Wildnis, Wolken und Ribeye-Steaks
Unser unvergesslicher Start in Whitehorse!“
Jetzt ist er da, der große Tag – kein Countdown mehr, kein „nur noch dreimal schlafen“, keine Listen auf dem Küchentisch. Heute geht’s los. Richtung Wildnis. Richtung Grizzlyland. Richtung „Hoffentlich hält der Kaffee bis Tuktoyaktuk“. Doch bevor wir mit Bären um die Vorfahrt ringen, beginnt alles ganz harmlos – mit einem Croissant in Stuttgart.
Unsere Tochter hat nochmal das volle Elternverwöhnprogramm aufgefahren. Kaffee dampft, Croissants duften, der Abschied fällt einen Tick schwerer als gedacht. Noah winkt aus der Spielecke – nur um uns später zu vermissen, da sind wir sicher. Wir schnappen uns unsere Rucksäcke, verabschieden uns mit der üblichen Mischung aus Rührung und Roadtrip-Fieber, und steigen ein in Phase eins: die familiäre Shuttlefahrt zum Bahnhof. Chauffeur des Tages? Nadine. Wir rollen zum Stuttgarter Hauptbahnhof, wo schon der erste Akt unseres epischen Nordland-Abenteuers auf uns wartet: die Deutsche Bahn.

Jetzt mal ehrlich – wir sind keine Hardcore-Camper. Unsere Abenteuerlust ist groß, unsere Thermomatratzen-Toleranz eher mittel. Aber da, wo wir hinwollen, hört die Hotellandkarte auf – und zwar lange bevor das GPS den Geist aufgibt. Wer im Yukon oder an der Polarmeerküste nach einer Unterkunft sucht, findet eher einen Elch mit Schlafsack als ein frisch bezogenes Doppelzimmer. Deshalb haben wir uns für einen Truck Camper entschieden – nicht aus romantischer Lagerfeuersehnsucht, sondern aus purer Notwendigkeit. Und ein bisschen, weil so ein rollendes Zuhause zwischen Tundra und Gletscher einfach verdammt gut aussieht.
Aber bevor wir unser rollendes Zuhause überhaupt zu Gesicht bekommen, müssen wir erst noch über den großen Teich. Dank Rail&Fly-Ticket, das bei unserer Buchung dabei war schwingen wir uns in den ICE Richtung Frankfurt Flughafen. Und siehe da: der Zug ist pünktlich. Wer hier eine Zwangspause mit Blick auf Wiesloch-Walldorf erwartet hat, wird bitter enttäuscht. Stattdessen: komplette Planerfüllung. Pünktlicher Abgang, pünktliche Ankunft, keine Kofferschubserei am Gleis – ein bisschen unheimlich, ehrlich gesagt. Mit Platzreservierung (wir sind ja nicht mehr zwanzig) lassen wir uns in die ergonomisch diskutablen Sitze sinken und schauen raus. Deutschland zieht vorbei wie ein Storyboard in Grautönen. Wiesen. Wälder. Windräder. Zwischenrufe von Stefan: „Guck mal, da drüben ist doch… ach nee, war nur ein Baum.“

