Sorrent – wo jede Gasse nach Limoncello schmeckt
Der neue Tag begann, wie alle guten Tage in Italien beginnen sollten: mit Cappuccino, Croissant und einem italienischen Lächeln, das heller strahlt als der Vesuv bei Sonnenaufgang. Pascale war wieder am Start – diesmal wollte ich direkt beim Frühstück unseren zusätzlichen Mietwagen anmelden. Schließlich stand der blaue Panda jetzt auch auf dem Gelände.
Ich versuchte es diplomatisch dreisprachig: ein bisschen Deutsch, ein Hauch Italienisch, ein paar Brocken Englisch – quasi Europäische Union zum Frühstück. Pascale lachte, schüttelte den Kopf und antwortete mit einem „No capito“, das gleichzeitig charmant, mitleidig und endgültig klang.
Also Plan B: Google Translate. Er spricht, das Handy übersetzt, ich verstehe die Hälfte, nicke euphorisch. Irgendwann zwischen „parcheggio“, „problema“ und einem kleinen Monolog über das Wetter in Neapel begriff ich: Alles gut. Kostet nix. Steht da halt. Für meine Mühe bekam ich zur Belohnung ein weiteres dieser typisch italienischen Strahlen, das einem sagt: Du hast keine Ahnung, was ich gesagt habe, aber ich find dich sympathisch.
Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg nach Sorrent. Oder besser: Wir kämpften uns durch den morgendlichen Verkehr von Pompeji – ein echtes Training für Fahrnerven und Geduldsmuskeln. Vor allem der Abschnitt durch Castellammare di Stabia, wo laut Plan ein Straßenmarkt stattfinden sollte. Wir waren da. Der Markt leider nicht. Vielleicht hatten wir ihn um ein paar Wochentage verpasst. Oder um ein paar Jahrzehnte.

Macht nichts. Die Strecke entschädigte für alles. Immer, wenn sich eine Lücke im Verkehr oder im Bewuchs am Straßenrand auftat, hielten wir an. Und standen dann einfach nur da. Schweigend. Staunend. Sorrent lag unter uns, das Meer glitzerte, und der Blick war so spektakulär, dass selbst der Panda sich für einen Moment in ein Cabrio verwandelt haben könnte.

Wir stellten den blauen Panda in ein Parkhaus, ganz in der Nähe der Piazza Tasso, das sich wie ein kleiner Hauptgewinn anfühlte. Dann tauchten wir ein – in die Altstadt von Sorrent, die mehr war als nur eine Stadt. Sie war ein Gefühl. Ein Sommerfilm, der nach Limoncello duftet, unterbrochen von dem Klackern von Absätzen auf Pflastersteinen.
Wir schlenderten durch schmale Gassen, wo Hüte sich wie Wimpel im Wind drehten, bunte Hemden neben Zitronenschürzen baumelten. Überall Kitsch, Kunst, Karamell – und Zitrone. In allen Formen und Aggregatzuständen.
Die Fensterfronten der Läden waren ein Fest für alle Sinne: Kekse, Bonbons, Limoncello in Designerflaschen, Zitronenspaghetti, Zitronenseife, Zitronenschokolade. Manche Geschäfte waren so vollgestellt mit süßem Wahnsinn, dass man kaum wusste, wo man zuerst hingucken sollte – geschweige denn, wo man zuerst reinbeißen wollte.
Also probierten wir einfach alles. Hier ein Zitronenkeks, dort eine Limoncello-Praline. Ein kleines Gläschen Pistaziencreme-Likör (der uns ehrfürchtig verstummen ließ) und natürlich ein Stückchen Zitronenbrot – keine Ahnung, wie man es nennt, aber es war klebrig, weich und göttlich.
Zwischen den Schritten: kleine Altäre mit Marienstatuen, ein unerwartet schickes Atelier mit rotem Oldtimer, steinerne Bögen, die in neue Gassen führten, und an fast jeder Ecke: eine Szene wie aus einem Filmset. Wäsche, die zwischen bunten Fassaden flattert. Palmen, die sich über schattige Innenhöfe neigen. Bougainvillea in Pink, als hätte jemand die Farbsättigung zu hoch gedreht. Sorrent ist Instagram, bevor es Instagram gab.
Und ja – wir wurden schwach. Natürlich wurden wir schwach.
In einem dieser besonders gefährlichen Läden – dem Limonoro Fabbrica Liquori – griffen wir zu:
- Limoncello auf Pistaziencremebasis (ja, das ist so sündig, wie es klingt)
- Limoncello-Cioccolata (der Beweis, dass Schokolade und Zitrone nicht nur zusammenpassen, sondern ein kulinarisches Powerpaar abgeben)
- gefüllte Zitronenpralinen, außen knackig, innen wie ein cremiger Sonnenuntergang
- ein winziges Glas Pistazien-Aufstrich – für satte 14,50 Euro. Preislich irgendwo zwischen Dior und „Hättest du auch selber machen können“, aber geschmacklich: ein Volltreffer. Klein, aber mächtig.
Und als wäre das Zitronen-Fest damit beendet gewesen – kam der Showstopper: Das Sorrento Special Gelato. Ein Kunstwerk in Gelb und Weiß, serviert in einer echten Zitrone, auf einem Blütenblatt aus Papier, getoppt mit einer Orangenscheibe, zwei Löffeln und einem guten Schuss purem Glück. Drei Sorten auf einen Streich: Zitrone, Orange und Limoncello.
Erfrischend, cremig, leicht beschwipst – wie ein Sommerflirt auf einer Vespa. Und ja, natürlich musste es auf ein Foto. Oder drei. Oder zehn. (Was nicht auf dem Bild ist: wie schnell es schmilzt. Und wie sehr das egal ist.) Drumherum: ein Geschäft wie eine Hommage an die Zitrusfrucht. Fliesen in Zitronengelb, Maschinen, die aussehen wie Zuckerspender aus einem Sci-Fi-Film, und überall diese unverwechselbare Mischung aus Frische, Süße und Versprechen.
Nach so viel Nascherei, Duftproben und Zitronen-Ekstase zog es uns ans Meer – und zwar zur Marina Grande, diesem malerischen Fischerhafen, der aussieht, als hätte jemand ein ganzes Postkartenset in die Realität gekippt. Der Weg dorthin: schmale, abfallende Gassen, vorbei an pastellfarbenen Häusern, flatternder Wäsche und Omas mit Einkaufstüten, die uns freundlich grüßten, als gehörten wir dazu.
Unten angekommen, türmten sich bunte Fischerboote neben weiß eingedeckten Tischen, die schon auf das erste Mittagsgericht warteten. Kellner wischten hektisch über Tischdecken, während Möwen den Überblick behielten – falls jemand etwas fallen lässt. Der Blick aufs Wasser war traumhaft, die Menükarten jedoch… sagen wir mal: sehr ozeanlastig. Calamari, Muscheln, Tintenfisch – alles dabei. Nur leider nicht für uns. Wir sind eher Team Terra statt Mare. Also wieder rauf in die Altstadt. Der Hunger allerdings: blieb.
Zurück in den trubeligen Gassen, mit dem Meer im Rücken und knurrendem Magen vorne, landeten wir irgendwann auf der Corso Italia – Sorrents elegante Einkaufsstraße. Breite Wege, schattige Alleen, Boutiquen, Eisdielen – und, laut Google, ein echter Geheimtipp: Frankie’s Pizza Bar. Urbaner Look, rote London-Telefonzelle als Deko – und freie Plätze auf der überdachten Terrasse. Jackpot!
Wir ließen uns nieder, hungrig wie Teenager nach der Schule, und bestellten:
- Bruschetta mit frischen Tomaten, Basilikum und geröstetem Brot, das so gut war, dass man kurz dachte, man isst in einem Werbespot.
- Spaghetti mit hausgemachten Riesenfleischbällchen für Stefan – würzig, tomatig, „Bella Italia“ in einer Schüssel.
- Für mich: Thunfischsalat deluxe, mit gegrilltem Gemüse, knackigem Grün, ein paar Kürbiskernen und einem satten Spritzer frischer Zitrone – wir sind ja in Sorrent.
Der Service war freundlich, das Ambiente entspannt – und unsere Mägen: endlich zufrieden. Kulinarisch angekommen. Keine Limoncello-Experimente mehr, keine Pralinensünde – einfach gutes, ehrliches Essen. Und ein kurzer Moment der Ruhe, mitten im Trubel der Amalfi-Kulisse.
Gegen 16 Uhr verlassen wir Sorrent. Der Nachmittag liegt golden über der Küste, während wir uns zurück auf den Weg nach Pompeji machen – diesmal mit einem klaren Ziel: Getränkenachschub! Unser Wasservorrat ist auf dem Level Kamele würden weinen, und auch sonst ist der Camper eher schlecht als recht auf die nächste Durststrecke vorbereitet.

