Von Steward über Kitwanga, Old Hazelton
und Smithers bis hin nach Fort Telkwa
Der Morgen startet um 7 Uhr mit Kaiserwetter. Wir rollen vom Bear-River-Campground los, huschen am „freundlichsten Ghost Town in Alaska“-Schild vorbei und werden – wie am Vortag – am US-Häuschen einfach durchgewunken. Keine Fragen, kein Stempel, nur einmal freundlich nicken und weiter. Fünf Minuten später stehen wir wieder am Fish Creek. Die „langen Rohre“ vom Vortag sind schon aufgebaut; man kennt sich inzwischen, man grüßt sich wie alte Kollegen im Studio.
Eine Stunde warten wir in bester Laune. Bären? Heute Fehlanzeige. Dafür liefert die Vogel-Fraktion: ein Adler frühstückt Lachs wie aus dem Naturfilm, Enten meckern quer durchs Revier, Nebelfetzen ziehen die Kulisse weich wie mit einem Pinsel. Die Bärenquote ist sowieso erfüllt (ein Grizzly + drei Schwarzbären gestern), also verabschieden wir uns glücklich und drehen um Richtung Grenze.
Fish Creek, Hyder
Und dann kommt wieder die Kanada-Grenzübergang-Show. Neuer Beamter, gleicher Ehrgeiz.
- „Woher kommen Sie?“ – „Fish Creek.“
- „Bären gesehen?“ – „Heute nicht.“
- „Andere Tiere?“ – „Vögel. Sehr motivierte.“
- „Beruf in Deutschland?“ – (Déjà-vu, aber bitte: wir wiederholen).
- „Haben sie in Hyder was gekauft?“ – „Nein. (denn wir haben keine Shops gesehen).“
- „Haben sie Bargeld? Waffen? Bärenspray? Brennholz? Obst? Gemüse? Fleisch? Samen? Erde? Hausrat?“ – „Nein“ (wir führen keinen rollenden Wochenmarkt).
- „Wann reisen sie wieder ab nach Deutschland?“ – „In einer Woche. (es sei denn, wir gewinnen im Grenz-Kreuzworträtsel).“
- „Wie lange ist Ihre Reise insgesamt?“ – „Knapp 3 Wochen. (Aber im Moment fühlt es sich an wie eine halbe Ewigkeit).“
- „Wo in Kanada sind sie angekommen?“ – „Whitehorse, Yukon (dem Ort, den sogar Google Maps manchmal vergisst).“
- „Von welchem Airport aus verlassen Sie Kanada wieder?“ – „Vancouver. (die Stadt, in der wir hoffentlich nicht von einer Horde neugieriger kanadischer Grenzposten interviewt werden).“
Und während die Fragen immer skurriler wurden, fühlten wir uns plötzlich wie in der Schlussszene von The Proposal. Ihr wisst schon – wenn Sandra Bullock und Ryan Reynolds bei der kanadischen Einwanderungsbehörde stehen und der Beamte gefühlt ALLES wissen will, bis hin zur Lieblingsfarbe, wenn man außer Haus ist. Genau so kam es uns vor – nur ohne Hollywood-Glamour, dafür mit dem nüchternen Neonlicht eines Grenzpostens am Ende der Welt.
Wir sahen uns schon auf einer Kinoleinwand: Der Beamte stellt die letzte absurde Frage, wir nicken pflichtbewusst, die Kamera zoomt auf unser ratloses Gesicht – und dann blendet alles ins Schwarz. Im Hintergrund läuft der imaginäre Abspann:
„Directed by Canadian Border Patrol. Produced by Bureaucracy Unlimited. Starring: Zwei verwirrte Deutsche mit Camper.“
Nach dem XXL-Fragenkatalog gab’s schließlich das ersehnte Nicken. Willkommen zurück im Land des Ahornsirups!