Frankfurt Airport erreichen wir in Rekordzeit, völlig entspannt und mit drei Stunden Luft vor dem Abflug. Das ist der Moment, in dem der Reiseprofi in uns durchbricht. Während andere fluchend am Check-in nach ihrem Reisepass kramen, haben wir noch Zeit für Kaffee, Blättern im Bordmagazin und eine Runde Flughafen-Bingo (Felder: „Jogger mit Koffer“, „Tourist mit XXL-Nackenkissen“, „Rucksack mit zu vielen Karabinern“).
Der Himmel über Frankfurt ist grau, der Blick in die Zukunft hellblau mit Polarlichtgarantie. Vor uns liegt ein Flug in eine Welt, in der die nächste Tankstelle auch mal 300 Kilometer entfernt sein kann – und der nächste Supermarkt aussieht wie eine Mischung aus Blockhütte und Munitionslager. Aber das ist Zukunftsmusik. Heute sind wir einfach nur zwei Reisende auf dem Weg zum größten Roadtrip unseres Lebens. Noch keine Mückenstiche, noch kein Bärenalarm, noch keine nassen Wanderschuhe. Dafür Rucksack, Reisedokumente und ein inneres Kribbeln, das sich langsam aber sicher zur Vorfreude mit Gänsehautcharakter auswächst.
Der erste Test unseres Abenteuers? Die Check-in-Schlange. Aber mit unseren Premium-Economy-Tickets auf der Hand betreten wir den Flughafen mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und leichtem Kofferzieh-Trauma. Denn eigentlich haben wir alles richtig gemacht: ordentlich gepackt, gewogen, optimiert. Doch am Schalter kommt der erste Pulsanstieg: „Ihr Koffer ist zu schwer“, sagt der Mitarbeiter mit dem Gesichtsausdruck eines Zahnarztes, der gleich zur Bohrmaschine greift. Ich setze gerade zu einer Mischung aus Charme und Protest an – da klärt er lächelnd auf: „Sie sind nur am falschen Schalter. Premium-Check-in ist dort vorne.“ Ach so! Gewohnheit schlägt Komfort – wir standen brav in der Economy-Reihe.
„Wir mögen die Schlange“, werfe ich halb ernst, halb ironisch ein. Stefan, ganz der Pragmatiker, ergänzt: „Man trifft dort die besten Geschichten.“ Der Check-in läuft dann tatsächlich wie am Schnürchen, und wir ziehen weiter, ausgestattet mit Bordkarten, Zuversicht und dem Gefühl: Jetzt geht’s wirklich los.
Nächste Etappe: Sicherheitskontrolle. Ein Ort, an dem sich Hoffnung und Misstrauen in Plastikschalen treffen. Doch siehe da: Priority-Zugang sei Dank spazieren wir ohne Gedränge und ohne Drama durch die Schleusen. Und das, obwohl wir mit genug Technik reisen, um eine mittelgroße TV-Produktion auszustatten – Kamera, Drohne, GoPro, Navi und Ladekabel in Mengen, die jedem Zollbeamten Alpträume bereiten würden. Doch Kabelsalat adé – alles ordentlich verstaut, die Gesichter freundlich, und wir sind durch.

Jetzt beginnt der angenehmste Teil vor dem Start: Durchatmen. Ein letzter Cappuccino in Flughafencafé-Ambiente, letzte WhatsApp-Grüße an die Daheimgebliebenen, ein paar letzte skeptische Blicke aufs Handgepäck („Hab ich das Ladekabel für die Kamera jetzt wirklich eingepackt?“ – natürlich nicht. Aber das merken wir erst später.).
Das Boarding? Ein Traum. Priority macht’s möglich: kein Schubsen, kein Warten in Zone-3-Kästen, sondern eine elegante Gleitbewegung ins Flugzeug, begleitet von diesem herrlichen Gefühl: Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten. Unsere Plätze in der Premium Economy sind geräumig genug, um sich ein bisschen wie erwachsene Menschen zu fühlen – nicht wie in der Sardinenklasse, wo man beim Nickerchen ungewollt die Schulter des Nachbarn heiratet.
Schnitt. Motoren an. Abflug.
Der Start ist wie ein Riss in der Realität – eben noch Rollfeld, nun schon Wolkenkino. Es geht los. Alaska, wir kommen. Und dann – der Himmel spielt mit.

Unsere Route führt uns über Norwegen, Island und Grönland – und was da unter uns liegt, sieht aus, als hätte David Attenborough persönlich die Kulisse arrangiert. Eisberge, Fjorde, bizarre Gletscherzungen, die sich wie gefrorene Tentakel durch die Landschaft winden. Der Himmel ist klar, die Sicht spektakulär – unsere Nasen kleben am Fenster wie Kinder vorm Spielzeugladen.

