Von Haines bis Chicken
Ein Roadtrip durch atemberaubende Landschaften

Wisst ihr, wie es so schön heißt: „Erstens kommt es anders – und zweitens, als man denkt.“ Das scheint das Motto unseres aktuellen Roadtrips zu sein (Und wir sind ja noch ganz am Anfang der Reise!) . Normalerweise sind wir akribische Planer, die mit Uhrzeiten, Routen und Essensstopps jonglieren wie andere mit Bällen auf einem Straßenfest. Doch dieses Mal, bei unserem allerersten Camper-Abenteuer, hat der Zufall Regie übernommen. Und ganz ehrlich? Es ist großartig!

Der gestrige Abend verlief zwar anders als geplant, aber die Erkenntnis war unbezahlbar: Spontaneität ist auch eine Art Luxus. Statt Stress gab’s Gelassenheit – und statt des geplanten Campgrounds einfach Million Dollar Falls. Klingt doch fast nach Absicht, oder?

Frühmorgens um 5:30 Uhr sitzen wir schon beim Camper-Frühstück. Der Duft von Kaffee zieht durch unser kleines Reich auf Rädern, und draußen wartet das erste Highlight des Tages. Nur ein paar Schritte vom Stellplatz entfernt beginnt der Trail zu den Million Dollar Falls. Ein Holzsteg führt uns direkt zur Aussichtsplattform, wo der Takhanne River tosend in die Tiefe rauscht. Noch ist es zu dunkel für die perfekten Fotos, aber für uns reicht’s vollkommen: Wasserfallrauschen, klare Luft, keine Menschenseele – ein Moment, der nach Abenteuer schmeckt.

Zurück am Camper packen wir unsere Sachen und rollen weiter über den Haines Highway Richtung Haines Junction. Erster Stopp: das Visitor Center. WLAN schnappen, schnell ein paar Bilder posten, WhatsApp checken, Enkel-Fotos bestaunen. Innerhalb von 30 Minuten sind wir kommunikativ auf dem neuesten Stand – fast schon effizienter als im Büro.

Eigentlich hatten wir mit einem Mittagessen in Haines Junction gerechnet. Tatsächlich? Es ist gerade mal 8:30 Uhr. Also gibt’s Frühstück statt Lunch. Das Café, das wir uns ausgesucht hatten, hat zwar geschlossen, aber Rettung naht im Kluane Restaurant. Und was soll ich sagen? Fluffige Pancakes, starker Kaffee, freundlicher Service – besser hätte unser Morgen nicht schmecken können.

Gestärkt spazieren wir noch ein paar Schritte, und siehe da: Direkt gegenüber steht eine Kirche, die aussieht wie ein Wellblechschuppen mit Kreuz. „Our Lady of the Way“ nennt sich das gute Stück – ursprünglich 1954 als einfacher Schuppen für die Highway-Bauer errichtet, später zur katholischen Kirche umfunktioniert. Und glaubt’s oder nicht: Dieses unscheinbare Bauwerk gilt als das meistfotografierte Gotteshaus im ganzen Yukon. Da sag noch mal einer, Architektur müsse pompös sein, um Kultstatus zu erreichen.

Haines Junction

Weiter geht’s – der Alaska Highway ruft! Diese legendäre Lebensader schlängelt sich von den „lower 48“ bis ins wilde Alaska und macht dabei keine halben Sachen. Kaum sind wir drauf, fühlen wir uns wie die Hauptdarsteller in einem endlosen Roadmovie: der Truckcamper brummt zufrieden, die Straße zieht sich wie ein graues Band durch unendliche Weiten, und links und rechts explodiert die Landschaft in den schönsten Herbstfarben. Gelb, Gold und Kupferrot – als hätte jemand einen Eimer Aquarell über die Wälder ausgekippt.

