Jasper und Banff: Ein Traumduo der Natur
mit majestätischen Wasserfällen & glitzernden Seen!
Der neue Tag startet früh – 7:00 Uhr sitzen wir schon beim Frühstück, der Kaffee dampft, die Vorfreude kribbelt. Punkt 7:30 Uhr rollen wir vom Campground, Kurs auf Jasper. Kaum auf der Straße, schon das erste kleine Highlight: Wir überqueren die Grenze nach Alberta! Zack – der fünfte Haken auf unserer Kanada-Provinzen-Liste. Zur Erinnerung: Ontario haben wir schon 2008 mitgenommen. Die Statistik stimmt also, das Sammelalbum wächst.

Um 9:00 Uhr taucht Jasper auf – dieses entzückende kleine Städtchen, mitten in den Rockies, wo Tourismus quasi das zweite Grundnahrungsmittel ist. Die Hauptstraße, der Connaught Drive, wirkt wie die kanadische Antwort auf ein Souvenir-Buffet: Hotels, Lodges, Restaurants, T-Shirt-Läden, dazu Tankstellen, Lebensmittelgeschäfte und – ganz wichtig – das Visitor Center.
Wir parken direkt am Straßenrand in der Nähe des Centers und stürzen uns ins Abenteuer. Erste Amtshandlung: Toilette! Zweite Amtshandlung: das kostenlose WLAN kapern, um daheim kurz „Hallo“ zu sagen. Dritte Amtshandlung: ein paar Karten des Nationalparks einsacken, denn vorbereitet stolpert es sich einfach schöner durch die Rockies.

Danach kann der Stadtbummel beginnen. Das Wetter? Noch ein bisschen launisch, als hätte der Himmel verschlafen. Aber egal – wir haben Zeit. Also schlendern wir entspannt durch die Läden, lassen uns von Souvenirbergen verführen und füllen ganz nebenbei unsere Vorräte im Supermarkt auf. Sicher ist sicher – man weiß ja nie, ob das nächste kulinarische Abenteuer ein Grillabend wird oder ein improvisiertes Camper-Menü. Und während wir so durch die Straßen ziehen, hoffen wir nur, dass sich die Wolken bald verziehen – schließlich wollen wir später Fotos schießen, die aussehen, als wären sie direkt fürs Postkartenregal gemacht worden.
Um 11:30 Uhr starten wir unser nächstes Abenteuer – den legendären Icefields Parkway. Schon der Beiname „the most scenic highway in the world“ klingt wie ein Trailer zu einem epischen Roadmovie. 230 Kilometer Natur-Kino liegen vor uns, vom nördlichen Teil des Jasper Nationalparks bis tief hinein in den Banff Nationalpark. Das Versprechen: Berge, Gletscher, Seen – und wir mittendrin.

Gerade einmal 30 Kilometer südlich von Jasper wartet schon der erste Showstopper des Icefields Parkway: die Athabasca Falls. Vom großzügigen Parkplatz führt ein kurzer Trail durch den Wald, bis wir auf mehreren Aussichtspunkten direkt vor diesem Naturkraftwerk stehen. Und was uns dort erwartet, verschlägt uns den Atem: Der Athabasca River stürzt mit unbändiger Wucht in eine enge Schlucht, donnert, schäumt, sprüht. Die Gischt hängt wie ein feiner Nebel über dem Canyon, während sich das Wasser in unzählige Strudel und Verwirbelungen teilt. Die Farben wirken fast wie gemalt – mal sattes Türkis, mal milchig-weiß, eingerahmt von grauen Felsen und tiefgrünen Wäldern.