Zwischendurch gibt’s zwei Blockbuster, ein Nickerchen (Stefan schnarcht leise – *„Ich kann im Sitzen nicht schlafen“, ja klar), und gleich zwei warme Mahlzeiten, die tatsächlich nicht nach Pappe schmecken. Wer hätte gedacht, dass Hähnchen und Couscous auf 10.000 Metern Höhe ein kulinarisches Erlebnis sein können?
Mahlzeit!
Die Flugzeit von neuneinhalb Stunden verfliegt – im wahrsten Sinne. Und dann die Durchsage des Piloten: „Ladies and Gentlemen, we’re ahead of schedule. Estimated arrival: 30 minutes early.“ Die Boeing 767 schwebt über endlose Wälder, die sich wie ein Ozean aus Bäumen ausbreiten. Berge glühen am Horizont, und dazwischen: Whitehorse. Eine kleine Landebahn, eingebettet in die Wildnis, ein Fleckchen Zivilisation mit dem Charme eines Western-Drehorts.

Die Landung? Butterweich. Der Flieger dreht elegant direkt auf der Runway – keine hektische Parkplatzsuche, keine unübersichtlichen Gate-Pläne. Willkommen in Whitehorse – hier fängt der Norden an. Hier endet der Komfortflug, und beginnt das große Abenteuer auf vier Rädern. Der Truck Camper wartet. Und mit ihm die Wildnis.
Die Einreise? Ein Traum in Ahornsirup. Schon beim Aussteigen macht sich diese nordkanadische Entspanntheit bemerkbar, die irgendwo zwischen „alles kein Problem“ und „willkommen bei Freunden“ liegt. Kein Hupen, kein Gedränge, kein „Bitte bereithalten, sonst stirbt ein Koala“ – sondern freundliche Beamte, warme Blicke und ein Ablauf, der uns fast ein bisschen misstrauisch macht: Kann es wirklich so einfach sein?

Kann es. Ein kurzer Blick in unsere Pässe, ein paar Pflichtfragen à la: „Wie lange bleiben Sie?“ – Nicht lang genug. „Was führt Sie in den Yukon?“ – Der unwiderstehliche Reiz von Elchen, die sich nicht dressieren lassen. Und dann kommt das, was jedes Reiseherz höherschlagen lässt: „Welcome to Canada! We wish you a wonderful time in the Yukon.“
Noch bevor wir überhaupt richtig begriffen haben, dass wir jetzt offiziell eingereist sind, stehen wir auch schon in der Gepäckhalle – mit einem entscheidenden Vorteil: Priority. Während sich die Economy-Fraktion noch damit beschäftigt, sich vor dem Band in Stellung zu bringen (Kofferabwehrhaltung, Hüftdrehung, Ellbogen locker), rollen unsere Taschen bereits wie Models auf dem Laufsteg Richtung Ausgang. Kein Gerangel, kein Schwitzen – nur ein kurzer Griff, ein leicht triumphierender Blick über die Schulter, und schon ziehen wir davon. 30 Minuten nach der Landung sind wir draußen. Wirklich draußen.

Und da ist sie: diese klare, trockene, knackige Luft von Whitehorse, die einem sofort ins Gesicht sagt: Hier beginnt dein Abenteuer. Pack dich besser warm ein. Die Sonne blinzelt über die Baumkronen, es ist frisch, aber nicht unangenehm – eher dieser motivierende Kältereiz, der einem sagt: Los jetzt. Die Wildnis wartet nicht.
Wir schnappen unsere Taschen und treten vor den Flughafen – und als wäre es bestellt: Unser Shuttle vom Yukon Inn wartet schon. Der Fahrer, ein Original mit wettergegerbtem Gesicht und Wollmütze, begrüßt uns mit einem breiten Grinsen und einer Stimme, die klingt wie aus einem Jack-London-Roman. Rein in den Van, ab nach Downtown Whitehorse. Die Fahrt ist kurz, aber stimmungsvoll – bunte Häuser, viel Holz, ein Hauch von Goldrauschromantik, gesäumt von Birken und staubigen Pick-ups. In Whitehorse hat selbst die Bushaltestelle Charakter.

