zinnen tragen weiße Häubchen, die Türme sehen aus, als würden gleich Schneeflocken-Ritter zur Wachablösung ausreiten. Wer hier auf Aschenputtel oder ein Hogwarts-Spin-off wartet, ist nicht ganz falsch.

Die National Mall selbst? Ein einziges, weit ausgerolltes Schneefeld – ein winterlicher Laufsteg für alle, die sich durch Matsch und Eis kämpfen wollen. Weiße Weiten, so weit das Auge reicht , unterbrochen von aufgetauten Trampelpfaden, die aussehen, als hätte ein ganzer Kindergarten mit Gummistiefeln und Schlitten einmal quer durch Washington gestapft. Zwischen den Bäumen zieht sich eine improvisierte Schneise , wo der Schnee nicht geschoben, sondern schlichtweg zertreten wurde – von Joggern mit überambitionierten Neujahrsvorsätzen , Familien im Zwiebel-Look und mutigen Kinderwagen-Pilot*innen wie Stefan, der Emilia stoisch durch den Slush manövriert.
Sonne und Schnee auf der National Mall
Das Knirschen unter den Schuhen wechselt regelmäßig zu einem unheilvollen Glitschen, besonders wenn man zu optimistisch vom geräumten Asphalt abkommt. Die Parkbänke entlang der Allee sind eingeschneit und wirken, als warteten sie auf einen romantischen Filmkuss – oder wahlweise darauf, dass endlich wieder Frühling wird.
Und dann hebt man den Blick – und da ist es: das Capitol , direkt am Ende der Achse, klar umrissen gegen den knallblauen Himmel, eingerahmt von schneebedeckten Bäumen. Es sieht aus, als hätte jemand das perfekte Postkartenfoto bestellt und Washington geliefert. Die Kuppel glänzt in der Wintersonne, darunter eine Baustelle mit Baukran, der ganz nonchalant daran erinnert: Auch politische Monumente brauchen gelegentlich ein Facelift.

In diesem Moment wirkt alles wie aus einem Film: das Capitol wie eingefroren in der Zeit , der Schnee wie puderzuckerfein, der Himmel so blau, dass Photoshop neidisch wird. Wenn man das Foto später jemandem zeigt, muss man fast hinzufügen: Ja, das ist echt. Nein, das ist kein Screensaver. Ja, wir waren da – in Matschschuhen und mit frostigen Nasenspitzen.
Und dann, endlich, das Capitol . Majestätisch, ruhig – und direkt davor: Schlittenpartys auf dem Hügel . Kinder gleiten mit Plastikrutschern, Pappkartons und allem, was irgendwie gleitet, die schneebedeckte Böschung hinunter. Die Eltern filmen, lachen, frieren. Noah bekommt leuchtende Augen – aber wir versprechen ihm ein Schneeabenteuer auf unserer nächsten Etappe.
Für einen Moment fühlt sich alles leicht an. Der Schnee dämpft den Lärm und die Sonne blitzt über den Kuppeln. Washington zeigt sich von seiner verspielten Seite – und wir lassen uns gerne darauf ein.
Wir bestaunen das Capitol, das sich fotogen vor einem zugefrorenen See präsentiert, als hätte es gerade ein Shooting für das Cover einer patriotischen Winterpostkarte. Noah nutzt die Gelegenheit, seinem Ruf als Schnee-Entertainer gerecht zu werden und erklimmt mit vollem Körpereinsatz einen gigantischen Schneeberg . Wer braucht schon Spielplätze, wenn man einen halben Meter Schnee und unbeobachtete Hügel hat?

Anschließend umrunden wir das Capitol, nicht ganz stilecht wie Protestierende, sondern eher wie ein kleiner Wanderzirkus in Winterjacken. Auf dem Rückweg wählen wir die Pennsylvania Avenue – klingt nicht nur wichtig, führt uns auch an gleich mehreren bedeutenden Gebäuden vorbei. Das Justizministerium , die National Archives (ja, dort, wo die Unabhängigkeitserklärung liegt – also quasi das Original-Drehbuch von „Independence Day“), und natürlich das mächtige FBI-Gebäude , das wir heute bei Sonnenschein erleben. Was die Aussicht betrifft: deutlich freundlicher als gestern.