Wir wechseln von Plattform zu Plattform, können uns kaum losreißen und lassen uns ganz von diesem Schauspiel vereinnahmen. Die Athabasca Falls beeindrucken nicht durch Rekordhöhe – mit 23 Metern sind sie vergleichsweise „modest“ – sondern durch schiere Kraft. Hier zeigt die Natur, dass es keinen Superlativ braucht, um uns sprachlos zu machen. Besonders faszinierend: An einigen Stellen frisst sich das Wasser durch tiefe Löcher in den Fels, glattgeschliffen wie Skulpturen aus der Werkstatt der Natur. Und je nach Jahreszeit verändert der Fluss sogar seine Farbe – im Sommer milchig-weiß vom Gletschermehl, im Winter türkis und klar.
Athabasca Falls
Doch die Magie der Athabasca Falls endet nicht am Hauptfall. Wir nehmen den kurzen Weg hinunter zu den Lower Falls, wo sich hinter einer Fußgängerbrücke der Pfad gabelt. Links geht es zum donnernden Wasserfall, rechts führen Treppen unter der Straßenbrücke hindurch, zwischen engen Felswänden, weiter zur Lower Gorge und zum Abandoned Channel. Unten angekommen, stehen wir direkt am Ufer des türkisblauen Flusses – und der Anblick wirkt beinahe surreal.
Ein besonderes Highlight erwartet uns hier: Hunderte von kleinen Steinmännchen, die von Besuchern liebevoll gestapelt wurden, säumen das Ufer. Sie verleihen diesem Ort eine fast mystische Atmosphäre, als hätten unzählige Reisende ihre Spuren in Miniaturform hinterlassen. Wir verweilen eine Weile, lassen die Szenerie auf uns wirken und knipsen unzählige Fotos, um diese zauberhafte Erinnerung festzuhalten.

Schweren Herzens machen wir uns schließlich auf den Rückweg zum Parkplatz. Doch die Eindrücke begleiten uns weiter – ein Wasserfall, der nicht durch seine Höhe, sondern durch Kraft, Farben und Atmosphäre zum unvergesslichen Erlebnis wird. Für uns steht fest: Die Athabasca Falls sind nicht einfach nur ein Stopp am Icefields Parkway, sondern ein echtes Highlight unseres Roadtrips.
Icefield Parkway, Jasper
Bevor wir unseren nächsten Stopp erreichen, überrascht uns ein tierisches Highlight am Straßenrand: Ein gewaltiger Wapiti-Hirsch schreitet seelenruhig aus dem Wald, als hätte er die Bühne der Rockies ganz für sich allein gebucht. Mit seinem imposanten Geweih wirkt er wie der unangefochtene König dieser Szenerie – und er weiß es offenbar ganz genau.

Der gesamte Verkehr kommt zum Erliegen. Niemand hupt, niemand drängelt – alle starren gebannt auf dieses majestätische Schauspiel der Natur. Und mal ehrlich: Wer könnte bei so einem Anblick einfach weiterfahren?
Natürlich greife auch ich sofort zur Kamera. Klick, klick, klick – dieser Hirsch ist ein Natur-Supermodel! Er posiert, als wüsste er genau, dass er gerade die Hauptrolle in unserem Roadmovie übernommen hat. Gelassen setzt er einen Huf vor den anderen, schaut einmal in die Runde, als wolle er sagen: „Na, beeindruckt?“ Und ja – das sind wir. Restlos.
Ein Moment, der uns daran erinnert, warum wir hier sind: Weil Kanada nicht nur aus Bergen und Flüssen besteht, sondern auch aus diesen unverhofften Begegnungen, die einem direkt ins Herz springen.
Neuer Stopp, neues Spektakel! Gerade mal 55 Kilometer südlich von Jasper rauscht uns schon das nächste Naturwunder entgegen: die Sunwapta Falls. Praktisch direkt am Highway gelegen, sind sie kinderleicht zu erreichen – und trotzdem ein Erlebnis, das so gewaltig wirkt, als hätte man dafür stundenlang durch die Wildnis wandern müssen.

Schon von der Brücke aus haben wir einen Panoramablick auf die tobenden Wassermassen, die sich mit schier unbändiger Kraft in die Tiefe stürzen. Doch wir wollen näher ran, das Donnern im Bauch spüren! Also folgen wir dem Pfad bis zur Abbruchkante. Hier zeigt sich die geballte Energie des Sunwapta River: Erst fällt er acht Meter hinab auf ein Felsplateau, sammelt sich, als würde er kurz Atem holen, nur um dann ein zweites Mal in voller Wucht abzustürzen – diesmal zehn Meter tief durch eine schmale Felsspalte, die aussieht, als hätte die Natur sie extra für ein Wasserschauspiel wie dieses gemeißelt. Insgesamt ergibt das einen Hauptfall von 18 Metern Höhe bei neun Metern Breite – und wir stehen direkt davor.
Die Gischt hängt wie feiner Staub in der Luft, das Donnern des Wassers hallt durch die Schlucht, und für einen Moment fühlt es sich an, als stünden wir mitten in einem Live-Konzert der Natur. Keine Bühne, kein Eintrittsgeld – nur pure Wildnis.
Sunwapta Falls
Wir klettern ein Stück hinunter, bis fast an die Abbruchkante, und sind überwältigt. Jeder Blickwinkel eröffnet eine neue Szene: türkises Wasser, das sich schäumend durch das graue Gestein frisst, gesäumt von dunklen Fichten, die wie ehrfürchtige Zuschauer am Rand stehen.
Die Reise geht weiter, und nach rund 50 Kilometern erreichen wir einen Meilenstein des Icefields Parkway: die Grenze zwischen Jasper und Banff Nationalpark – und zugleich den höchsten Punkt der Strecke. Willkommen am legendären Columbia Icefield, einem Ort, an dem selbst hartgesottene Roadtripper plötzlich ganz still werden.