Unsere Wahl für die erste Nacht war kein Zufall: Das Yukon Inn – solide, zentral, unaufgeregt. Kein Schickimicki, dafür nur einen Katzensprung entfernt vom Real Canadian Superstore. Und der steht heute Abend noch ganz oben auf der Liste. Denn wer morgen früh ohne Frühstück in Richtung Polarkreis aufbricht, hat was falsch gemacht.
Unser Plan ist klar: Heute einkaufen, morgen los. Kaffee, Müsli, Bärenabwehrspray – die Basics eben. Und während wir uns im Yukon Inn einrichten und mental schon unsere erste Bärenbegegnung (aus sicherer Distanz, mit Fotofunktion) durchspielen, dämmert uns eins: Bis hierhin lief alles wie geschmiert. Wenn das so weitergeht, brauchen wir bald eine neue Kategorie in unserem Reiseblog: “Unverschämt gut gestartet.” Aber wir sind ja noch nicht im Camper. Und morgen? Morgen wird’s ernst. Oder besser: wild.

Am Empfang des Yukon Inn erleben wir, was man in Kanada offenbar flächendeckend in der Ausbildung lernt: Freundlichkeit mit System und Effizienz mit einem Lächeln. Noch bevor wir überhaupt fragen können, bekommen wir ein kleines, aber feines Upgrade: Late Check-out bis 12 Uhr. Jackpot! Das bedeutet: Gepäck sicher verstaut, Kühltasche kühl gelagert, kein Stress beim Camper-Check-in. Denn der folgt morgen – früh, aber nicht zu früh – dank CanaDreams Early Bird Option.Ein Service, der so klingt, als würde er uns Kaffee ans Bett bringen. Spoiler: tut er nicht. Aber er erlaubt einen Start vor allen anderen, und das zählt.
Yukon Inn
Hunger? Fehlanzeige. Die Premium-Menüs aus dem Flieger (ja, das war wirklich genießbar) sitzen noch wie kleine Tapas-Babys im Magen. Also überspringen wir die Essenssuche und starten direkt mit Mission: Grundversorgung.
Ziel: der Real Canadian Superstore, nur einen Katzensprung entfernt – über den McDonald’s-Parkplatz, der gleichzeitig als soziale Drehscheibe, Elchwarnzone und Abkürzung dient. Der Weg? Wenig spektakulär. Das Ziel? Ein Shopping-Tempel in XXL. Und plötzlich stehen wir da – in einem dieser nordamerikanischen Supermärkte, die eigentlich alles führen, was man braucht, braucht, nie brauchen wird und trotzdem kauft. Von Campinggeschirr bis Zimtschnecken im 6er-Pack, von Fertig-BBQ über Trockeneis bis hin zu Bärenresistenz-Coolern (die sind echt!).
Unser Einkaufswagen füllt sich schneller als geplant.
Frühstück? Check.
Cornflakes, Milch, Eier, Bacon, Toast – das Komplettpaket.
Snacks für unterwegs? Check.
Nüsse, Riegel, Obst, drei Sorten Chips (weil wir uns nicht entscheiden konnten).
Notfallverpflegung? Aber sicher.

Ribeye-Steaks, dick wie Lexikas, bereit für den Grill – denn eins ist klar: Wenn irgendwo zwischen Tundra und Taiga ein Restaurant ausfällt, machen wir unser eigenes. Inklusive Panorama. Kochen im Camper ist nicht unser Ziel – es ist unsere letzte Option. Frühstück: ja. Alles andere: gerne draußen, gerne serviert, gerne mit kaltem Bier und ohne Abwasch. Denn wenn draußen die Natur ruft, antworten wir nicht mit Schneidebrett und Spülmittel.
Wir gehen zufrieden zurück zum Yukon Inn. Immer noch voller Energie – was erstaunlich ist nach 9 Stunden Flug, Temperaturwechsel und Jetlag light. Aber Whitehorse macht was mit einem. Diese Luft. Diese Ruhe. Diese Vorfreude. Zurück im Hotel sortieren wir unsere Beute, laden die Akkus, schreiben die ersten Notizen – und lassen den Tag mit einem Blick auf den morgigen Ablauf ausklingen.
Morgen übernehmen wir unseren Truck Camper. Der Moment, auf den wir seit über einem Jahr hinfiebern. Ein rollendes Zuhause für zwei – irgendwo zwischen Pionier-Romantik und Wildnis-Survival.