Die Rückfahrt über den 37A ist ein Geschenk: Sonne auf frischem Tau, Wasserfälle wie Silberfäden, der Bear Glacier blitzt in blitzblankem Blauweiß. Wir halten an zwei Pullouts – einmal fürs Foto, einmal einfach zum Gucken. Das Licht ist so klar, dass selbst der Schatten scharf wirkt.
Um 11:30 Uhr sind wir wieder an der Meziadin Junction. Tankstopp, kurzer Blick in den Laden an der Ecke (mehr Souvenirs als Lebensmittel – nett, aber schnell erledigt), dann 2 km weiter: Meziadin Lake Provincial Park. Wenn wir schon gestern umgeplant haben, wollen wir ihn wenigstens aus der Nähe sehen.
Der Campground liegt wie ein Diorama am türkisgrünen See. Einfahrt, Info-Tafel, Bärenwarnschild – klassisch BC. Wir drehen langsam die Schleife(n) ab:
- Lakeside-Sites: ein paar Stellplätze liegen buchstäblich mit den Zehen im Wasser – Picknicktisch, Firepit, Tannenrahmen, Blick auf den spiegelnden See.
- Waldplätze: etwas zurückgesetzt, windgeschützt, ideal wenn’s mal pfeift.
- Ausstattung: Firepits an jedem Platz, saubere Plumpsklo-Häuschen verteilt über den Platz, Wasserzapfstellen, Holz gegen Gebühr (BC-Style). Am Eingang eine kleine „Kasse des Vertrauens“ und regelmäßig ein Ranger, der am Nachmittag vorbeischaut – hier geht beides.
Wir parken kurz, gehen runter ans Ufer: Stille. Nur ein leises „plopp“, wenn ein Fisch steigt, und dieses breite, zufriedene Rauschen der Wälder. Am gegenüberliegenden Ufer hängen Streifen aus Gelb und Orange – Espen im Herbstmodus.
Mit einem letzten Blick auf das grüne Wasser, das die Berge spiegelt wie ein sauber geputzter Salonspiegel, klettern wir wieder in den Camper. Tank voll, Laune voll, Speicherkarten voll – die Straße ruft.
Weiter ging die Reise, und nach 150 Kilometern erreichten wir das charmante Kitwanga und die Kreuzung zum Yellowhead Highway. Schon von Weitem ragten die berühmten Totempfähle des Historic Kitwanga auf – still, würdevoll und gleichzeitig ein bisschen geheimnisvoll. Über ein Dutzend dieser geschnitzten Riesen standen auf einer Wiese, manche schon stolze 150 Jahre alt. Jeder Pfahl schien eine eigene Geschichte zu erzählen: von Helden, Tieren und Ahnen, die hier im Holz verewigt wurden. Manche Figuren waren vom Zahn der Zeit gezeichnet, andere trotzten dem Lauf der Jahre fast unversehrt. Es fühlte sich an, als würde man durch ein Freilichtmuseum der Mythen spazieren.

Direkt daneben lugte die winzige St. Paul’s Anglican Church aus dem Jahr 1893 hervor, als hätte sie sich extra klein gemacht, um neben den mächtigen Pfählen nicht unterzugehen. Weiß gestrichen, mit roten Kanten, und daneben ein hölzerner Glockenturm, der so aussah, als hätte er schon so manche Winterstürme überstanden. Ein echtes historisches Schmankerl, das fast wie eine Filmkulisse wirkte – irgendwo zwischen Western und Märchen.
Natürlich zückten wir sofort die Kamera und sammelten fleißig neue Aufnahmen, während die Herbstsonne die Szenerie in ein warmes Licht tauchte. Mit einer ganzen Menge frischer Bilder auf der Speicherkarte und dem Gefühl, ein Stück lebendiger Geschichte berührt zu haben, setzten wir schließlich unsere Reise gen Osten fort.
Nach 42 abwechslungsreichen Kilometern erreichen wir schließlich Hazelton. Der Highway 62 führt uns direkt hinein in eine Kulisse, die fast so wirkt, als wäre sie der Drehort einer Westernserie mit modernem Einschlag. Unser erstes Highlight: die imposante Hagwilget Bridge, ein Relikt aus dem Jahr 1930 und eine der letzten Single-Lane-Brücken ihrer Art. Hoch über dem Bulkley River spannt sie sich wie eine elegante Linie in die Landschaft. Während Stefan sie souverän mit dem Camper überquert, halte ich kurz den Atem an – immerhin schwebt man hier fast 80 Meter über der Tiefe. Aber die Aussicht? Ein Traum!
Hagwilget Canyon
Direkt im Anschluss parken wir in der Nähe der S.S. Hazelton, einem liebevoll gestalteten Nachbau des Schaufelraddampfers, der einst die Lebensader der Region war. Beim Aussteigen werden wir unerwartet herzlich von einem jungen Mann begrüßt, der uns mit einem kräftigen Händedruck ins „Historic Hazelton“ willkommen heißt. In Zeiten, in denen selbst ein flüchtiges „Hallo“ manchmal zu viel verlangt ist, wirkt diese Geste beinahe filmreif.

Old Hazelton selbst empfängt uns mit einem pittoresken Charme, der irgendwo zwischen lebendigem Museum und verschlafenem Vorort pendelt. Viele Läden haben schon geschlossen – die Winterpause klopft an die Tür – doch einige Bewohner sind noch fleißig: da wird ein Gartenzaun gestrichen, dort noch der Rasen gemäht. Alles wirkt wie aus einem Bilderbuch, als hätte jemand die ganze Stadt frisch lackiert und einmal mit Klarlack versiegelt.