Schon die Fahrt dorthin wirkt wie ein filmisches Intro: schneebedeckte Gipfel rücken näher, die Täler werden karger, und die Luft scheint klarer und kälter zu werden. Vor uns breitet sich eine Landschaft aus, die so aussieht, als hätte man die Kulissen eines Arktis-Dramas mitten in die Rockies verpflanzt.
Das Columbia Icefield selbst sieht man nicht in seiner Gänze – es ist ein riesiger Plateaugletscher, verborgen hinter den Bergrücken. Aber seine Ausläufer rollen majestätisch ins Tal: türkis schimmerndes Eis, durchzogen von tiefen Rissen, die wie Narben der Erdgeschichte wirken. Kaum zu glauben, dass dieser Koloss 325 Quadratkilometer groß ist, mit einer durchschnittlichen Dicke von 365 Metern. Auf dem Eisfeld fallen jährlich bis zu 7 Meter Schnee, genug, um selbst den größten Schneeschieber in die Knie zu zwingen.
Und dann dieses Naturwunder: Das Schmelzwasser des Columbia Icefields fließt in drei verschiedene Ozeane – den Atlantik, den Pazifik und das Arktische Meer. Ein gigantischer Scheidepunkt, mitten in den Rockies!
Wir bleiben am Straßenrand stehen, starren auf diese eisige Pracht und fühlen uns winzig. Hier, auf 3.000 Metern Höhe, ist die Natur eindeutig der Regisseur, und wir sind nur Statisten in einem gewaltigen Blockbuster.
Columbia Icefield
Columbia Icefield – die Eiswelt der Rockies
Größe: ca. 325 km² (größtes Eisfeld der kanadischen Rockies)
Dicke: durchschnittlich 365 m – an manchen Stellen noch mehr
Meereshöhe: etwa 3.000 m
Schneefall: bis zu 7 m pro Jahr
Alter: mehrere tausend Jahre alt, Relikt der letzten Eiszeit
Besonderheit: hydrologischer Dreifachpunkt – das Schmelzwasser fließt in drei verschiedene Ozeane:
– nach Westen in den Pazifik,
– nach Osten in den Atlantik,
– nach Norden ins Arktische Meer.
Das Columbia Icefield ist also nicht nur ein Naturwunder, sondern auch ein globaler Wasserspender – ein Knotenpunkt, an dem sich die Wege der Flüsse in drei Weltmeere verzweigen.

Kaum liegen die Eismassen des Columbia Icefield im Rückspiegel, taucht das grün-weiße Parks-Canada-Schild auf: Banff National Park. Und noch bevor wir „Wow!“ sagen können, steht die Begrüßungskomiteeleitung schon bereit – eine Dickhornschaf-Mama mit ihrem flauschigen Nachwuchs. Die beiden stehen seelenruhig am Straßenrand, zupfen an den Grashalmen (und lecken hin und wieder genüsslich ein bisschen an den Steinchen am Straßenrand), während hinter uns das vertraute „Klack-klack-klack“ der Teleobjektive einsetzt. Fotostopp mit Publikum. Die Kleinen wirken wie aus einem Bilderbuch gefallen: riesige Augen, noch zu große Ohren, wackelige Beine – und eine Gelassenheit, die man sonst nur von alten Bergführern kennt. Mama hebt kurz den Kopf, mustert die Szene mit diesem unbeirrbaren „Ich-hab-hier-Hausrecht“-Blick – und frisst weiter. Models, die ihre Posen kennen.