Gerade, als wir uns in der trügerischen Sicherheit wiegen, heute keine weitere Bewegung mehr zu brauchen, meldet sich der Hunger. Und zwar nicht höflich klopfend, sondern mit einem Nachdruck, der sagt: “Freunde, der letzte Snack war im Flugzeug, und die Ribeyes sind noch roh.”
Zum Glück hat unser Gedächtnis einen exzellenten Geschmack – es erinnert uns an eine ganz besondere Adresse aus unserem letzten Besuch in Whitehorse: Das „Dirty Northern Public House“. Klingt nach Bikertreff, schmeckt aber nach Himmel auf einem rustikalen Holzbrett. Damals war’s Liebe auf den ersten Bissen – und heute soll’s unser erster Abendessen-Flirt im Yukon werden. Der Weg dorthin? Ein entspannter 20-Minuten-Spaziergang, der so viel mehr ist als ein bloßer Ortswechsel. Whitehorse im Abendlicht ist ein Gedicht in Pastelltönen: Die Sonne hängt lässig über den Dächern, die Straßen sind in goldenes Licht getaucht, und die Luft ist klar, frisch und überraschend mild. Ehrlich – wärmer als in Stuttgart. Wer hätte das gedacht?
Beim Schlendern durch die Stadt wird uns erneut klar, wie besonders dieser Ort ist. Whitehorse – Hauptstadt des Yukon, mit rund 25.000 Einwohnern – wirkt weder überdimensioniert noch verschlafen. Eher wie ein verschollenes Kapitel aus einem Jack-London-Roman, das jemand mit Pinterest-Ideen aufgepeppt hat. Die Menschen freundlich, die Straßen weit, das Leben langsam – aber nie langweilig.
Miner’s Daugther Restaurant
Die Main Street empfängt uns wie eine alte Bekannte. Bunte Holzhäuser in Reih und Glied, Schilder mit Handschrift-Charme, draußen ein paar Fahrräder, drinnen das Klirren von Gläsern – und mittendrin: Das Dirty Northern. Der Grillgeruch weht uns schon auf halber Straße entgegen, eine Mischung aus Räucheraroma, Abenteuer und „Du hast das Richtige gewählt“. Drinnen ist es genau, wie wir’s in Erinnerung hatten: Gemütlich, laut, herzlich. Ein Pub mit Charakter, nicht durchgestylt, sondern gelebt. Die Karte? Genau unser Ding. Burger, Steaks, Lachs – kanadische Bodenständigkeit trifft auf Großstadtküche mit Wildfang-Attitüde.
Stefan bestellt den Bison-Burger, natürlich medium, mit allem, was dazugehört. Ich kann bei frischem Lachs einfach nicht widerstehen – nicht hier oben, nicht heute. In diesen Breitengraden ist Lachs keine Wahl, sondern eine Lebenshaltung.
Während wir auf unser Essen warten, saugen wir die Atmosphäre auf wie ein Schwamm auf Wanderschaft. Reisende mit Sonnenhüten, Locals in Holzfällerhemden, Geschichten über Bären, Bootsfahrten und kaputte Angelruten. Es dauert keine fünf Minuten, da fühlt man sich nicht mehr wie Gast, sondern wie Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft. Und dann kommt das Essen. Auf den Punkt. Frisch. Deftig. Großartig. Der Bison-Burger tropft genau so, wie ein Burger tropfen muss, wenn er ernst genommen werden will. Mein Lachs? Zart, mit knuspriger Haut und diesem „Ich bin gestern noch geschwommen“-Aroma. Dazu ein Craft Beer, das auf den Namen „Yukon Gold“ hört und schmeckt, als hätte man Sonnenstrahlen in ein Glas gegossen.

