Erinnerungen nachstellen und neue schaffen: Die White Wave und die Toadstools
Der Morgen begann hektisch, aber voller Aufregung – kein langes Herumsitzen heute, nur ein schnelles Frühstück, um uns mit dem Nötigsten zu stärken. Stefan rührte den Kaffee um, während ich die Toastscheiben aus dem Toaster springen ließ und die Kinder schon an den Müslischüsseln klapperten. Unsere Gedanken waren allerdings schon längst woanders: um Punkt 8:30 Uhr mussten wir alle beim Visitor Center am Lake Powell in Page sein, denn dort stand das Safety Briefing für unsere Wave-Permits an. Es war Pflicht für jeden in der Gruppe, also kein Ausreden oder Verschlafen möglich!
Pünktlich standen wir im Visitor Center. Wir wurden freudig begrüßt und uns wurde zum Gewinn gratuliert. Das Safety Briefing war keine lockere Angelegenheit – die Ranger meinten es ernst. Sie zeigten uns Bilder von der House Rock Valley Road, und was wir da sahen, ließ uns schlucken: tiefe Schlammgruben, ausgespülte Abschnitte und ein Untergrund, der eher an ein Offroad-Rennstreckenalptraum erinnerte. Das sah definitiv nicht nach einer gemütlichen Sonntagsfahrt aus!
Die Ranger rieten uns, die südliche Zufahrt zu wählen, denn dort sei die Straße „ein wenig besser“ – was in diesem Kontext wohl nur bedeutete, dass die Schlaglöcher nicht ganz so tief waren. Trotzdem kam uns ein Gedanke auf: Oh je, hoffentlich schaffen wir es überhaupt bis zur Wave!
Kann doch wohl nicht sein, dass wir wieder gewonnen haben und wieder macht uns der Straßenzustand einen Strich durch die Rechnung. Nein, bitte nicht!
Nach dem Briefing machten wir uns mit gemischten Gefühlen auf den Weg. Die Fahrt führte uns über den Highway 89, bis wir die Abbiegung zur House Rock Valley Road fast erreichten. Doch kurz vorher bogen wir links ab – unser erstes Ziel des Tages war die Nautilus, auch bekannt als die „White Wave“.
Nachdem wir das Auto am Rand der Piste abgestellt hatten, machten wir uns voller Vorfreude auf den Weg in Richtung Nautilus. Der schmale Pfad führte uns zunächst durch ein ausgetrocknetes Flussbett, das nach den letzten Regenfällen jedoch alles andere als trocken war. Der Boden war matschig und durchzogen von tiefen Rillen und Pfützen, die sich wie kleine Teiche vor uns ausbreiteten. Für uns Erwachsene hieß das, wir mussten uns den Weg sorgfältig aussuchen, um nicht knöcheltief im Schlamm zu landen. Aber für Noah und Emilia war das ganz klar eine Einladung zum Toben – und die nahmen sie mit strahlenden Augen an.
Die beiden Kinder stürmten mit einer Energie los, die nur auf echten Abenteuern freigesetzt wird. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, sprangen sie in die größten Matschlöcher, die sie finden konnten, sodass der Schlamm in alle Richtungen spritzte. Das fröhliche Quietschen und Lachen, das jedes Mal folgte, wenn ihre Schuhe tief im Matsch versanken, hallte durch die gesamte Schlucht. Noah schien es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht zu haben, jede einzelne Pfütze zu erobern, und Emilia folgte ihm dicht auf den Fersen – mit ihrer eigenen Taktik, die eher darauf hinauslief, so viel Schlamm wie möglich auf einmal zu erwischen.
Während die Kinder sich begeistert in ihrer neuen „Schlammschlacht“ austobten, versuchten wir Erwachsenen, die elegantesten Wege durch das matschige Gelände zu finden. Ein Balanceakt, bei dem wir über kleine Steine und schmale trockene Stellen hüpften – in der Hoffnung, nicht den Halt zu verlieren und ebenfalls im Matsch zu landen. Stefan rief lachend: „Schau dir die beiden an, die haben mehr Spaß als bei jedem Wasserspielplatz!“ Es war schwer, sich dem Lachen und der Freude der Kinder zu entziehen, und schon bald fanden auch wir uns dabei, unsere Schritte etwas lockerer zu setzen, selbst wenn es bedeutete, dass die Schuhe am Ende vielleicht doch nicht sauber blieben.