Wenig später schwingt sich die Straße in den berühmten Big Bend: eine elegante, hufeisenförmige Kurve, die sich an der Felswand entlang nach unten windet. Wir rollen zum Viewpoint, steigen aus – und stehen plötzlich in einem Riesen-Kino. Unter uns zieht der Icefields Parkway wie ein graues Band durch das Tal; winzige RVs kriechen die Serpentine hinab, Tannen stehen in dichten, dunkelgrünen Wellen, darüber streichen die Wolken an schneebestäubten Graten entlang. Aus dem Fels leuchten Streifen in Schiefergrau und Ocker, dazwischen glitzern Schmelzwasseradern, und irgendwo weit unten ahnt man den türkisfarbenen Spiegel eines Sees. Es ist einer dieser Ausblicke, bei denen man automatisch leiser spricht – aus Respekt vor der Kulisse.

Wir fotografieren, staunen, atmen diese kühle, klare Bergluft ein und lassen die Perspektive wirken: winzige Menschen, große Landschaft. Dann wieder hinein ins Fahrerhaus; der Parkway zieht weiter seine Linie durch Täler und über Moränen, links und rechts Gletscherzungen, Kiefern, Lärchen mit einem Hauch Herbstgold.
Icefield Parkway, Banff
40 Kilometer weiter – und voilà, der Mistaya Canyon liegt vor uns! Ein ca. 400 Meter langer, steiniger Pfad führt uns leicht bergab durch den Wald direkt dorthin. Schon der Weg ist stimmungsvoll – das Rauschen des Flusses wird mit jedem Schritt lauter, bis wir plötzlich vor einer Brücke stehen, die uns den ersten Blick in die Tiefe erlaubt. Und was wir da sehen, verschlägt uns die Sprache: Der Mistaya River hat sich hier mit purer Urgewalt in das graue Kalkgestein gefräst, Schluchten geformt, Kurven gemeißelt und Kessel ausgewaschen. Natur als Bildhauer – und das seit Jahrtausenden.

Wir überqueren die Brücke und folgen kleinen Trampelpfaden direkt zu den Felsen am Wasser. Kein Zaun, keine Absperrung, nur wir und die ungezähmte Natur. Ein Schritt zu weit, und man würde in den tosenden Strudel geschleudert – gerade dieses „ungefilterte Erlebnis“ macht den Canyon so intensiv. Überraschend ist außerdem: Wir sind allein! Keine Reisegruppen, keine Selfie-Sticks, nur das Dröhnen des Wassers und wir. Ein kleiner Parkplatz am Highway deutet schon an, dass dieser Ort nicht auf jeder „Must-see“-Liste steht. Doch genau das macht ihn zum Geheimtipp.
Der Mistaya Canyon selbst ist etwa 600 Meter lang und gehört zu den eindrucksvollsten Schluchten im Banff Nationalpark. Das Wasser hat über Jahrtausende die weichen Kalkschichten ausgeschliffen und dabei die typischen, runden Felsformationen geschaffen, die fast wie Skulpturen wirken. Besonders markant: die glatten, dunklen Felswände, die vom Wasser poliert wurden, bis sie glänzen. Im Frühling, wenn die Schneeschmelze den Fluss anschwellen lässt, steigt die Kraft des Wassers ins Unermessliche – dann donnern hier bis zu 100 Kubikmeter pro Sekunde durch die enge Schlucht.

Unser nächstes Highlight: der bezaubernde Peyto Lake! Kurz hinter dem Bow Summit Pass, mit 2.067 Metern übrigens dem höchsten Punkt des gesamten Icefields Parkway, zweigt eine kleine Stichstraße ab, die uns zum Parkplatz führt. Von hier aus heißt es: Wanderschuhe anziehen, Kamera bereithalten und los geht’s. Der Weg zum Overlook ist zwar asphaltiert, aber die 1,5 Kilometer haben es in sich – ein ordentlicher Anstieg, der uns in der dünneren Höhenluft schon ein wenig ins Schnaufen bringt. Und weil es noch früh in der Saison ist, liegt stellenweise Schnee, dazu eisige Passagen, die uns eher wie Eistänzer als wie Wanderer aussehen lassen. Aber hey – ohne ein bisschen Drama wäre es ja nur halb so spannend.
Weg zum Pietro Lake
Oben angekommen, eröffnet sich uns der Blick auf den Peyto Lake – und der ist schlichtweg ein Naturwunder. Wie ein Juwel liegt er eingebettet zwischen Bergen und Wäldern, leuchtet matt-türkis in der Herbstsonne und wirkt fast surreal. Im Sommer ist die Farbe noch intensiver, denn dann speist das Schmelzwasser des Peyto Gletschers den See mit sogenanntem „Gesteinsmehl“. Das sind feinste Schwebstoffe, die das Sonnenlicht reflektieren und diese magische Türkisfärbung erzeugen. Ein bisschen Physik und Geologie zum Angeben – und gleichzeitig der Beweis, dass Naturwissenschaften manchmal schöner sein können als jede Kunstgalerie.