Wir schlendern durch die kleinen Gassen, ganz allein, als gehörte uns das Dorf. Die historischen Häuser, die bunten Schilder und die fast schon nostalgische Atmosphäre lassen uns wie Zeitreisende wirken. Nur der Camper am Straßenrand verrät, dass wir nicht 100 Jahre zurückkatapultiert wurden. Hazelton – ein kleiner, feiner Stopp, der uns ein Stück kanadischer Geschichte zum Anfassen schenkt.
Mit dem Blick zurück auf die historischen Straßen von Old Hazelton und den tosenden Bulkley River unter der Hagwilget Bridge setzen wir unsere Fahrt auf dem Yellowhead Highway fort. Die Strecke nach Smithers ist nicht allzu lang, und trotzdem wirkt sie wie eine kleine Zeitreise: erst die Wildnis, dann plötzlich ein Ort, der sich selbstbewusst „Stadt“ nennt.
Um Punkt 16 Uhr rollen wir in Smithers ein – und ganz ehrlich: nach all den kleinen Dörfern und Camps fühlt es sich an, als wären wir nach zwölf Tagen endlich mal wieder in der Zivilisation angekommen. Schon am Ortseingang blinkt uns das Logo eines Harley-Davidson Stores entgegen, wie ein Leuchtturm für all jene, die auf der Suche nach Shirts, Caps oder schlicht einem neuen Grund für spontane Einkäufe sind. Eigentlich wollten wir ja nur „kurz gucken“. Aber naja – T-Shirts probieren, Preise vergleichen, Souvenirs in die Hand nehmen… und plötzlich verlassen wir den Laden wie Teilnehmer eines Power-Shopping-Marathons, prall bepackt mit Tüten.

Direkt im Anschluss noch ein Pflichtstopp beim Saveways – schließlich wollen Kühlschrank und Vorratsfach im Camper gefüllt sein. Mit frischen Lebensmitteln, ein bisschen Luxus (ja, auch Chips und Schokolade zählen dazu) und der Gewissheit, dass wir nicht gleich morgen verhungern, geht’s weiter Richtung Downtown.
Und da überrascht uns Smithers wirklich. Die Stadt trägt ihren Beinamen „Little Switzerland“ nicht ohne Grund. Die Häuser im Chalet-Stil, die bunt gestrichenen Fassaden, die Holzbalkone – man könnte fast meinen, man sei irgendwo in Graubünden gelandet. Eine Alphornbläser-Statue mitten in der Main Street, deutsche Wurstwaren in den Läden, Roggenbrot beim Bäcker – Kanada mit Alpenfeeling, wer hätte das gedacht?
Downtown Smithers
Natürlich wollen wir den Tag auch kulinarisch ausklingen lassen. Also kurz beim McDonald’s das WLAN gekapert (praktisch, so ein Gratis-Internet!) und Tripadvisor befragt. Der Algorithmus spuckt das Alpenhorn Pub & Bistro als Empfehlung aus – wie passend, wir sind ja schließlich in „Little Switzerland“.

Um 17:30 Uhr stehen wir in dem großzügigen Lokal, nur um festzustellen: Wir sind die einzigen Gäste. Offenbar ist das hier keine klassische Dinner-Zeit. Egal – der Hunger ist da, und das Essen ist ausgezeichnet. Stefan entscheidet sich für einen Classic Burger, ich nehme den Spiced Chicken Wrap. Die Portionen sind reichlich, der Geschmack top, und nur die Preise lassen uns schmunzeln. Billig ist anders, aber hey – in der echten Schweiz hätten wir für das gleiche Menü wohl einen Kleinwagen verkaufen müssen.
Alpenhorn Pub & Bistro
Mit vollen Mägen und dem Gefühl, heute so ziemlich alles erlebt zu haben – von Totempfählen über Brücken-Schwindel bis hin zu Alpen-Charme im kanadischen Outback – geht ein langer Tag dem Ende zu.
Für die Nacht haben wir uns den Fort Telkwa Riverfront Campground ausgesucht, nur schlappe 15 km entfernt. Der Campground befindet sich direkt am Fluss und punktet mit einem Parkplatz-Charme, der allerdings gepflegt und ordentlich ist. Für schlappe $35 erhalten wir nicht nur schnelles WLAN, sondern auch Strom und Wasser. Ein wirklich fairer Preis.

Es ist gerade mal 19 Uhr, aber mit dem super schnellen Internet habe ich schnell eine Beschäftigung gefunden. Zeit für ein bisschen Nach-Hause-Telefonieren und das Hochladen einiger Bilder auf Facebook.

Währenddessen scheint sich ein anderes deutsches Paar am Stellplatz neben uns zu Tode zu langweilen. Die mürrisch dreinblickende Frau häkelt Untersetzer, welche nicht sehr schön aussehen, während der Mann gelangweilt um den Camper herumwandert, zum Fluss schaut, sich zu seiner Frau setzt, wieder seufzend um den Camper läuft. Die beiden tauschen keine Worte oder Blicke miteinander. Warum auch? Jedem das Seine – aber muss man wirklich tausende von Kilometern nach Kanada fliegen, um hier auf einem Campground Häkeldeckchen zu produzieren? Da tut’s doch eigentlich auch der Balkon in Wanne-Eickel.

Nach einem erfüllten Tag voller Abenteuer und Entdeckungen schauen wir noch einmal zum glitzernden Fluss, der am Fort Telkwa Riverfront Campground vorbeifließt. Der Himmel färbt sich langsam in warme Abendtöne, während wir die schöne Atmosphäre am Ufer genießen. Schließlich machen wir uns auf den Weg in unser kuscheliges Bett im Camper. Gute Nacht, Welt – morgen wartet schon das nächste Abenteuer!