Als wir durch das Flussbett weitergingen, wurden die Pfützen tiefer und die Matschlöcher größer – aber das störte Noah und Emilia kein bisschen. Sie fanden immer wieder neue Möglichkeiten, sich die Route so abenteuerlich wie möglich zu gestalten. Ob sie nun durch besonders tiefen Schlamm wateten oder über matschige Hügel rutschten, die beiden waren in ihrem Element. Schmutzige Hosenbeine und schlammbespritzte Gesichter gehörten an diesem Tag einfach dazu – und genau das machte das Erlebnis umso authentischer.
Bildergalerie: Trail to the nautilus
Die Nautilus selbst war wirklich ein beeindruckendes Naturwunder – eine faszinierende Felsformation aus weißem Sandstein, die sich aus dem Boden erhob wie eine gigantische, steinerne Muschel. Ihre Form war gewunden und schraubte sich in spiralförmigen Kurven in die Höhe, als hätte ein riesiges Wesen sie aus dem Fels herausgedreht. Die feinen Rillen, die sich über die glatten Wände zogen, wirkten wie kunstvolle Gravuren, die im Zusammenspiel mit dem Licht ein lebendiges Muster bildeten. Wenn die Sonnenstrahlen durch die schmalen Ritzen fielen, erstrahlte die Formation in einem sanften, goldenen Glanz, der sie fast magisch erscheinen ließ.
Die Kinder waren sofort Feuer und Flamme. Noah und Emilia kletterten ohne zu zögern auf die niedrigen Vorsprünge und erkundeten jede noch so kleine Ecke der Felsformation. Besonders begeistert waren sie von einer natürlich geformten „Rutsche“ innerhalb der Nautilus, die sich zwischen zwei spiralig gedrehten Wänden erstreckte. Sie war aus festem Stein und es schien als könnte man tatsächlich daran hinunterrutschen – aber das funktionierte auf dem rauen Stein natürlich nicht. Und so rannte Noah einfach hinunter. Seine Schuhe rutschen teilweise über den Stein, und seine Augen leuchteten vor Freude. Emilia folgte ihm dichtauf und versuchte, ihn dabei einzuholen, ihre Lacher hallten durch die windige Spirale.
Während die Kinder immer wieder die „Rutsche“ hinabsausten und über die glatten Wände kletterten, hatten wir Erwachsenen Gelegenheit, die Umgebung in Ruhe zu genießen. Es war, als hätten wir hier eine kleine, geheime Welt entdeckt, die fernab der bekannten Wanderpfade lag. Der Sandstein war von den Jahrtausenden, in denen Wind und Wasser ihn bearbeitet hatten, perfekt geschliffen und geformt worden – eine Erinnerung an die Kraft der Natur, die mit Geduld und Zeit sogar den härtesten Fels in kunstvolle Strukturen verwandeln kann.
Die matschigen Schuhe, die wir uns auf dem Weg hierher eingehandelt hatten, waren den Spaß definitiv wert. Die Kinder schienen es kaum zu bemerken, dass ihre Hosen bis zu den Knien mit Dreck bespritzt waren – für sie war es ein Tag voller Abenteuer, an dem sie sich frei bewegen und ihre eigene Fantasie ausleben konnten.
Bildergalerie: The Nautilus
Nach unserem kurzen Abstecher zur Nautilus ging es weiter zu den Toadstool Hoodoos – einem weiteren Highlight in der bizarren Wunderwelt von Utah. Die Fahrt dorthin war kurz, und je näher wir kamen, desto aufgeregter wurden wir, denn diese seltsamen Felsformationen hatten uns schon bei unserem letzten Besuchen beeindruckt. Damals ragten sie wie gigantische, überdimensionale Pilze aus dem Boden und hinterließen bei uns bleibende Erinnerungen. Diesmal war Emilia jedoch dabei, denn sie war 2018 noch nicht geboren, und wir freuten uns darauf, ihr diese faszinierende Landschaft zu zeigen.