Und dann die Sache mit der Form: Schon gewusst, dass der Peyto Lake einem Wolfskopf ähnelt? Wir mussten den Blick ein paar Mal schweifen lassen, doch dann ist es plötzlich ganz klar – der rechte Zipfel ist die Schnauze, die beiden oberen Ecken die spitzen Ohren. Ein Wolf, der scheinbar wachsam in die Rocky Mountains hinausschaut. Wer einmal darauf hingewiesen wurde, sieht es immer wieder – ein nettes Detail, das diesen See noch ikonischer macht.
Besonders amüsant war die Szene, die wir am Overlook miterleben durften: Eine Gruppe Fotografie-Schüler war mit ihrem Lehrer unterwegs. Während alle begeistert den türkisfarbenen See ins Visier nahmen, kam vom Meister nur ein trockenes: „Forget the blue water – look at the powerful sky on the other side. This must be the focus on your shots.“ Klar doch – Wolken statt Peyto Lake. Wir haben dann lieber weiter hundert Fotos vom See gemacht und beschlossen, dass man manchmal auch einfach seinem Bauchgefühl folgen sollte.
Pietro Lake
Nach unzähligen Fotos, Selfies und einem ehrfürchtigen Moment des Staunens machten wir uns schließlich wieder auf den Rückweg. Der Abstieg über den glatten, vereisten Pfad war ein kleines Abenteuer für sich – eine Mischung aus Schlittschuhlaufen und Zickzacklaufen, um nicht auf dem Hosenboden zu landen. Doch mit einem breiten Grinsen im Gesicht und Peyto Lake im Herzen erreichten wir wieder unseren Camper.
Auf dem Rückweg zum Auto kommt dann Stefans trockenster Kommentar des Tages: „Müssen wir uns jetzt eigentlich noch viele türkisfarbene Seen und Wasserfälle ansehen? Ich hab jetzt genug von Türkiswasser.“ Bitte was? Wer bitteschön sagt denn so was mitten in den Rockies?! Ein Banause. Oder vielleicht eben: Stefan, der Anti-Türkisianer. Doch er setzt noch einen drauf. Mit einem todernsten Gesicht meint er: „Komm, ich kann uns einen gelben See in den Schnee pinkeln – dann haben wir Abwechslung.“ Unglaublich. Ich schwöre, wenn der Mann jemals als Reiseführer arbeiten sollte, wird er vermutlich nach zwei Stationen gefeuert.
Aber nein, lieber Stefan, nix da! Abwechslung schön und gut, aber wir steuern jetzt direkt auf das nächste Highlight zu – und ratet mal, welche Farbe es hat? Richtig: auch blau. Willkommen am letzten großen Stopp des Icefield Parkway – dem berühmten Lake Louise!

Lake Louise – der wohl berühmteste See Albertas und der finale Höhepunkt auf unserem Icefield-Parkway-Marathon. Schon die Anfahrt verrät, dass wir hier nicht die einzigen Bewunderer sein werden: eine Armada von Parkplätzen säumt die Straße, als wollte man sicherstellen, dass auch wirklich jeder, der jemals ein „I ♥ Canada“-T-Shirt getragen hat, hier sein Auto abstellen kann.
Direkt am Ufer thront das prunkvolle Chateau Lake Louise, ein Hotel wie aus einem Märchenbuch, nur mit deutlich mehr Kreditkartenlimit. Dahinter liegt er dann, der Star des Tages: der türkisfarbene See, eingerahmt von schneebedeckten Bergen und Gletschern. So schön, dass man glatt ein kitschiges Poster draus machen könnte – und genau deshalb natürlich auch der absolute Touristenmagnet.
Die Szenerie genießen? Gar nicht so einfach, wenn gefühlt halb Asien in Reisebussen herangekarrt wird und sich am Ufer sammelt wie bei einem Popkonzert. Selfiesticks ragen in den Himmel, Gruppen posieren im Minutentakt, und wir fühlen uns plötzlich wie in der Fußgängerzone von Tokio – nur eben mit See. Nach zwei Wochen Einsamkeit auf Kanadas Straßen ist diese Massenansammlung jedenfalls ein ziemlicher Kulturschock.
Trotz allem: der Lake Louise ist wunderschön. Wir lassen den Blick über das glitzernde Wasser schweifen, atmen tief durch und versuchen, das Chaos um uns herum auszublenden. Die Zeit verfliegt, und ehe wir uns versehen, zeigt die Uhr 17:30. Der Campingplatz ruft – und wir haben noch eine gute Stunde Fahrt vor uns. Also reißen wir uns los, denn im Dunkeln wollen wir lieber nicht ankommen.