Alaska Highway

Und dann liegt er plötzlich vor uns: der Kluane Lake. Kein gewöhnlicher See, sondern ein türkisblauer Gigant, der wirkt, als hätte ihn jemand direkt aus einem Werbeprospekt für Kanada ausgeschnitten. Sein Schimmer stammt vom Gletscherwasser, das ihm diese unwirkliche Farbe verleiht. Die First Nations nennen ihn „See mit großen Fischen“ – und das nicht ohne Grund. Forellen von bis zu 20 Kilo sollen hier unterwegs sein. Ganz ehrlich: So ein Kaliber ist kein Fisch mehr, das ist ein Wrestling-Gegner mit Flossen.

Natürlich können wir da nicht einfach vorbeifahren. Also raus mit der Kamera, die Drohne in die Luft und ab auf den improvisierten Fotostopp. Der Wind ist frisch, die Luft klar, und die Farben der Bäume leuchten wie ein Feuerwerk am Ufer. Unser Camper posiert brav vor der Kulisse, als wüsste er, dass er gerade auf Instagram-Material gebannt wird.

Alaska Highway

Wir stehen da, machen Bilder, die garantiert kein Filter besser hinbekommt, und saugen die Stimmung auf. Es ist einer dieser Momente, die man später immer wieder hervorholt – egal, wie viele Kilometer noch folgen. Straße, Natur, Freiheit – mehr braucht es wirklich nicht.

Kaum haben wir die Kamera wieder verstaut, lockt uns der nächste Schatz am Straßenrand – der Pickhandle Lake. Ein Name, der klingt wie ein Werkzeugkasten, in Wahrheit aber ein echtes Naturjuwel. Ein schmaler Holzsteg führt hinaus aufs Wasser, als wollte er sagen: „Kommt schon, wagt ein paar Schritte und schaut, wie groß die Welt eigentlich ist.“

Alaska Highway

Wir lassen uns nicht zweimal bitten. Am Ende des Stegs breitet sich ein Panorama aus, das man nicht erfinden könnte: tiefblaues Wasser, darüber ein Himmel, der so klar ist, dass man glaubt, jemand hätte ihn frisch gewaschen, und dahinter eine Bergkette, die stoisch und majestätisch Wache hält. Ich setze mich ans Ende des Stegs, und für einen Moment wird alles still. Kein Verkehrslärm, kein Stimmengewirr, nur das leise Plätschern des Wassers und der Wind, der durch die Gräser streicht.

Es ist einer dieser Augenblicke, in denen die Natur einem sanft auf die Schulter klopft und sagt: „Genieß es. Genau jetzt.“ Kein Wunder, dass wir den Auslöser kaum ruhen lassen – solche Orte sind wie kleine, stille Hauptrollen im Roadmovie..

Pickhandle Lake

Nach einer weiteren Stunde Asphalt und Aussicht landet unser rollendes Zuhause vor einem Restaurant, das klingt, als könnte es auch die Hauptfigur in einem Western sein: Buckshot Betty’s. Schon der Name schreit nach Geschichten – irgendwo zwischen rauer Trucker-Romantik und „hier gibt’s die besten Kalorien des Nordens“.

Es ist 14:30 Uhr. Für ein Abendessen eindeutig zu früh, für einen Lunch eigentlich schon zu spät – aber hey, wir sind im Roadtrip-Modus, da gelten keine Regeln. Also rein in die rustikale Stube, wo sich das Mobiliar zwischen „selbstgezimmert“ und „über Jahrzehnte zusammengesammelt“ bewegt, und die Atmosphäre irgendwo zwischen Heimatfilm und Goldgräberkneipe pendelt.

Buckshot Betty’s Restaurant

Stefan ordert Chicken Wings, die so knusprig sind, dass man sie vermutlich auch als Bauwerkstütze verwenden könnte, während ich mich für eine dampfende Suppe mit hausgemachtem Brot entscheide. Ergebnis: beide Gerichte sind ein Volltreffer. Betty weiß, was sie tut.