Und dann geschieht das Unvermeidliche: Wir fallen in einen Souvenirrausch. Der Souvenirshop in der Nähe des FBI hat geöffnet. Gestern standen wir hier vor verschlossenen Türen. Nun wir er von uns wird geplündert, als wären wir auf Beweismittelsicherung. Magnete, Tassen, Schlüsselanhänger – was soll man sagen, der Kapitalismus hat auch seine hübschen Seiten .
Mit Souvenirs in der Tasche und langsam knurrenden Mägen steuern wir ein kleines Lokal an, das uns neugierig gemacht hat: Olli’s Trolley . Klingt wie eine Kindereisenbahn, ist aber ein echtes Washingtoner Original aus dem Jahr 1910. Die Einrichtung? Eine Art stilvoller Retro-Dschungel, Wandvertäfelung trifft Messingverzierungen trifft rot-gelb-grün-gemustertes Interieur , das seit gefühlt 1983 nicht mehr verändert wurde – und das ist ein Kompliment. Burger und Chicken Wings gibt’s mit echtem Diner-Charme und der Gewissheit, dass man satt, glücklich und leicht nostalgisch wieder rausgeht.
Zum Abschluss des Tages drehen wir noch eine Runde durch Georgetown , den schicken, leicht versnobten Stadtteil, wo man selbst zum Cupcake-Kauf das Gefühl hat, man bräuchte vorher einen Kreditberater. Natürlich lassen wir uns nicht lumpen und schlagen bei Georgetown Cupcakes zu. Sechs Stück. Für den Preis eines guten Abendessens. Aber hey – sie sind fluffig, sündhaft süß, Instagram-tauglich und damit jeden Cent wert. Sagen wir uns jedenfalls beim Biss in das erste Exemplar.

Georgetown Cupcakes – Süßes, Style & Serienruhm
Oder: Wie viel kann man eigentlich für einen Muffin mit Haube zahlen?
Wenn man in Washington über Zuckerschock spricht, meint man selten die politische Großwetterlage, sondern viel eher einen kleinen, rosa Traum in Form von Georgetown Cupcakes . Was von außen wie eine harmlose Bäckerei aussieht, ist in Wahrheit eine Art Pilgerstätte für alle, die Frosting nicht nur essen, sondern verehren. Hinter dem Tresen: Zwei Schwestern, Katherine und Sophie, die 2008 mit einem Handmixer und einer Vision gestartet sind – und kurz darauf mit ihrer eigenen TV-Serie (DC Cupcakes auf TLC) die Nation in süßes Dauerfieber versetzten.
Inzwischen ist der Laden Kult. Die Schlange vor der Tür gehört quasi zur festen Einrichtung, und wer hier nicht mindestens 30 Minuten im Schnee ausharrt, hat den Cupcake nicht verdient – so das ungeschriebene Gesetz. Drinnen warten kleine Meisterwerke in Pastell und Glitzer, mehr Kunstobjekt als Gebäck , mit Namen, die nach Haute-Couture klingen: Salted Caramel, Red Velvet, Chocolate Ganache. Wer hier nur an Vanille denkt, ist entweder falsch abgebogen oder hat noch nie erlebt, wie Schokolade als ganache-gekrönte Wolke auf der Zunge schmilzt.
Günstig ist das alles nicht. Sechs Cupcakes kosten in etwa so viel wie ein anständiges Abendessen – mit Getränk und Bedienung. Aber man kauft hier nicht nur Zucker, sondern ein Stück Popkultur, eine rosa Schachtel voller Glück, Instagram-Potenzial und dem angenehmen Gefühl, sich etwas völlig Übertriebenes gegönnt zu haben. Und sind wir ehrlich: Manchmal ist genau das der schönste Reise-Souvenir überhaupt.
Georgetown Cupcakes ist eben nicht nur eine Bäckerei. Es ist ein Statement. Ein sündhaft teures, herrlich übertriebenes, klebrig-süßes Statement mit sehr viel Stil.
Georgetown Cupcakes
Mit Cupcakes in der Hand und Sonne im Rücken machen wir uns auf den Weg ins Apartment. Der Tag war lang, die Stadt großartig, unsere Füße platt. Jetzt heißt es Koffer packen , Ladekabel suchen, Mitbringsel stapeln – und Kräfte sammeln. Denn morgen früh wartet das Washington Monument , und danach heißt es: Bye-bye, Hauptstadt. Hello, Philadelphia.