Vom Lake Louise geht es für uns wieder westwärts auf dem Trans-Canada-Highway, dem legendären Highway 1. Dabei passieren wir den Yoho National Park – von dem ich, ganz ehrlich, vorher noch nie etwas gehört hatte. Es gibt auch keine verlockenden Schilder, keine „Du musst hier anhalten!“-Hinweise, nichts. Also rauschen wir einfach durch. Was wir dort alles verpasst haben? Keine Ahnung. Vielleicht ein Wunder, vielleicht nur noch mehr türkisblaues Wasser – aber man kann ja nicht alles haben.
Am Abend überqueren wir erneut die Grenze nach British Columbia, und gegen 19:30 Uhr rollen wir auf den Whispering Spruce RV Park – oder, wie ich ihn spontan taufe: die „Whispering Spruce Müllhalde“. Schon der Empfang ist filmreif: Ein etwas ungepflegter Mann stapft mir entgegen und entpuppt sich als Betreiber des Campgrounds. Er verlangt 50 Dollar für einen Stellplatz mit Strom. Dumpen? Klar, das geht hier auch – mitten in der Einfahrt, in einem ominösen Loch im Boden. Romantik pur. Rundherum stapeln sich Müllsäcke, verrostete Autoteile und allerlei Gerümpel, das selbst in einem Schrottplatz noch schief angeschaut würde. Aber was soll’s – der Platz ist fast ausgebucht! Offenbar muss man hier froh sein, wenn man überhaupt einen Stellplatz ergattert.
Wir beschließen, vor dem Einparken noch schnell in den Ort zu fahren und was zu essen. Unsere Wahl fällt auf Ricky’s All Day Grill, direkt am Highway – Burger gehen schließlich immer. Während wir auf unser Essen warten, fällt mir ein merkwürdiges Detail auf: Meine Uhr sagt 19:00 Uhr, die Uhr an der Wand im Restaurant dagegen 20:00 Uhr. Der Kassenzettel vom Campground zeigt 19:49 Uhr, die Kreditkarten-Quittung 18:49 Uhr. Willkommen im Zeitreise-Museum Golden! Die Kellnerin löst das Rätsel: Golden liegt in British Columbia, wo eigentlich Pacific Time gilt, gleichzeitig aber auch noch in den Rockies – also Mountain Time. Ergebnis: Niemand hier weiß so genau, welche Uhrzeit gerade wirklich herrscht. Praktisch, wenn man mal zu spät kommt – man kann sich einfach die passende Zeitzone aussuchen.
Ricks All Day Grill
Als wir zurück zum Campground fahren, ist es inzwischen stockdunkel. Ich bete, dass wir heil auf unserem Stellplatz ankommen, ohne ins Dumping-Loch zu rollen oder über eine rostige Felge zu stolpern. Aber: Mission geglückt. Stefan widmet sich noch dem Sichern unserer Fotos, während ich mich schon tief ins Bett einkuschle.
Gute Nacht, Whispering Spruce – du bist ein echtes Trash-Highlight! Morgen geht’s weiter, hoffentlich mit weniger Schrottplatz-Feeling und mehr Kanada-Romantik.

Campground-Fakten mit Augenzwinkern:
Whispering Spruce RV Park
Preis:
50 CAD pro Nacht – Strom inklusive, Romantik kostet extra.
Dump-Station:
Mitten in der Einfahrt. Praktisch für alle, die schon immer mal „Drive-In-Entsorgung“ ausprobieren wollten.
Atmosphäre:
Mischung aus Schrottplatz, Recyclinghof und Campingplatz. Wer Abwechslung mag, ist hier richtig.
Ausstattung:
Müllsäcke in allen Farben, dekorative Rostteile und ein Stellplatz, der auf den zweiten Blick wirklich eben ist.
Highlights:
Multikulturelle Zeitzonen-Show in Golden: Pacific oder Mountain Time? Entscheiden Sie selbst! Müllberge, die sich bei Nacht mysteriös bewegen könnten – Survival-Feeling gratis dazu.
Romantikfaktor:
0,5 von 5 Lagerfeuern – aber hey, die Lage ist top!