Frisch gestärkt geht es weiter. Von Betty bis zum kanadischen Grenzübergang in Beaver Creek sind es nur 30 Minuten – ein Katzensprung nach all den Meilen. Am Port Alcan erwartet uns keine Geduldsprobe, sondern fast schon Drive-through-Feeling. Ein paar Standardfragen zu Bargeld, Waffen, Früchten und Fleisch – alles brav verneint – und schwupps, dürfen wir weiterrollen. Willkommen zurück in Kanada!

Kaum ein paar Meilen hinter der Grenze, und zack – Szenenwechsel wie im Kino. Vorhin noch Kanada in Blau: tiefblaue Seen, graublaue Berge, wolkenloser Himmel. Jetzt, ein paar Kilometer später, stehen wir mitten in einem goldgelben Herbstwunderland. Die Bäume links und rechts der Straße leuchten so intensiv, als hätten sie alle gleichzeitig beschlossen, für einen Werbespot von „Indian Summer“ vorzusprechen. Klar, dass wir an einer Parkbucht anhalten und die Drohne steigen lassen. Von oben wirkt das Ganze noch unwirklicher – ein flammendes Farbenmeer, das sich bis zum Horizont zieht.

Alaska Highway

Nach ein paar Fotostopps, die unsere Speicherkarten ordentlich zum Glühen bringen, und 90 Meilen Highway erreichen wir Tok. Ursprünglich wollten wir hier gemütlich zu Abend essen und die Nacht auf einem der Campgrounds verbringen. Aber mal ehrlich: Nach Chicken Wings, Suppe und Co. in Beaver Creek meldet sich bei uns eher die Kategorie „satt wie nach Weihnachten“ als „bereit für ein Dinner“. Bleibt die Frage: Was macht man um diese Uhrzeit in Tok?

Antwort: Man fragt nach Chicken! Also halten wir am Visitor Center, und ich löchere den Mitarbeiter, ob die Campgrounds dort noch geöffnet haben. Er zuckt mit den Schultern, verweist uns aber freundlich auf den Souvenirladen gegenüber – gleicher Besitzer wie der Campground. Super Tipp!

Drüben nimmt sich eine ältere Dame unserer Mission an, greift zum Telefon und plaudert mit Sally aus Chicken. Ergebnis: Stellplatz reserviert, 20 Ampere Strom garantiert, Bezahlung morgen früh. Jackpot! Damit bekommen unsere Batterien eine Frischzellenkur, und wir können ganz entspannt weiterziehen.

Noch schnell ein Abstecher zu „Three Bears“, einem kleinen Laden, den wir schon vom letzten Trip kannten. Hier wandern Brötchen, Eier, Bacon, Bananen, Cream Cheese und Kaffeefilter in den Korb – alles, was ein Camperherz höherschlagen lässt. Unser rollendes Zuhause ist wieder bestens ausgestattet.

Dann rollen wir raus aus Tok, ein kurzer Fotostopp am Tanana River inklusive. Der Fluss glänzt im Abendlicht, die Berge dahinter wirken wie gemalt – und wir mittendrin. Manchmal hat die Natur einfach ein perfektes Timing.

Tanana River

Der Taylor Highway ist nicht einfach nur eine Straße – er ist ein wilder Ritt durch ein Naturkino, das ohne Pause neue Szenen abspult. Kaum biegen wir ab, wird klar: Hier fährt man nicht, um irgendwo schnell anzukommen, hier fährt man, weil der Weg selbst das Abenteuer ist.

Links und rechts türmen sich Wälder, die aussehen, als hätten sie ihre Garderobe mit Gold überzogen. Ganze Hänge leuchten in sattem Gelb, als hätten die Birken kollektiv beschlossen, das Rampenlicht zu übernehmen. Immer wieder öffnet sich der Blick auf sanfte Täler und entfernte Bergketten, die in den verschiedensten Farben glühen – Rostrot, Ocker, tiefgrün. Es ist, als würde jemand permanent die Farbpalette wechseln.