Nach unserem köstlichen Dinner im „Dirty Northern Public House“, wo Bison und Lachs uns noch wohlig im Bauch liegen, machen wir uns auf den Weg zurück – aber nicht einfach so. Wir schlendern. Und zwar wie zwei, die wissen: So ein Abend kommt nicht so schnell wieder.
Die Main Street von Whitehorse zeigt sich noch einmal von ihrer charmantesten Seite – die letzten Sonnenstrahlen tanzen auf den bunten Fassaden, das Leben in der Stadt klingt langsam aus. Aber der wahre Zauber wartet ein paar Schritte weiter: der River Walk. Und was soll man sagen? Die Uferpromenade entlang des Yukon River ist pures Kino. Goldene Stunde trifft auf Herbstfarben, als hätte jemand die Farbpalette „Kanada Deluxe“ auf volle Stärke gestellt. Die Bäume leuchten in sattem Rot, Orange und Gelb, und zwischen den Ästen glitzert immer wieder der Yukon River – wild, kraftvoll, ungezähmt. Man spürt förmlich, wie viel Geschichte dieser Fluss gesehen hat – Goldrausch, Pelzhandel, Abenteurer mit Frostbeulen und Träume im Gepäck.

Die Sonne verabschiedet sich langsam hinter den Bergen, die sich wie majestätische Schattenriesen in den Horizont legen. Es ist immer noch angenehm warm – fast ein bisschen surreal, als würden uns die Elemente für unseren Mut belohnen, so weit in den Norden zu kommen. Ein Moment zum Einrahmen. Oder einfrieren. Am liebsten beides. Doch der Abend ist noch nicht vorbei – ein letzter Programmpunkt steht an.

Ein kleiner Abstecher zu Walmart. Klingt profan, fühlt sich nach diesem Spaziergang fast wie ein Kulturbruch an – aber Toilettenpapier, Grillanzünder und Camper-Essentials besorgen sich nun mal nicht von selbst. Und hey, auch die Wildnis beginnt mit Einkaufszettel.
Der Walmart liegt – typisch nordamerikanisch – „praktisch gegenüber“ vom Real Canadian Superstore. Was in Kanada allerdings bedeutet: Ein epischer Parkplatz dazwischen. Ein Meer aus Asphalt, das selbst eingefleischte Wanderer demütig macht. Aber wir sind motiviert – und marschieren los wie zwei Expeditionsteilnehmer mit klarer Mission: Ausgerüstet ins Abenteuer starten. Drinnen dann der nächste Kulturschock – Walmart in XXL. Eine Mischung aus Campinglager, Großküche, Kleiderbörse und Snackparadies. Wir streifen durch die Regalfluchten wie Pfadfinder auf Speed, entdecken hier eine faltbare Salatschüssel, dort ein Nachfüllset für Bärenspray (kein Scherz) und natürlich jede Menge Snacks, die kein Mensch braucht – aber jeder mitnimmt.

Denn: Man weiß nie, wann einen in der Wildnis plötzlich der Heißhunger auf Marshmallows überkommt. Der Einkaufswagen füllt sich schneller als gedacht – Toilettenpapier, Feueranzünder, Moskitospray, Schokoriegel mit absurdem Kaloriengehalt – alles dabei. Und ein bisschen mehr. Natürlich.
Zurück im Hotel fühlt sich das große, warme Badezimmer wie ein Spa-Resort an. Eine heiße Dusche, ein paar Dehnübungen für die müden Schultern – und dann… nichts mehr. Kaum legen wir uns ins Bett, sind wir auch schon im Reich der Träume. Oder irgendwo zwischen Whitehorse und Tuktoyaktuk. Denn morgen wird’s ernst. Um 9:45 Uhr holt uns das CanaDream-Shuttle ab. Und dann heißt es endlich:
ROADTRIP!
Mit Diesel im Tank, Vorräten im Schrank und Abenteuer im Blick. Die Wildnis ruft – und wir antworten mit einem „Let’s go!“ und einem klappernden Besteckkasten.