Der Wanderweg zu den Hoodoos war nicht lang, führte uns aber durch eine beeindruckende Szenerie aus erodiertem Sandstein und kleinen Schluchten. Die Kinder liefen voraus und entdeckten schon bald die ersten seltsamen „Pilze“, die wie steinerne Skulpturen in der Landschaft verteilt standen. Die Toadstool Hoodoos sind das Ergebnis von Millionen Jahren Erosion, bei der härtere Felsbrocken auf weicherem Untergrund stehen blieben, während der Rest nach und nach abgetragen wurde. Sie sahen wirklich aus wie Pilze – mit einem dicken, massiven „Hut“, der auf einem schlanken „Stiel“ balancierte, als wäre er aus Versehen hier gelandet. Einige waren nur kniehoch, andere mehrere Meter hoch und ragten imposant in den blauen Himmel.
Bildergalerie: The Toadstools trail
Unser heutiges Ziel war jedoch nicht nur, die Hoodoos zu bestaunen, sondern auch eine besondere Erinnerung aufleben zu lassen: Das Familienfoto aus dem Jahr 2018 musste nachgestellt werden! Die Herausforderung bestand darin, alle wieder in genau die gleiche Position zu bringen wie damals – mit der kleinen Ausnahme, dass wir diesmal eine Person mehr hatten. Noah und Emilia hielten es kaum aus vor Neugier, wie das Foto damals ausgesehen hatte, und hüpften aufgeregt um uns herum, während wir versuchten, alle in die richtige Position zu lotsen. Stefan kramte das alte Bild auf seinem Handy hervor und diente als „Regisseur“, um sicherzustellen, dass die Perspektive und die Posen stimmten.
Es erforderte mehrere Anläufe, denn entweder stand jemand nicht ganz richtig, jemand schielte in die falsche Richtung, oder ein „Pilz“ verdeckte genau das, was nicht verdeckt sein sollte. Aber mit ein paar Versuchen, ein wenig Herumhüpfen und viel Gelächter schafften wir es schließlich – das neue Bild sah dem alten verblüffend ähnlich, nur dass jetzt Emilia strahlend zwischen uns war. Es war, als hätten wir die Zeit ein Stück weit zurückgedreht und gleichzeitig die Zukunft mit ins Bild geholt.
Am Ende waren wir alle zufrieden mit unserem kleinen „Remake“. Das Gefühl, einen weiteren besonderen Moment festgehalten zu haben, erfüllte uns mit einer angenehmen Zufriedenheit. Wir betrachteten die beiden Fotos nebeneinander und konnten kaum glauben, wie viel sich in sechs Jahren verändert hatte – und wie viel doch irgendwie gleich geblieben war.
Auf dem Rückweg nach Page entschieden wir, Oli, Nadine und die Kinder zurück ins Apartment zu bringen, damit sie dort ein wenig Zeit verbringen konnten. Stefan und ich hatten noch eine wichtige Aufgabe vor uns – wir versuchten, in Page einen Veranstalter oder einen Verleiher zu finden, der uns einen echten Offroad-Jeep zur Verfügung stellen konnte, um sicher zur Wave zu gelangen.
Wir klapperten einige Agenturen ab, aber leider ohne Erfolg. Entweder waren die Fahrzeuge schon ausgebucht, oder der Preis war jenseits von Gut und Böse. Schließlich gaben wir auf – wenn es keine andere Möglichkeit gab, mussten wir eben unser Glück mit dem Mietwagen versuchen. Wird schon schiefgehen, sagten wir uns optimistisch.
Nach unserer erfolglosen Jeep-Suche holten wir die Familie ab und beschlossen, den Tag bei Slackers in Page ausklingen zu lassen. Ein Burger-Restaurant, das bekannt war für seine saftigen Burger – genau das, was wir nach einem Tag voller Abenteuer und Planungen brauchten. Die Kinder stürzten sich auf die Pommes, während Stefan und ich uns über den Gedanken amüsierten, morgen vielleicht in die Offroad-Hölle der House Rock Valley Road abzutauchen. Aber hey, ein bisschen Nervenkitzel gehört dazu, wenn man so ein Naturwunder erleben will.