Und dann das Wildlife! Zuerst huscht ein Schneeschuhhase durchs Unterholz, als hätte er einen dringenden Termin. Kurz darauf späht uns ein neugieriger Coyote aus den Büschen an – vorsichtig, aber irgendwie auch mit diesem „ihr gehört hier nicht her“-Blick. Und ein Stück weiter, fast schon filmreif: ein Hirsch, der majestätisch im goldenen Gestrüpp steht, als hätte er sich extra für ein Herbst-Shooting in Pose geworfen.

Die Sonne senkt sich tiefer, das Licht wird weicher, goldener, und der Highway verwandelt sich in eine Bühne für ein Natur-Spektakel, das schöner kaum sein könnte. Jeder Kilometer schreit förmlich danach, angehalten und fotografiert zu werden – und wir geben natürlich nach.

So wird aus einer einfachen Etappe eine Fahrt, die sich anfühlt wie ein Geschenk – und das Ziel Chicken scheint fast nebensächlich, so sehr haben uns die herbstlichen Farben und die tierischen Begegnungen in den Bann gezogen.

Chicken – schon der Name klingt wie eine Mischung aus Fast-Food-Kette und Western-Parodie. Und tatsächlich wirkt der Ort ein bisschen so, als hätte Lucky Luke hier kurz Pause gemacht und dann beschlossen: „Ach, ich lass den Laden einfach so stehen.“ Ein paar rustikale Hütten, ein bisschen improvisierter Charme – fertig ist die Szenerie.

Unser Ziel: der Campground. Klingt nach Routine, wird aber zur Comedy-Einlage. Denn heute heißt es zum ersten Mal: Dumping! Für alle, die nicht im Camper-Game sind: Dumping bedeutet, dass man seine Abwässer entsorgt – charmant ausgedrückt „Black & Greywater“. In der Realität: eine Art flüssiger Roadtrip-Abschied.

Kaum angekommen, kommt ein freundlicher Roadworker um die Ecke, der uns nicht nur die Dumping Station zeigt, sondern gleich auch noch die Duschen und den geheimen Türcode verrät. Praktisch! Und weil’s noch netter nicht geht, bringt er auch gleich einen Kumpel mit. Und Bier.

Stefan packt also den Schlauch aus, zieht die Gummihandschuhe über, öffnet das Loch im Boden (mit Holzplatte und Stein gesichert – sehr Alaska-Style), schließt an – und los geht’s. Unsere beiden Zuschauer liefern den Live-Kommentar, als wären wir bei einer Abwasserversion von Sportschau: „Here it goes!“, „Here comes the bomb!“, „Shit happens!“

Na wunderbar. Wir wollten eigentlich nur unauffällig die Tanks leeren – jetzt haben wir eine Fangemeinde.

Chicken Creek RV Park

Nach zehn Minuten ist der Spuk vorbei, der Schlauch wieder verstaut, und unser rollendes Zuhause steht brav auf Platz 36. Neben uns? Keine anderen Camper, sondern Bagger und Baumaschinen, die hier wohl auf der Dauerbaustelle übernachten. Romantisch ist anders, aber hey – WLAN gibt’s am Office.

Wir gönnen uns nacheinander die Duschen (wieder mit Code – kommt einem schon fast vor wie im Agentenfilm) und hängen noch ein bisschen im schwachen WLAN, bevor wir ins Bett fallen. Ich sofort, Stefan nach seiner obligatorischen Fotosicherung.

Chicken Creek RV Park

Mein persönliches Highlight des Abends? Unser Dumping-Kumpel hat uns schon den Tipp fürs Frühstück gesteckt: „Sue“ im Chicken Creek Café serviert angeblich das beste Frühstück weit und breit. Na, das klingt doch nach einem guten Plan für morgen – ich sehe uns schon bei Pancakes, während draußen der Ortshahn kräht.

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