Ein Blick aufs Navi spuckt „La Cartiera“ aus. Klingt wie eine romantische Papiermanufaktur – ist aber ein waschechtes Einkaufszentrum. Und was für eins. Modern, großzügig, klimatisiert (Halleluja!) und voller Läden, die sofort das Shopping-Gen kitzeln. Klar, eigentlich wollten wir nur schnell Getränke kaufen. Aber dann… sind da plötzlich stylishe Klamottenläden. Und ein riesiger Supermarkt. Und – oh, da ist ja ein Kinderkleidungsgeschäft. Ein kurzer Blick kann ja nicht schaden, sagen wir uns.

30 Minuten später verlassen wir das Geschäft mit einer Menge coolen Outfits für die Kids. Der Supermarkt folgt als nächster Stopp – Wasser, Saft, Oliven, ein bisschen Obst und (weil man ja nie weiß): noch ein Notfall-Käse. Man hat ja Standards.
Und dann… sehen wir ihn. Den Rothaus Grill. Den kennen wir doch. Da waren wir schon mal. Damals in… ach, irgendwo auf diesem Roadtrip, das verschwimmt langsam alles. Jedenfalls: Wiedererkennung, Geruch von frittiertem Glück, und ein großes Plakat: Chicken Wings Day – All You Can Eat.
Klar, wir sind in Italien. Klar, es gibt Pasta, Pizza und Tiramisu. Aber heute? Heute ruft das Frittieröl. Und wir antworten. Für 20 Euro bekommen wir einen riesigen Korb Chicken Wings, außen knusprig, innen saftig, genau die Art von Kleinigkeit, die nach Zitroneneis, Bruschetta, Spaghetti und Salat noch reinpasst. Also theoretisch.
Nach 20 Wings geben wir auf. Nicht wegen mangelndem Willen – sondern wegen pappsattem Glücksgefühl. Die All You Can Eat-Option lassen wir unberührt. Wir könnten zwar – aber wir wollen nicht.
Zurück geht’s zum Camper. Getränke: gehamstert. Mägen: gefüllt. Und ja, wir geben es zu: Es war eine Fast-Food-Sünde. Aber eine, die sich verdammt richtig angefühlt hat. Und außerdem: Morgen ist auch noch ein Italien-Tag. Da gibt’s dann wieder Dolce Vita. Heute war’s halt Chicken Wings con Amore.






































